Modell Ländle

Während die Schweizer Banken im US-Steuerstreit mit dem Rücken zur Wand stehen, hat sich der Finanzplatz Liechtenstein innert weniger Jahre ein sauberes Image verpasst. Ein Blick hinter die Kulissen. SonntagsZeitung, 12. Februar 2012

Vorgestern Freitag um halb sieben hängt Katja Gey am Telefon. Nach einem Tag voller Sitzungen erledigt die Liechtensteiner Finanz-Unterhändlerin in ihrer Vaduzer Beamtenstube letzte Anfragen. Dann erst hakt sie die Woche ab.

Diese ist nicht schlecht verlaufen. Am Dienstag beschlossen ihre Regierung und jene Englands ein neues Steuerabkommen. Fast schon Courant normal für die oberste Finanzfunktionärin des Ländles: verhandeln, unterschreiben, weiter zum nächsten Deal.

Während die Stimmung in Geys Büro aufgeräumt ist, wird die Miene ihres Schweizer Amtskollegen Michael Ambühl immer grimmiger. Der Finanzstaatssekretär und Chefunterhändler war letzte Woche einmal mehr in Washington und kehrte ohne Ergebnis nach Hause zurück. Weil die angeklagte Bank Wegelin den Gerichtstermin in New York platzen liess, droht neues Ungemach.

Was macht Gey besser als Ambühl? Schwer zu sagen, ob man mit dem Umbau des Finanzplatzes weiter sei, ringt Gey um Worte, um sich dann ein Herz zu fassen. «Sagen wir es so: Der England-Deal hat uns weit nach vorn gebracht. Und der EWR hilft für die Zukunft. Wir sind mitten in Europa, während sich die Schweiz immer bilateral einigen muss.»

Das England-Abkommen ist ein Vertrag, der für Liechtenstein Gold wert ist. Dass die Schweiz einen anderen Weg ging, könnte als grösste verpasste Chance rund um das Ende des Bankgeheimnis-Zeitalters Geschichte machen.

11. August 2009: Fünf Monate, nachdem Liechtenstein, die Schweiz und weitere Steueroasen den globalen Steuerstandard der Wirtschaftsorganisation OECD akzeptiert hatten, bekam Vaduz von London eine 5-jährige Schonfrist, während der sich englische Schwarzgeldsünder beim Fiskus zu Vorzugsbedingungen anzeigen können. Ohne Selbstdeklaration fliegen sie ab 2015 aus dem Ländle. Statt als Gnomen galten die Liechtensteiner von da an als vertrauenswürdige Banker, auf deren Wort sich die Welt verlassen konnte. Urs Roth, Ex-Chef der Schweizer Bankiervereinigung und seit 2012 Präsident der Liechtensteiner Bankenaufsicht, lässt zwar offen, ob Vaduz weiter ist als die Schweiz. «Sicher aber ist, dass der Deal mit England und die Offenlegung entscheidend war, um rasch aus der Ecke des Bösewichts herauszukommen», konzediert Roth, der in seiner Zeit als oberster Schweizer Bankenlobbyist auch für sein Heimatland eine Lösung für die Schwarzgeldproblematik angestrebt hatte.

Mit dem England-Abkommen kehrte Ruhe ins 36 000-Seelen-Fürstentum zurück. Zum Wochenausklang wirkt die Vaduzer Altstadt ausgestorben. Ein eisiger Wind bläst durch die Gassen, die im Schatten einer steilen Felswand liegen. Oben im Nebel thront das Fürstenschloss. Nur wenige Menschen sind an diesem Wintertag unterwegs. Kein Vergleich zur Steueraffäre vor vier Jahren, als das Ländle im Fokus der Weltmedien stand und Journalisten durch die Strassen hetzten.

«Ich bin froh, ist das vorbei», sagt die Pensionärin Ingrid Müller, während sie am ratternden Geldautomaten der Fürstenbank LGT zwei Fünfzigernoten bezieht. «Mir ist nicht wohl, wenn die halbe Welt über uns redet.» Sie begrüsse es, dass die Steuerproblematik damals schnell gelöst wurde. «Es kann ja wirklich nicht sein, dass wir hier ein Tresor für Schwarzgeld sind und irgendwelchen reichen Gaunern dabei helfen, noch reicher zu werden.»

Die Meinung wird vom jungen Mann in der Dorfbeiz Engel geteilt, der bei einem Teller Schnitzel-Pommes auf den Anfang der Krise zurückblickt. Auch die Liechtensteiner hatten damals ihren Birkenfeld, einen Whistleblower, der das Bankgeheimnis-Kartenhaus zum Einsturz gebracht hatte. Hier hiess er Heinrich Kieber, ein Mitarbeiter der Fürstenbank, der im 2002 heimlich Tausende von Kundendaten kopierte und dem deutschen Bundesnachrichtendienst verkaufte.

Die Angst vor dem Verlust des Reichtums war gross

«Im Ländle hegten viele einen Hass gegen die Deutschen und Kieber», sagt der junge Skilehrer, der anonym bleiben will. Die Angst vor einem Verlust des Reichtums sei gross gewesen. Doch mittlerweile habe sich die Aufregung gelegt. «Der Grossteil hat realisiert, dass wir mit der Lockerung des Bankgeheimnisses gar nicht so schlecht fuhren.»

Der Nullpunkt war der 14. Februar 2008. Vor laufender Kamera schlugen die deutschen Steuerfahnder bei Post-Chef Klaus Zumwinkel zu. Die Bilder der Verhaftung des deutschen Spitzenmanagers gingen um die Welt. Nichts mehr war wie zuvor.

Es folgte Wut. «Was ist in die Deutschen gefahren», ereiferte sich Beatrice Noll Schurti von der Liechtensteinischen Treuhändervereinigung kurz danach. «Wir sind ja mitten im Verhandeln.»

Ein halbes Jahr später war der Widerstand gebrochen. Am 15. August 2008, dem Liechtensteiner Nationalfeiertag, sprach Erbprinz Alois, Sohn des Regenten, für damalige Verhältnisse Revolutionäres aus. Angesichts der «internationalen Trends hin zu einer verstärkten Zusammenarbeit in Steuerfragen» und bereits gemachter Schritte sei «die Zeit gekommen, unser System der Rechts- und Amtshilfe im Bereich der Steuern auf eine neue Grundlage zu stellen». Das Tabu war gebrochen: Steuersünder sollten bekannt gegeben werden. Im Schatten der sich rasch verschärfenden Affäre um US-Kunden mit unversteuerten Geldern bei der Schweizer Grossbank UBS war der kleine Nachbarstaat in sich gegangen und als geläuterter Steuerstaat an die Weltöffentlichkeit getreten. Möglich gemacht hatte das eine kleine, verschworene Truppe. «Die wichtigen Leute in Liechtenstein waren smart», sagt Philip Marcovici, zu jener Zeit Partner der Schweizer Niederlassung von Baker&McKenzie, einer globalen Anwaltskanzlei.

Der Erbprinz, die Regierung und eine Handvoll Kräfte aus der Verwaltung und vom Finanzplatz hätten das Steuer herumgerissen. «Sie rauften sich alle zusammen und schnürten 2008 und 2009 ein Lösungspaket», sagt Marcovici, der damals als Berater hinter den Kulissen mitwirkte. «Das war bestes Teamwork.» Im Frühling 2009, als alle grossen Steueroasen ihr Bankgeheimnis preisgaben, war Liechtenstein bereit für Taten. Während Helvetiens FDP-Finanzminister Hans-Rudolf Merz das Bankgeheimnis innert einer Woche wortreich von einer unverhandelbaren Eigenheit zur Altlast verkehrte, veröffentlichte der kleine Nachbar gefasst und bestimmt seine «Liechtenstein Erklärung».

Nach der Alois-Deklaration im zurückliegenden Sommer war dies der Zweite von drei Eckpfeilern einer sauber durchdachten Strategie auf dem Weg vom Schwarz- zum Weissgeld. Der mächtige OECD-Steuerchef Jeffrey Owens machte den Verantwortlichen klar, dass es nicht mit Worten getan sei, und öffnete eine Tür zu einem Vertrauten, dem englischen Steuerchef.

Nun musste sich das Ländle entscheiden: ernst machen und die Schwarzgeld-Vergangenheit anpacken oder auf Zeit spielen. Die Liechtensteiner packten die Chance und gaben ihre England-Kunden zum Preis einer mehrjährigen Schonfrist auf. Ein Jahr nach dem denkwürdigen Auftritt von Alois am nationalen Geburtstag und 18 Monate nach der Zumwinkel-Explosion hatte Liechtenstein mit Schritt drei den Kopf aus der Schlinge gezogen.

Die UBS im US-Schwitzkasten als abschreckendes Beispiel

Der Paradigmenwechsel sei nicht einfach gewesen, sagt Berater Marcovici. «Der Widerstand war brutal, von den Treuhändern, den Bankern und anderen Betroffenen», erinnert sich der Kanadier, der heute eine eigene Beratungsfirma in Hongkong betreibt. Das England-Abkommen sei der Durchbruch gewesen. «Als dieses auf dem Tisch lag, sagten immer mehr Leute: ‹Hey, schaut mal, das könnte sogar funktionieren.›»

«Am Anfang herrschte völlige Blockade», schaut Clemens Laternser auf jene Zeit zurück. Laternser ist Geschäftsführer der Liechtensteinischen Treuhändervereingung, bei der die rund 400 Treuhänder des Finanzplatzes Pflichtmitglied sind. Die Treuhänder hatten jahrzehntelang von reichen Privatkunden gelebt, die mit Stiftungen ihr Vermögen steuergünstig pflegten. Auf einmal sollten alle Geheimnisse dieser intransparenten Vehikel verraten werden. Es kam zum offenen Bruch. «Die Architekten der Finanzplatzstrategie meinten, wir könnten den Kunden einfach mitteilen, dass sie ihre Vermögen nun offenlegen müssten», sagt Laternser. «Dass sich viele verabschieden würden, wollte sich die Regierung nicht vorstellen.»

Der Clash war riskant. Wenn Liechtenstein nicht alle wesentlichen Kräfte an Bord hatte, konnte die fette Gans der Vergangenheit nicht geschlachtet werden. Die Unité de Doctrine kam schliesslich dank den Banken zustande. Eingeklemmt im Sandwich zwischen veränderungswilligen Politikern und Bollwerk-Treuhändern sahen sie als abschreckendes Beispiel die grosse UBS im US-Schwitzkasten.

Beim Bankenverband war Michael Lauber am Ruder, der heute die Schweizer Bundesanwaltschaft leitet. Machten die Einzelfiguren den Unterschied aus zwischen dem proaktiven Liechtenstein und der Schweiz, wo viele die Krise aussitzen wollten? Nein, meint Lauber-Nachfolger Simon Tribelhorn. «Es waren der grosse Druck von aussen und der Schulterschluss von Politik und Finanzplatz, die zur Liechtenstein-Erklärung geführt hatten.»

Marcovici sieht das anders. Er ortet den Unterschied durchaus bei den Figuren. Die Schweizer Verantwortlichen, bezeichnet er als unbelehrbar: «Ich habe alles versucht, um sie zur Umkehr zu bringen», sagt er. Die Schweiz sei für ihn «erste Wahl» gewesen. Aber auch für ihn war entscheidend, unter welchem Druck Vaduz als Hinterhof des Swiss Banking stand. «Liechtenstein besass keine Kunden. Die Schweizer Banken besassen sie. Also brauchten die Liechtensteiner eine Antwort, als die Geschichte endete.»


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