Grübel erhält Gnadenfrist

UBS-VR startet eigene Untersuchung des Milliardenverlusts – Einzeltäter-These ist umstritten. SonntagsZeitung, 18. September 2011

Kweku Adoboli, der 31-jährige UBS-Derivatehändler, hat den Limiten-Code der Grossbank geknackt. Gemäss Recherchen hat Adoboli die UBS-internen Limiten durch fiktive Kundenaufträge ausgetrickst.

Der Fall beschäftigt nicht nur die Regulatoren in London und Bern. Auch der UBS-Verwaltungsrat will wissen, wie ein Junior-Trader das millionenteure Risikosystem aushebeln konnte.

«Ein Verwaltungsrats-Komitee unter Vorsitz des Senior Independent Director beauftragt eine externe Prüfgesellschaft mit einer unabhängigen Untersuchung, die mit den Aufsichtsbehörden abgesprochen ist», bestätigt UBS-Kommunikationschef Michael Willi. Beim Vorsitzenden handelt es sich um Verwaltungsrat David Sidwell, einen Ex-Wallstreet-Banker von Morgan Stanley.

Heute Sonntag will die Bank den exakten Verlust aus dem Fall Adoboli beziffern. Dieser könnte höher sein als bisher erwartet. Am Donnerstag sprach die UBS von einem Verlust «in einer Höhe von zwei Milliarden Dollar».

Das neuerliche Fiasko stürzt die grösste Schweizer Bank in eine Vertrauenskrise. Dass ein einzelner Trader ein Milliarden-Loch in die Kasse reissen kann, weckt erneut Zweifel an der Risikokontrolle der Bank, die während der Subprime-Krise Verluste von über 50 Milliarden Franken eingefahren hatte.

Für die UBS-Spitze unter CEO Oswald Grübel wird der Fall Adoboli zum persönlichen Waterloo. Grübel trat sein Amt vor zweieinhalb Jahren an mit dem Versprechen, die mangelhaften Risikosysteme wetterfest zu machen. Im Gegenzug wollte er im Investmentbanking gross bleiben.

Das ist missglückt, sagt Markus Granziol, der frühere Chef der UBS-Investmentbank. Er plädiert für eine Zerlegung der Investmentbank, die UBS solle nur noch in ausgewählten Bereichen tätig sein (siehe Interview links). Grübelhabe im VR und bei den Gross-Investoren genug Rückhalt für die Zähmung der Investmentbank, sagt eine UBS-Quelle. «Ein sofortiges Köpferollen ist das Letzte, was die Bank braucht», sagt der Manager. Das würde sie nur zusätzlich destabilisieren.

Gemäss der Quelle will Grübel am Investorentag am 17. November eine verkleinerte Investmentbank vorstellen. Vor allem das Zinsgeschäft steht zur Debatte. Dort hat die UBS in den letzten Jahren die grössten Verluste erlitten.

Für Grübels nahe Zukunft ist entscheidend, ob die Untersuchungen von Verwaltungsrat und Behörden die Einzeltäter-These bestätigen. Experten hegen Zweifel: «Bei diesem Volumen kann ich mir das nicht vorstellen», sagt der Zuger Finanzprofessor Maurice Pedergnana. «Es muss Mitwisser gegeben haben.»

«Bei Abbau von Kontrollen muss Grübel sofort gehen»

In der Risikokontrolle sei längst bekannt, dass clevere Trader die Überwachung von Exchange Traded Funds überlisten können, um die es im Fall von Adoboli geht. «Sollte die UBS ETF-Kontrollen abgebaut haben, muss Grübel sofort gehen», sagt Pedergnana. «Das wäre ein direkter Link zum Verlust.»

Jung-Trader Adoboli war im UBS Delta-One-Team tätig, das hochliquide Fonds handelt, die einen wilden Mix von Wertpapieren abbilden. Adoboli war im Kundenhandel tätig und für Aktienderivate zuständig. Das Geschäft ist bei der UBS eng begrenzt. Eine riskante Milliarden-Position sollte im Risk-System rasch auffliegen, sagt ein Bank-Insider.

Adoboli baute eine gigantische Eigenhandelsposition auf. Laut Zeitungsberichten reichen Einzeldeals bis 2008 zurück. Um die Position geheim zu halten, erfasste der Ghanaer fiktive Kundenaufträge. Damit blieb er netto unter der erlaubten Grenze. Und flog unter dem UBS-Risk-Radar. Als die jüngste Krise die Position ins Minus trieb, tat Adoboli, was Trading-Betrüger immer tun. Er erhöhte den Wetteinsatz. Zuletzt sass er auf einem Derivate-Milliardenberg.

Eine interne Routinekontrolle stellte Adoboli Fragen, sagt eine UBS-Quelle. Obwohl die Kontrolleure keinen Verdacht schöpften, bekam der junge Trader kalte Füsse. Er schickte am Mittwoch um 16 Uhr ein Bekenner-Mail an seinen Vorgesetzten und deckte die Verlustposition auf.

Hektische neun Stunden später, in denen sich die UBS einen Überblick über das Schadenausmass verschaffte, zeigte die Bank den Händler bei der Londoner Polizei an.

Die UBS bestätigt den Ablauf nur indirekt. «Der Verlust im Delta-One-Team hat nichts mit faulen Positionen oder falschen Bewertungen zu tun, sondern der fehlbare Händler hat mit krimineller Energie unerlaubte Geschäfte getätigt», sagt Willi. «Weshalb und wie er seine unerlaubten Aktivitäten vertuschen konnte, ist Gegenstand der Untersuchungen.»

«Am besten wäre eine Fusion»
Ex-UBS-Banker Markus Granziol im Interview

Sie waren früher Chef der UBS-Investmentbank. Warum fährt immer wieder die UBS in diesem Bereich in die Wand?

Weltweit ist das Investmentbanking unter Beschuss, die UBS steht nicht allein am Pranger. Aber die Kumulation enormer Verluste, krimineller Verstösse und eines Investmentbankings, das in den Augen der Kunden im Konkurrenzvergleich zurückfällt, gibt zu denken. Die Strategie, das Businessmodell, die Führung – alles muss bei der UBS hinterfragt werden.

Soll die Bank aus dem Investmentbanking aussteigen?

Investmentbanking und Vermögensverwaltung unter einem Dach war nie eine gute Strategie. Es scheint auch, dass die UBS nicht fähig ist, im Investmentbanking eigenständig und nachhaltig erfolgreich zu sein. Deshalb kann sie die Investmentbank weder verkaufen noch abspalten. Schlicht zuzumachen wäre unglaublich riskant. Am besten wäre eine Fusion mit einer anderen Investmentbank, so wie damals bei UBS und Bankverein.

Wie weit nach oben reicht die Verantwortung bei einem 2-Milliarden-Verlust?

Das kann man erst beantworten, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen. Aber ich denke, dass die ganze Führungslinie in der Schusslinie steht. Dass ein Junior-trader scheinbar über längere Zeit einen solch enormen Verlust verstecken konnte, ist schlicht nicht glaubwürdig.

Hat der Verwaltungsrat mit CEO Oswald Grübel aufs falsche Pferd gesetzt?

Ich glaube nicht. Grübel ist ein erfahrener, hervorragender Banker. Aber meines Erachtens ist seine Investmentbanking-Strategie fragwürdig, die Umsetzung ist gescheitert. Der Versuch, nach über 50 Milliarden Verlust wieder eine weltweit führende Investmentbank im Fixed Income, also dem Zinsengeschäft, zu werden, war ein Fehler. Mein Ratschlag: In einigen wenigen Bereichen sollte man brillant sein und zur Weltspitze gehören, den Rest sein lassen.


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