„Was sollen die denn sonst mit dem Geld machen?“

Leonhard Fischer, bis vor einem Jahr Chef der Winterthur-Versicherungen, sieht die Investments asiatischer Staatsfonds als natürliche Entwicklung der Globalisierung. Als Partner einer Private-Equity-Firma sucht er weltweit interessante Firmenbeteiligungen.

BILANZ: Herr Fischer, als «Winterthur»-Chef waren Sie im Credit-Suisse-Konzern  Topmanager, nun agieren Sie als Partner einer Private-Equity-Gesellschaft quasi als Privatier.Leonhard Fischer: Na ja, im Ruhestand bin ich nicht. Das Beteiligungs- und Investmentgeschäft ist sehr facettenreich und voller unternehmerischer Herausforderungen.

Bei der CS sassen Sie in Sitzungen und fällten Entscheidungen. Was machen Sie heute, ausser in der Welt herumzufliegen?

__ Ganz einfach: Wir suchen Opportunitäten, um unser Know-how und das Kapital unserer Investmentgesellschaft zum Arbeiten zu bringen. Wir wollen bei Firmen einsteigen, bei denen wir etwas bewegen und Einfluss nehmen können.

RHJI, Ihr Investmentvehikel, kennt hierzulande kaum jemand. Man denkt einfach, Sie arbeiten für eine «Heuschrecke».

__ Der Begriff aus der deutschen Politik ist verständlicherweise plakativ, und eine Diskussion über die Tätigkeit meiner Branche finde ich wichtig. Nur ist das Wesen von Private-Equity-Firmen sehr vielfältig, wir haben alle unseren eigenen Stil.

Als Ex-Banker bringen Sie Finanz-Know-how ins Spiel. Ist für Sie bereits klar, dass die Subprime-Krise Amerika in eine Rezession stürzt?

__Mit pessimistischen Meinungen habe ich mich immer schwergetan. Wenn man Chancen statt Gefahren sieht, kann man mehr aus dem Leben machen. Natürlich wird es in Amerika einen Wirtschaftsabschwung geben. Die USA haben über ihre Verhältnisse gelebt, während China und andere Staaten im Osten in atemberaubender Geschwindigkeit gigantische Überschüsse und Reserven angehäuft haben. Das schafft strukturelle Ungleichgewichte, die sich in Beben entladen. Solange diese nur klein oder mittelgross sind, bricht die Welt nicht zusammen. Gleichwohl stellen diese Ungleichgewichte eine latente Bedrohung für die Weltwirtschaft dar.

Nun kommt aber zur Subprime-Krise die Dollarschwäche.

__ Das ist die logische Konsequenz. Die Amerikaner verteidigen ihr Wirtschaftswachstum mittels einer Überversorgung mit Dollars. Dass das Ausland immer noch Dollarpapiere kauft, obwohl die langfristigen Zinsen in den USA fallen, zeigt, dass die Mehrheit auch in Zukunft noch mit Wachstum in den Staaten rechnet. Die kurzfristige Rezessionsgefahr kommt von der hohen Verschuldung der privaten Haushalte im Zusammenhang mit der Immobilienblase. Dieser Exzess muss in nächster Zeit ausgeschwitzt werden: Der Konsum geht zurück, die Wirtschaft passt sich an, gleichzeitig fallen die Zinsen, und all das hat in letzter Zeit auf den Dollarkurs gedrückt. Diese Entwicklung ist zwar nicht ungefährlich, aber sie ist auch nicht a priori dramatisch, solange Asien und etwas weniger ausgeprägt Europa weiterwachsen.

Der Satz von der Lungenentzündung, die Europa kriege, wenn die USA einen Husten hätten, gilt nicht mehr?

__ Wenn die Amerikaner einen Husten bekommen, werden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen Schnupfen kriegen. Aber die Metapher von der Lungenentzündung aus den achtziger Jahren würde nur dann zutreffen, wenn nicht so viele Regionen wie etwa in Asien zu Wachstumsmärkten geworden wären. Heute gibt es viele bedeutende Wirtschaftsräume. Die USA sind sicher immer noch der wichtigste und haben auch weiterhin eine Lokomotivfunktion für den Rest der Weltwirtschaft – allerdings droht keine weltweite Wirtschaftskrise, wenn sie kränkeln. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, die weitere Entwicklung Chinas zu beobachten.

Und was erkennen Sie da?

__ Die chinesische Wirtschaft einzuschätzen, fällt mir schwer. Sie hat uns alle mit ihrem hohen Wachstum überrascht, entsprechend ist nun auch die Börse hochgeschnellt. Ein abruptes Kippen des Booms und der Wirtschaftshausse in China ist aus meiner Sicht die zurzeit grösste Gefahr für die Weltwirtschaft. Aber eine Prognose machen kann ich nicht, und ich glaube auch nicht, dass irgendjemand dazu in der Lage wäre. Das ist wie Pfeile werfen im dunklen Raum: Da kann man auch einmal mit Glück ins Schwarze treffen. China hat viele Regeln auf den Kopf gestellt, ist enorm gewachsen und konnte gleichzeitig grosse Reserven äufnen.

Eine ökonomische Supermaschine, die nach herkömmlichen Regeln längst hätte explodieren müssen?

__Im Nachhinein gibt es schon Erklärungen – doch Prognosen für die Zukunft sind unheimlich schwierig. China hat ja keine klassische Marktwirtschaft, sondern eine sogenannte gelenkte, in einem anderen politischen Umfeld, als wir es kennen. Wer weiss schon, was die nächsten Schritte der Chinesen sein werden? Nur eines ist sicher: Sollte das Wachstum dort plötzlich ausfallen, dann haben wir eine veritable Krise.

Die Welt im Blindflug?

__ In Amerika wussten wir schon vor drei Jahren, dass der Immobilienmarkt überhitzt war. Nur der Zeitpunkt des Kippens war unbekannt. Mit ihrem übermässigen und leichtfertigen Umgang mit Häuserspekulation sind die USA ganz bewusst ein Risiko eingegangen und bezahlen nun den Preis dafür. Bei China sind wir hingegen noch nicht einmal richtig in der Lage, die Risiken einzuschätzen. Das Land ist so gross und hat sich strukturell in kürzester Zeit so tief greifend verändert, und das hat zu derart hohen Wachstumsraten und Reservenbildung geführt, dass die klassischen Definitionen nicht mehr greifen.

Bleibt uns nichts anderes, als zu hoffen, dass die chinesische Wirtschaft weiterhin auf Hochtouren läuft und einen Ausgleich schafft?

__ Ja, und zwar umso mehr, als China zum immer wichtigeren Importeur für unsere Industriegüter und langlebigen Luxus- und Konsumwaren wird. Davon profitieren wir in Europa.

Chinesische Staatsfonds kaufen sich in westliche Banken ein. Überrascht?

__Chinas Währungsreserven sind von 200 Milliarden auf 1400 Milliarden Dollar gestiegen. Wer Geld hat, kann im Markt die Musik spielen lassen. Diesen Fakt müssen wir akzeptieren. Wir haben das zum Teil übersehen, weil wir im Westen von der grossen Spekulation der letzten drei Jahre profitierten. Nun erkennen wir, dass neue Investoren entscheidenden Einfluss auf die Weltkapitalmärkte ausüben. Das ist ein Paradigmenwechsel. Nur ist der nahe liegend: Was sollen die denn sonst mit dem Geld machen?

Was verändert sich für uns?

__Es ist eine langsame Erosion der Bedeutung von uns Investoren aus dem Westen. Das Paradoxe ist, dass wir unsere Altersvorsorge durch Investitionen in Wachstumsländern sichern wollten und jetzt damit konfrontiert werden, dass diese genau das Gleiche bei uns wollen. Nach Lehrbuch sollten die Chinesen in der Aufbauphase eigentlich ein Leistungsbilanzdefizit ausweisen und auf unsere Investitionen angewiesen sein. Ihre merkantilistische Wirtschaftspolitik mit Akkumulation hoher Währungsreserven – einfach mit Dollars statt wie früher mit Gold – macht die Chinesen jedoch zu Investoren in der Welt. Das führt zu Verwerfungen in den Finanzsystemen, und wie diese sich am Ende auswirken, ist für mich die ganz grosse Frage. Die Amerikaner werden kaum dazu bereit sein, die angehäuften Schulden zu realen Preisen zurückzuzahlen, sondern zielen via Dollarabschwächung und Inflation auf einen Abschlag. Das wissen die Chinesen natürlich, doch sie haben keine Wahl. Solange sie in die USA exportieren wollen, müssen sie Dollars erwerben. Nun suchen sie eben eine höhere Rendite, indem sie statt Staatsanleihen Firmenbeteiligungen kaufen.

Verstehen Sie die Befürchtungen bei uns, wenn ein asiatischer Staatsfonds zur grössten Aktionärin der UBS wird?

__Veränderungen machen immer Angst. Plötzlich tauchen neue Spieler auf, die man nicht gut kennt. Es ist Aufgabe dieser Staatsfonds, die Unsicherheit abzubauen. Aber wir sollten nicht übertreiben. Was kann schon passieren, wenn ein Staatsfonds fünf oder zehn Prozent an einem Unternehmen besitzt? Damit kann er doch nicht das Land kontrollieren. Wenn sich Investoren unbotmässig verhalten, kann jeder Staat autonom die Aktionärsrechte einschränken, zumal in regulierten Branchen wie der Finanzindustrie.

Die UBS wird mit Bezug auf ihren neuen Grossinvestor «Union Bank of Singapore» genannt. Finden Sie nationalistische Ängste falsch?

__ Dafür ist es zu spät. Das Geld, das die neuen Mitspieler anlegen wollen, haben sie von uns bekommen. Man kann nicht im Welthandel von den günstigen Preisen der Chinesen profitieren und vom Öl, das man ja braucht, um dann zu sagen, das Geld, das man dafür bezahlt hat, müsse jetzt verbuddelt werden. Wir würden im Gegenteil den Welthandel aufs Spiel setzen, wenn wir die Finanzmärkte übermässig einschränkten. Jede Nation wird aber darauf achten, dass die Veränderungen in einem gesunden Rahmen stattfinden.

Wir hatten unsere Zeit, jetzt kommt jene der anderen.

__ Wir haben relativ an Bedeutung verloren, Punkt. Und allmählich wachen wir auf und merken es. Lesen konnten wir es schon seit Jahren – nur geglaubt haben wir es lange nicht, weil wir uns stattdessen über Private Equity und Hedge Funds unterhielten. Wir leben eben in einer Welt, in der die reale ökonomische Vernetzung auch eine Finanzvernetzung erzeugt. Und so kann die Globalisierung nur dazu führen, dass wir relativ an Macht verlieren.

Wie sollten wir reagieren?

__ An unsere Prinzipien glauben, die da sind: Freiheit, fairer Wettbewerb und Freizügigkeit der Geld- und Warenmärkte. Diesen Wertekanon sollten und werden wir verteidigen. Darüber hinaus müssen wir akzeptieren, dass die Menschen in Asien von ihrem guten Recht Gebrauch machen, das viele Geld bei uns anzulegen.

Bis zu welchem Punkt?

__ Wenn wir weniger asiatische Staatsfonds wollen, müssen die Amerikaner zuerst ihr Leistungsbilanzdefizit abbauen. Dann brauchten sie auch nicht mehr so viel Geld zu importieren. Europa ist relativ ausgeglichen. Die Schweizer sind sogar Netto-Kapitalexporteure: Sie investieren in der ganzen Welt, arbeiten fleissig, akkumulieren grosse Überschüsse, sparen und legen ihr Geld in allen Ländern an. Am Ende weiss jeder Investor, der sich im Ausland engagiert, dass er auf den Goodwill des Landes angewiesen ist, denn nach wie vor gilt das politische Primat. Deshalb sind alle daran interessiert, friedvoll miteinander umzugehen. Und dazu gehört eben auch, dem Ethos verpflichtet zu bleiben, dass jemand sein hart verdientes Geld bei uns anlegen darf.

Wären die Asiaten auch ohne Subprime-Milliardenverluste zu uns gekommen?

__Die Subprime-Krise zeigt vor allem, dass wir in der Einschätzung von Risiken nicht allein auf Computermodelle vertrauen sollten, sondern auch den guten, alten gesunden Menschenverstand heranziehen sollten. Also nicht alle Eier in einen Korb legen. Nicht glauben, dass die Gravitationskraft dieser Welt für Finanztüftler aufgehoben ist und man aus Blei Gold machen kann, wie die Alchimie das schon versuchte. Nicht meinen, dass in einer Welt derart grosser Strukturbrüche Vergangenheitsdaten gute Indikatoren für die Zukunft sind. Das ist doch das Paradoxe: Wir leben in einer Globalisierung, in der sich die Welt stetig verändert, und glauben gleichzeitig, anhand einer vor den Strukturbrüchen erhobenen Datenbasis Aussagen machen zu können, mit welcher Wahrscheinlichkeit gewisse soziologische Ereignisse eintreten.

Sie empfehlen Optimismus und raten gleichzeitig zu Vorsicht. Wie passt das zusammen?

__ Neben einer gesunden Skepsis rate ich zu Mut zum Risiko. Denn in einer Welt, die sich dramatisch verändert, gehört neben Arbeit, Wissen, Kreativität und Innovation auch die Risikobereitschaft zu jenen Faktoren, die den Erfolg von Nationen oder Wirtschaftsräumen ausmacht.


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