Die Siebzig-Milliarden-Diät

Die UBS verschiebt Milliarden an riskanten Kreditpapieren in die Zentrale. Sie will sie bis 2016 schonend abbauen. Das wird schwierig. Handelszeitung, 8. Dezember 2011

Rund dreissig Menschen kümmern sich bei der UBS um den grössten Schrotthaufen der Schweizer Finanzgeschichte. Die Spezialisten haben von Konzernchef Sergio Ermotti und Finanzchef Tom Naratil eine Art „Mission impossible“ aufgetragen erhalten: Einen Berg von illiquiden Aktiven in den nächsten Jahren abzutragen, ohne grössere Verluste einzufahren. Wie das gehen soll, ist schleierhaft. „Wenn alle gleichzeitig zum Ausgang rennen, wird es eng“, sagt Rainer Skierka von der Basler Privatbank Sarasin. Analysten der englischen Barclays rechnen mit 1000 bis 2000 Milliarden Dollar Altlasten, welche alle globalen Grossbanken in nächster Zukunft loswerden wollen. Der US-Finanzmulti J. P. Morgan geht in seiner neuesten Schätzung von 2500 Milliarden aus. Eine Jahrhundert-Kontraktion, meint der Schweizer Investmentbanker Hans-Jörg Rudloff, Spitzenmann bei der Investmentbank von Barclays. Im Kern gehe es um eine von den Regulatoren erzwungene Verkleinerung der Bilanz aller Grossbanken. „Die UBS ist Teil eines gigantischen Schuldenabbaus, an dessen Ende eine massive Kreditverknappung im Umfang von bis zu 10 Prozent aller offenen Kredite steht“, sagt Rudloff. Weil viele Regierungen in den Sparmodus gewechselt hätten, seien die Aussichten für die Weltwirtschaft „rabenschwarz“.

Altlasten binden zu viel Kapital

Vor dem Hintergrund dieses gigantischen Abbauprozesses erwartet Beat Wittmann vom Zürcher Vermögensverwalter Dynapartners, dass die Preise in den Keller rasseln und damit neue Abschreiber für die Verkäufer auslösen könnten. „Wie viel von den neuen Abschreibern erträgt die UBS heute, das ist die grosse Frage“, sagt der Ex-Top-Mann der Privatbanken Clariden Leu und Julius Bär.

Der Verlustgefahr ist sich die UBS bewusst. Trotzdem hat sie vor kurzem einen ambitiösen Exit-Plan aufgelegt. Sie verlagert 70 Milliarden Franken ihrer risikogewichteten Altlasten aus der Investmentbank ins zentrale Corporate Center, um sie dort bis auf einen kleinen Rest abzubauen.

Damit setzt sich die Bank einem erhöhten Druck aus. Sie macht das Ausmass der Altlasten transparent und verspricht ihren Aktionären und den übrigen Investoren, dass sie die geerbten Positionen in vernünftiger Zeit zu tragbaren Preisen verkaufen oder auslaufen lassen kann. Mit der Verschiebung ins Corporate Center hat die UBS allerdings noch nichts erreicht. Allfällige Verluste fallen lediglich in der Zentrale statt in der Investmentbank an. Diese hofft, sich damit in besserem Licht präsentieren zu können.

Nicht die Verschiebung ist entscheidend, sondern der Zeitpunkt für die geplanten Verkäufe, meint Barclays-Manager Rudloff. „Auf lange Sicht kann man alles verkaufen, das ist nicht das Problem“, sagt Rudloff. In diesem Geschäft sei jedoch „Timing“ alles. „Die UBS hätte diese Positionen über die letzten zwei bis drei Jahre abstossen sollen und nicht erst jetzt, da alle Banken das Gleiche versuchen“, ist der Schweizer Spitzenbanker und Kreditmarkt-Spezialist überzeugt.

Warum die UBS gerade jetzt reagiert und die Positionen aus der Investment-Sparte in den Konzernsitz verschiebt, hängt mit regulatorischen Änderungen zusammen. Die 70 Milliarden Franken risikogewichtete Aktiven entsprechen nominell lediglich 30 Milliarden Franken in der UBS-Bilanz. Der Unterschied ist eine Folge davon, dass die Behörden diese Investments nach den Erfahrungen der letzten Krisenjahre als besonders riskant einschätzen. In der für die Kapitalunterlegung entscheidenden Risikosicht sind die Aktiven heute mehr als doppelt so gewichtig. Darum wurden sie zur Altlast.

Ein UBS-Sprecher spricht von intakten Chancen, dass die Bank beim Abbau mit einem blauen Auge davonkommen könnte. „Für die UBS spricht der Zeitfaktor“, begründet der Manager. „Weil die Bank vergleichsweise gut gebettet ist, kann sie die Altlasten geordnet und über Monate und sogar Jahre hinweg veräussern.“

Tatsächlich ist der Bedarf an neuem Eigenkapital für viele UBS-Konkurrenten höher. Weil kaum neue Aktionäre in Sicht sind, bleibt nur der Abbau von Risiken. Die italienische Unicredit, bei der UBS-Chef Ermotti vor seinem Wechsel zur UBS eine Spitzenfunktion in der Investmentbank innehatte, hat ein scharfes Abbauprogramm bekannt gemacht. Die deutsche Commerzbank prüft trotz frischem Kapital, Teile abzustossen und die Risiken herunterzufahren.

Ermotti und Naratil müssen liefern

Selbst wenn der Risikoabbau bei der UBS weniger eilt als anderswo: Der Verkaufsprozess wird schmerzhaft sein und den Gewinn belasten. 2012 werde zu einem „Übergangsjahr“, sagt der UBS-Sprecher. Als Begründung wird die Reduktion der risikogewichteten Aktiven angeführt, zu der die „Altlasten“ gehörten.

Christopher Wheeler von der Mediobanca, einer italienischen Grossbank, sieht durch den Rückbau der Altlasten Ausfallpotenzial bei den Erträgen. „Die UBS baut einen grossen Teil der einstigen Kernaktiven ihres Zinsgeschäfts ab. Das könnte sich viel stärker auf die Einnahmen auswirken, als der Markt derzeit erwartet“, sagt Wheeler. Sinken aber die Erträge stärker und schneller als geplant und übertrifft dieser Effekt die finanziellen Erleichterungen durch den Abbau der Risiken, geht die Rechnung nicht mehr auf.

Umso mehr ist für den Mediobanca-Experten entscheidend, wer den historischen Schuldenabbau der UBS leitet. Die grösste Herausforderung für die Spitzenleute sei nämlich nicht mehr erfolgreiches Trading, sondern eine effiziente Umsetzung. „Mit Oswald Grübel als CEO und Finanzchef John Cryan verfügte die UBS über ein Führungsteam, das als sehr stark in der Ausführung galt“, sagt Wheeler. Das neue Spitzenduo Ermotti und Naratil müsse dem Markt „die Fähigkeit zu liefern“ erst noch beweisen.

Die Analysten der Ratingagentur Standard& Poor ’s bleiben vorerst skeptisch. Sie stuften das Kreditrisiko der UBS soeben um einen Zacken auf „A“ herab und setzten den Ausblick auf „negativ“. Sie begründen das mit „Exekutions-Risiken“ in der Investmentbank. Laut Äusserungen von UBS-Chef Ermotti am New Yorker Investorentag vor drei Wochen soll diese in Zukunft „stärker fokussiert, weniger komplex, weniger kapitalintensiv und damit dauerhaft profitabel“ sein.

Wie seine Vorgänger verkündete Ermotti eine neue UBS. Ob und wie schnell diese Realität wird, hängt entscheidend vom Altlasten-Team ab. Thomas Hutter von der Intrum Justitia, einer führenden Inkassofirma, sieht besondere Risiken, wenn sich Firmen die Abwicklung von Altlasten selber zutrauen. „Jede Bank oder andere Gläubiger müssen sich fragen: Ist das Inkasso von offenen Guthaben wirklich meine Kernkompetenz?“, setzt Hutter ein Fragezeichen hinter den UBS-Abbau.

Bad Bank

Riesiger Abbau illiquider Schuldpapiere

Abenteuer USA Der Weg aus dem uS-Schuldenmeer ist für die uBS besonders schwierig. unter dem Kommando ihrer früheren Chefs und Top-investmentbankern hatte sich der Finanzkonzern in den 2000er-Jahren zu einem der führenden Player im Markt der amerikanischen Schuldpapiere entwickelt. Vor allem bei verbrieften Hypotheken hielt die uBS riesige Positionen in den eigenen Büchern, die sie nach ausbruch der Finanzkrise ab Herbst 2007 durch Verkäufe und abschreibungen abzubauen versuchte.

Abbau Mit ausbruch der Krise wurde sichtbar, in welch gigantischem ausmass sich die uBS im weltweit grössten Kapitalmarkt ins unglück gestürzt hatte. in der ersten Phase der Krise, von Herbst 2007 bis Herbst 2008, reduzierten die Schweizer ihren Bestand an verbrieften uS-Schuldpapieren von 111 Milliarden Dollar um 70 auf noch rund 40 Milliarden Dollar. am stärksten abgebaut wurden die WertschriftenPositionen, denen amerikanische Wohnhypotheken unterschiedlicher Qualität (Subprime für schlechte Risiken, Prime und alt-a für vermeintlich zahlungskräftige Schuldner) zugrunde lagen. Trotz diesem massiven Schuldenabbau geriet die uBS nach dem Konkurs der Wallstreet-ikone Lehman Brothers als Kandidat für einen Bankrott ins Visier der investoren.

Rettung am 16. Oktober 2008 rettete die Nationalbank (SNB) die uBS vor dem drohenden untergang, indem sie der Bank weitere illiquide Wertpapierpositionen im umfang von maximal 60 Milliarden Dollar abnahm. Mit dem StabFund, geleitet von der SNB und bewirtschaftet von der uBS, wurde die erste „Bad Bank“ mit Positionen der uBS geschaffen. Mit den 70 Milliarden risikogewichteten altlasten, welche die uBS jetzt ins Corporate Center verschiebt und von dort aus abwickelt, gründet die grossbank nun noch eine eigene Legacy-Bank.


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