Der Kniefall

Wie die Finanzmarktaufsicht die UBS-Chefs unterstützte. Das Magazin, 12. Juni 2010

Das Annus horribilis der UBS neigte sich seinem Ende zu, als am 8. Dezember 2008 eine entscheidende Unterredung anstand. Markus Diethelm, oberster Jurist der angezählten Grossbank, und Kevin Downing, federführender US-Staatsanwalt im eskalierenden Steuerstreit mit der Schweiz, besprachen in Amerika die Lage. Die von den USA immer dringlicher geforderten Namen von rund 250 US-Steuersündern dürften viel schneller als auf dem steinigen Amtshilfeweg überstellt werden, meinte der UBS-Manager im vertraulichen Gespräch, falls «wir eine Gesamtlösung mit sämtlichen amerikanischen Behörden anstreben» könnten. Diethelm versuchte damit seinen Kontrahenten Downing zu besänftigen, der drohte, «zusätzliche Kader anzuklagen oder als Ultima Ratio die Einleitung des Anklageverfahrens gegen die Bank» zu prüfen.

Solch brisante Passagen sind im 370 Seiten starken Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) des Parlaments reihenweise zu finden. Doch wegen der schieren Menge drohen sie unterzugehen. Dabei sind es just diese vermeintlichen Nebenschauplätze, die den Wert der Auf- arbeitung durch die zwölfköpfige Kommission ausmachen. Sie fügen sich zu einem Gesamtbild des Dramas um die widerrechtliche Datenherausgabe vom 18. Februar 2009. Zum Vorschein kommt bei Weitem nicht nur das Führungs- versagen des Bundesrats. Vielmehr wird die Vermutung bestätigt, die das «Magazin» bereits Anfang April geäussert hat («Verschwörung gegen die USA», Nummer 13/2010).

Es war nicht die Schweiz, die der Grossbank den Takt vorgab, sondern umgekehrt: Die UBS handelte einen Deal aus, und Bundesbern, angeführt von seinen Chefbeamten, setzte ihn dienstfertig in die Tat um. «Die schweizerischen Behörden wiesen bei ihren Lagebeurteilungen oft eine zu grosse Abhängigkeit von der UBS auf und gelangten so zu nicht ausreichend klaren Schlüssen», lautet ein Fazit der GPK in ihrem Rapport.

Vor allem die Finanzmarktaufsicht (Finma, vormals Eidgenössische Bankenkommission EBK) stand der Chefetage der UBS in entscheidenden Momenten helfend zur Seite. Im Dreieck Washington-Zürich-Bern fungierte die Behörde nicht als neutrale und kritische Überwacherin der UBS, wie es ihrem Auftrag entsprochen hätte, sondern als deren einflussreichste Lobbyistin beim Bundesrat. Wenn im GPK-Bericht hin und wieder von Kritik der Finma am UBS-Gebaren die Rede ist, dann wirkt das harmlos. Etwa wenn die Aufsicht die «mehrfache Nichteinhaltung der Fristen» der UBS bei der Untersuchung des US-Steuerfalls «rügte».

Alte Bankenkollegen

Insgesamt aber war auf die Behörde aus Zürcher Bankensicht Verlass, wie eine unvollständige Aufzählung ihrer Unterstützungsmassnahmen für die UBS nahelegt: Die Eröffnung einer Finma-Untersuchung des UBS-Geschäfts mit unversteuerten US-Vermögen kam gemäss GPK «unter dem Druck der US-Behörden» zustande; die Finma fand dabei «keine Hinweise auf aktives Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer»; statt dabei selbst zu ermitteln, stützte sich die Kontrollbehörde auf die von der UBS mandatierte (und natürlich auch bezahlte) US-Anwaltskanzlei ab; doch diese Abhängigkeit verschwieg die Finma in ihrem öffentlich publizierten Untersuchungsbericht; ihr Präsident, der Ex-UBS-Generaldirektor Eugen Haltiner, setzte sich erfolglos dafür ein, dass seine früheren Grossbankenkollegen ohne Angst vor Verhaftungen in die USA einreisen könnten; obwohl die UBS nicht, wie in Aussicht gestellt, einen Globaldeal mit den US-Behörden über sämtliche Verfehlungen erreichte, gab die Finma ihren Segen zur Datenaushändigung vom 18. Februar 2009; und schliesslich erlaubte sie nur einen Tag vor dem Deal und unter Druck der UBS die Verwendung dieser Kundeninformationen für einen zusätzlichen Strafkläger in den USA.

70-Millionen-Gutachten

Dabei gelingt der GPK erstmals der Beleg, dass es den US-Behörden tatsächlich um die Führung der UBS ging. Um den Druck auf Präsident Kurer und CEO Rohner zu erhöhen, nutzten die Amerikaner ein 27-seitiges Geständnis ihres Kronzeugen Martin Liechti, der als UBS-Generaldirektor für die Offshore-Vermögensverwaltung von ganz Nord- und Südamerika zuständig war. Damit verfüge man über «genügend Beweise, um gegen die UBS ein Strafverfahren zu eröffnen», drohten die US-Behörden. Später rieten die Ermittler ihren Schweizer Kollegen, «in Anbetracht des schweren Verdachts gegen die UBS selbst Anklage» zu erheben, um auf diesem Weg die Daten von US-Steuerbetrügern rasch nach Übersee auszuliefern.

Im Oktober 2008 wurden die Vorwürfe gegen die obersten Chefs der Schweizer Grossbank expliziter. Ein New Yorker Staatsanwalt drohte, «die Führungsebene der UBS der kriminellen Missachtung des Gerichts» anzuklagen, wenn diese nicht unverzüglich Kundendaten aushändigen würde. Kurz darauf warf der zuständige US-Staatsanwalt Kevin Downing der Bankenspitze vor, dass sie zur Unterbindung der Steuer-Machenschaften «nur unzureichende Massnahmen ergriffen» habe, «deren Umsetzung ausserdem zu lange gedauert» habe. Downing wollte dieser Anschuldigung «durch Direktanhörungen des Top-Managements der UBS auf amerikanischem Boden» auf den Grund gehen. Befragt werden sollten «insbesonde-re Peter Kurer, Marcel Rohner und Raoul Weil». Da die USA aber kein freies Geleit gewähren wollten, stellte sich keiner des Top-Trios den Ermittlern, worauf diese im November 2008 Raoul Weil, den obersten Offshore-Mann der UBS und Nummer 3 der Bank, strafrechtlich anklagten.

Je härter die Amerikaner ihre Anschuldigungen gegen die obersten UBS-Verantwortlichen formulierten, desto kompromissloser verteidigten die Schweizer Bankenaufseher diese. Dabei stützten sie sich ausschliesslich auf das Gutachten der amerikanischen Anwaltskanzlei Wachtell Lipton, die von der in der Affäre selbst belasteten UBS-Spitze mandatiert worden war. Für Wachtell war der UBS-Auftrag lukrativ. Laut GPK waren bis zu 117 Personen der Kanzlei damit beschäftigt, wofür allein für 2008 ein Aufwand von 70 Millionen Franken verrechnet werden konnte. Zu erwarten war ein klassisches Parteigutachten, und so kam es auch. Für die Wachtell-Anwälte waren Kurer, Rohner und Weil keine Mitverschwörer, «ganz im Gegenteil» habe das Top-Management «alles getan», um gesetzlich korrektes Handeln im US-Offshore-Geschäft «zu verbessern». Diesem Fazit schloss sich die Finma an.

Die GPK, die nach vierzehn Monaten Arbeit und rund sechzig Interviews die bisher tiefste und unabhängigste Untersuchung des US-Steuerfalls vorgelegt hat, zeigt sich nicht überzeugt vom Finma-Freispruch für die UBS-Chefs. Ihr Urteil ist umso glaubwürdiger, als sie die Finma durchaus lobt. «Das grosse Engagement» der Bankenaufsicht sei ins Auge gestochen, obwohl es sich fragt, «ob sich die anderen Behörden dadurch nicht faktisch zumindest teilweise aus der Verantwortung» gezogen hätten. Dann kommt der entscheidende Satz: «Allerdings vermochte die EBK-Untersuchung aufgrund ihrer substanziellen Abhängigkeit von den Erkenntnissen der UBS-internen Abklärungen und die Aussage der EBK, es seien keine Hinweise auf ein ‹aktives› Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer über die Verfehlungen gefunden worden, die GPK nicht zu überzeugen.» Dieser Aussage habe die EBK zudem ein «zu grosses Gewicht» verliehen, denn die Klärung dieser Frage sei gar kein «zentraler Fokus der Untersuchung» der US-Kanzlei Wachtell gewesen.

Kam es demnach vor allem deshalb zum Bruch des 75-jährigen Bankgeheimnisses, weil die Finma die Verantwortlichen in der UBS-Chefetage vor Anklagen in den USA schützen wollte? Einige Schweizer Chefbeamte waren in den entscheidenden Tagen vor der rechtswidrigen Datenherausgabe explizit dieser Meinung. Am 10. Februar 2009 kritisierte Jürg Giraudi, in der Eidgenössischen Steuerverwaltung zuständig für Amtshilfe, das Lobbyieren der UBS-Spitze für einen raschen Deal mit den USA. Laut GPK meinte Giraudi in einem E-Mail an andere Bundesstellen, «dieses Vorgehen grenze an Landesverrat». Allerdings erstaune ihn das Verhalten von UBS-Chefjurist Diethelm nicht weiter. «Dieser versuche, koste es, was es wolle, den Deal durchzudrücken», schrieb Giraudi, und behauptete, Diethelm «habe die Meinung vertreten, eine Anklage gegen die Bank könne wohl ausgeschlossen werden, da die USA eine derartige Destabilisierung der Finanzwelt nicht verschulden wollten. Es könnte jedoch zu einer Anklageerhebung gegen die Herren Kurer und Rohner kommen.» Die UBS bestritt diese Darstellung gegenüber der GPK.

Wirkungslose Warnungen

Auch Alexander Karrer, der wohl bestinformierte Spitzenbeamte im Finanz-departement von Hans-Rudolf Merz und Leiter einer interdepartementalen Arbeitsgruppe für den Steuerfall, warnte Anfang Februar 2009 vor der von der Finma aufgegleisten Hilfeleistung für die UBS. Laut GPK sagte Karrer, die UBS steuere «wie ein Damp- fer, der sich kaum bremsen liesse, auf einen Deal mit dem (US-Justizministe-rium) und der (US-Börsenaufsicht) SEC zu. Dabei werde den US-Behörden signalisiert, dass die Schweizer Regierung dies unterstütze. (…) Wenn dieser Dampfer noch gebremst werden solle, sei dies jetzt die letzte Gelegenheit.»

Es waren die letzten Warnungen vor dem Kniefall. Sie verhallten wirkungslos. Am 11. Februar 2009 einigten sich SNB-Präsident Jean-Pierre Roth, Finma-Präsident Eugen Haltiner und Finanzminister Hans-Rudolf Merz darauf, dass nicht die UBS die von den USA geforderten Daten herausrücken sollte, sondern die Schweiz.

Mit ihrer Hilfeleistung machte sich das Land erpressbar, was sechs Monate später in einer viel grösseren, rund 4500 Kundendaten umfassenden Datenoffenlegung endete. War der Februar-Entscheid der Mauerfall, fiel im August 2009 die ganze Bankgeheimnis-Festung. Die Nähe der Finma zur UBS hat, so viel ist dank der GPK klar, entscheidend zum Debakel beigetragen.

Kommentare

  1. Bravo !
    Zu Ihrer allg. Arbeit möchte ich Ihnen von ganzem Herzen gratulieren.
    Keine Angst, nur weiter so. Alle, diese krimis müssen sich vor der Warheit verstecken.
    Vergessen Sie nur nicht, dass neben der Peitsche, ab und zu auch ein Zucker zu geben ist und zwar nicht weil die es verdient haben, sondern nur damit Sie auf Ihrem Weg aushalten können.
    Als Auslandschweizer, schon fast 26 Jahre in der Schweiz, schaute ich immer mit Bewunderung auf die Art der CH- Demokratie / Diplomatie. Warum hat mann den Weg des Erfolges verlassen? Dass die Schuld zuerst in eigenen Reihen zu suchen ist, zeigt mir auch Ihre Aussage, keinen CH-Buchverleger gefunden zu haben. Nicht zu glauben, alles redet von einer Krise und doch jeder der sich traut irgend welche Kritik auszuüben, weckt die „graue Mäuse“ auf.
    Dank Ihrer Arbeit werden die Mäuse das Ementhalerland langsam verlassen müssen um sich ein neues Versteck zu suchen. Bitte in Ihrer nächsten Columne auf Mozzarelaland den Aufmerksam machen, dort findet ein Kurzprozess statt und die Mäuse werden, nicht so wie hier und von Leuten wie Sie, auf die Dauer geplagt.

  2. Gratuliere zu Ihrem ausfuehrlichen und detaillierten Artikel. Ich hoffe, dass Sie weiterhin ueber dieses aeusserst bedauerlichen Fall berichten werden. Was Generationen von Schweizern ueber 150 Jahre aufgebaut hatten, naemlich die Schweizerische Bankenindustrie, erlaubten sich ein paar wenige verantwortungslose Landesverraeter zu zerstoeren. Warum ist Herr Eugen Haltiner immer noch in der FINMA? Es ist unglaublich wie ein solcher Narr und Landesverraeter ueberhaupt noch eine Anstellung bei der FINMA hat? Dazu ist er noch im Schweizer Militaer als Hauptmann taetig und bekannt als Soldaten Schikanierer. Was fuer ein Patriot der das Schweizer Bankgeheimnis auf solch schmutzige, unpatriotische und unehrenhafte Weise den Amerikanern vergab. Wenn etwas nicht klar ist und man keine Antwort findet, muss man sich immer die letztliche Frage stellen: Qui bono? Who benefits? Da muesste man Haltiner mal genaeuer untersuchen und sehen was fuer ihn von Interesse war.

    Die Tragweite dieser fatalen Entscheidungen und landesverraeterischen Aktionen werden sich bei der Finanzierung unserer schweizerischen Infrastruktur (sprich weniger Steuereinnahmen) bald bemerkbar machen.

    Gerne spende ich SFR 1,000 wenn sie ein ausfuehrliches Buch ueber die Machenschaften der UBS/FINMA in Angriff nehmen sollten. Es ist Schweizer Geschichte und wir sollten dies fuer alle Zeit festhalten. Haltiner ist nichts anderes als ein Marcel Pillet Golat oder ein Heinrich Rothmund (Kollaboratore der Nazis, resp. der IRS).
    Alles Gute und vielen Dank fuer Ihren Artikel.
    Mit freundlichen Gruessen
    Hans Rohner


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