Der Libor-GAU

Kommentar. Der Sonntag, 5. August 2012

Ein kleiner Klub von weltweit tätigen Grossbanken bestimmt, wie teuer unser Geld ist. Diskret aus dem Hinterzimmer heraus steuert die Hochfinanz, was ein Farmer in Iowa für seinen Dollar-Kredit, ein Autolenker in Osaka für sein Yen-Leasing, ein Hausbesitzer in Lenzburg für seine Franken-Hypothek bezahlen muss. Das Instrument zur Preissteuerung heisst Libor: London Interbank Offered Rate.

Das Libor-System funktionierte gut, solange an den Spitzen der Geldhäuser «Gentlemen» sassen. Doch vor 15 Jahren wurden sie durch «Masters of the Universe» abgelöst, die meist nur eines im Auge hatten: den eigenen Gewinn. Ihre Gier führte die Finanzwelt mittels irrwitziger Kreditaufblähung an den Abgrund. Trotzdem durften die Banker am Tisch bleiben, als die Lehren aus dem Debakel gezogen wurden: Sie konnten verhindern, dass das riskante Investmentbanking vom langweiligen Spar- und Kreditgeschäft abgetrennt wurde. Und somit blieb auch der Weg zum Bonus-Gral offen.

Dann kam Libor. Was die geplatzte Subprime-Kreditblase nicht geschafft hatte, könnte der Betrug im Londoner Darkroom doch noch bewerkstelligen. Über Nacht ist die Stimmung gekippt. Nun ist nicht mehr von Gier und Naivität die Rede, sondern von billigem, plumpem, gemeinem Betrug. Wie sehr der Wind gedreht hat, zeigt das Beispiel der englischen Barclays Bank, wo die drei obersten Manager innert weniger Tage vomLibor-Sturm weggefegt wurden. Das sind neue Dimensionen. Erstmals fordern nicht nur Linke und Intellektuelle die grosse Zerlegung, sondern auch honorige Vertreter der Finanzgilde wie Ex-Citigroup-Chef Sandy Weill. Sollte der Libor-Betrug zur entscheidenden Zäsur werden, wäre das Imperium der Grossbanken an der eigenen Dekadenz zugrunde gegangen – so wie viele vor ihm.


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