Charlies Engel kommen aus Zürich

Charles von Graffenried verkauft seine Berner Espace Gruppe ausgerechnet an die Zürcher Erzfeindin Tamedia. Eine Überraschung, die keine ist.

Erwin Reinhardt-Scherz ist ein freundlicher älterer Herr. Obwohl er bereits zu Tisch gegangen ist und das Abendbrot vor sich stehen hat, nimmt der 78-jährige den Hörer in die Hand und spricht mit dem Anrufer über den Verkauf des Berner Verlagshauses Espace Media. „Es geht nicht darum, ob wir den richtigen Zeitpunkt erwischt haben“, sagt Reinhardt, „sondern um die Erkenntnis, dass der Schritt nötig ist.“ Er und seine Frau, die gut die Hälfte des Berner Verlags besitzen, hätten mit ihrem Partner Charles von Graffenried die Zukunft à fonds analysiert und seien zum Schluss gekommen, dass „die Inserateeinnahmen trotz Aufschwung sinken, die Sonntags- und Gratiszeitungen boomen, TV und Internet Werbegelder wegschnappen und die Investitionsummen immer höher“ würden. „“n den letzten Monaten prüften wir alle Varianten, vom Alleingang über Kooperationen bis hin zum Verkauf, und sogar Angebote aus dem Ausland schauten wir uns an“, sagt Reinhardt. Dass die Firma schliesslich bei der Zürcher Tamedia landete, sei am Ende die naheliegendste Lösung gewesen, selbst wenn der Preis von 315 Millionen Franken für das 80-Prozent-Paket der drei Grossaktionäre „kein phänomenaler“ sei.

Reinhardts Aussagen passen zu jenen von Matthias Hagemann, Verleger der Basler Zeitung, der unmittelbar nach Bekanntwerden der Transaktion Ende Mai von einem „Erdbeben der Stärke 12“ sprach. Dass die Berner Vieles geprüft hätten, habe er seit einiger Zeit gewusst, sagt Hagemann im Gespräch mit dem Schweizer Journalist. Seine Gruppe, zu der die Basler Zeitung gehört, hätte denn auch gerne „gemeinsame Projekte mit den Bernern“ realisiert. Zum Handschlag sei es nicht gekommen, weil die Eigentümer die ganze Gruppe an die mächtige Tamedia mit dem Flaggschiff Tages-Anzeiger verkaufen wollten.

Zuletzt ging es für die Verkäufer offenbar nur noch darum, durch das Einholen verschiedener Angebote möglichst viel aus Zürich herauszuschlagen. Dass die Berner geschickt Konkurrenzangebote ins Spiel brachten, ist zumindest für den Basler Hagemann klar. „Anfänglich sassen noch andere als die Tamedia am Verhandlungstisch“, sagt er.

In Zukunft fallen die Entscheide im Schweizer Medienepizentrum an der Limmatstadt. Und dies, obwohl die Berner das Wasser noch längst nicht am Hals haben, im Gegenteil: Mit einem Gewinn von 23 Millionen Franken, erzielt auf einen Umsatz von 250 Millionen, zählen sie zu den rentablen Häusern des Schweizer Zeitungsgeschäfts, und die 1000 Mitarbeiter mussten vorläufig nicht um ihre Stelle fürchten. Mit einem Mix aus geschickten Fusionen und agressiven Akquisitionen hievte sich die Espace Media auf den Thron des regionalen Zeitungsfürsten. Heute gehören ihr die Berner Zeitung mit ihren assozierten Blättern (Thuner Tagblatt, Berner Oberländer, Solothurner Tagblatt), der Stadtberner Bund, verschiedene Gratis- und Lokalzeitungen, Fachmedien, Lokalradios und eine Fernsehstation.

Was also sind die wahren Gründe für die plötzliche Aufgabe der Selbstständigkeit, die laut dem Basler Hagemann die Schweizer Medienlandschaft „wie noch kein anderer Deal“ umpflügen wird? Die Antwort trägt den Namen jenes Mannes, der zu den grössten Strategen seiner Zunft zählt. Charles von Graffenried, der 82-jährige Patriarch, der es neben dem Zeitungsbusiness auch im Immobilien-, Bank-, Treuhand- und Rechtsanwaltsgeschäft zu grossem Reichtum gebracht hat, schaltete und waltete bei der Berner Mediengruppe jahrzehntelang nach Belieben. Zwar besass er lediglich eine Minderheit, doch das Ehepaar Reinhardt-Scherz war froh, wenn sich ihr langjähriger Partner dem Verlagsgeschäft annahm. Nicht einmal im Verwaltungsrat sitzt Erwin Reinhardt, sondern nur in einem Beirat.

Wie gross von Graffenrieds unternehmerischer Freiraum war, zeigte sich exemplarisch bei seinem letzten Sololauf. Der ehrgeizige Millionär, der als die „Inkarnation des Geldmanagers“ gilt, hielt sein ganzes Umfeld zum Narren. Ununterbrochen sprach er vom Berner Medienalleingang und wies die Zürcher mit markigen Sprüchen wie „Die Berner Medien den Bernern“ in die Schranken. Während sowohl die Branche als auch die eigenen Manager seine Äusserungen für bare Münze hielten, gelangte von Graffenried im stillen Kämmerlein zu einem gänzlich anderen Schluss. Die Zeit für die grosse Konsolidierung im Schweizer Printmarkt war in seinen Augen gekommen. Wer jetzt nicht verkauft, den wird der Markt mit tieferen Preisen bestrafen, war von Graffenried plötzlich überzeugt. Der Patrizier mit eigenem Schloss vor den Toren Berns hat diese Erfahrung zuletzt selbst gemacht. Gerüchteweise soll der Chef der Espace Media bis vor kurzem über 500 Millionen Franken für die Anteile seiner Aktionärsgruppe gefordert haben – erfolglos.

Dramatische Veränderungen stehen vor den Toren, was bald vielen dämmern wird, ist von Graffenrieds Sohn Michael überzeugt, ein bekannter Fotograf, der in Paris lebt. Sein Vater sei eben „schon immer mutiger, konsequenter und fortschrittlicher“ als die übrigen Schweizer Verleger gewesen, glaubt der 50-jährige. „Mit einiger Verzögerung“ sei ihm die Konkurrenz dann jeweils gefolgt. Im zusammen rückenden Europa bietet ein Markt von der Grösse der Schweiz höchstens Platz für zwei grosse Zeitungshäuser, sagt Michael von Graffenried. Das habe sein Vater erkannt, und deshalb habe er jetzt und nicht erst in ein paar Jahren sein Lebenswerk verkauft. Dass dieses ausgerechnet beim einstigen Erzfeind landet, sei für einen scharf kalkulierenden Unternehmer wie sein Vater kein Hinderungsgrund.

Zwischen von Graffenrieds Espace Media und der Zürcher Tamedia bestehen seit langem enge Banden. Die Zürcher sind an deren wichtigstem Produkt, der Berner Zeitung, beteiligt, wo sie mit zwei Leuten im Verwaltungsrat sitzen. Espace Media ihrerseits besitzt kleinere Anteile an der Gratiszeitung 20 Minuten und der SonntagsZeitung, beides erfolgreiche Zeitungen der Tamedia-Gruppe. Die enge Verflechtung hätte einen Verkauf an eine Drittpartei schwierig gemacht. Von Vorteil war auch die kürzliche Stabsübergabe vom langjährigen Tamedia-Präsidenten Hans Heinrich Coninx an seinen Neffen Pietro Supino. „Von Graffenried wollte Coninx unter keinen Umständen den Triumph einer Übernahme gönnen“, ist ein ehemaliger Kadermann der Berner Zeitung überzeugt. Der Berner halte Coninx für keine starke Figur, während er Supino wegen dessen intellektuellen Fähigkeiten respektiere. Dafür spricht ein Interview mit Coninx im Branchendienst persoenlich.com, in dem dieser zwischen den Zeilen zugibt, keine entscheidende Rolle bei der Transaktion gespielt zu haben. Supino und von Graffenried standen für ein Gespräch nicht zur Verfügung.

Charlie, wie von Graffenried in der Berner Szene heisst, legt sein Reich in die Hände von Zürcher Engeln. Dem geschäftstüchtigen Patriarchen, der trotz seinem Alter immer noch im Eilschritt durch die Berner Marktgasse stürmt, bleibt ein Sitz im Tamedia-VR. Von Graffenried sei „ein Castro-Typ“, sagt ein Weggefährte über den einstigen Panzeroberst. „Der bleibt, bis er umfällt.“

„Jetzt hat er seinen Espace halt bis nach Zürich ausgedehnt.“

Michael von Graffenried, 50, über das Motiv seines Vaters Charles von Graffenried, die Espace-Media-Gruppe an die Zürcher Tamedia zu verkaufen.

Herr von Graffenried, warum wurden Sie nicht Nachfolger Ihres Vaters an der Spitze der Berner Espace Gruppe?

Michael von Graffenried: Diesen Entscheid habe ich mit 10 oder 15 Jahren gefällt, er lautete für die Kunst und gegen das Unternehmertum. Seither gab es daran nichts zu rütteln.

Der Verkauf der Espace Gruppe an die Zürcher Tamedia lässt Sie kalt?

Graffenried: Als Fotograf bin seit Jahren in der globalen Presselandschaft unterwegs. Von meinem Wohnsitz Paris aus sehe ich, wie die Konzentration in der Medienindustrie voranschreitet. Mit Glück wird ein einzelnes Land wie die Schweiz in Zukunft noch zwei sich bekämpfende Medienhäuser haben.

Deshalb hat Ihr Vater verkauft?

Graffenried: Er war schon immer mutiger, konsequenter und fortschrittlicher als die anderen Schweizer Verleger. Mit einiger Verzögerung sind sie ihm dann jeweils gefolgt. Er hat gesehen, dass er froh sein muss, wenn er für seine Espace Gruppe überhaupt noch einen Schweizer Abnehmer findet. In Österreich sind die Printmedien bereits in den Händen grosser deutscher Verlagshäuser. Statt einem Ausländer gab er nun halt der Zürcher Tamedia den Vorzug.

Ausgerechnet dem potenten Zürcher Verlag, vor dessen Dominanz Ihr Vater stets warnte.

Graffenried: Mein Vater sah sich als Unternehmer und nicht als Journalist, im Unterschied zu Michael Ringier, der einst das publizistische Handwerk beim deutschen Magazin Stern lernte. Arbeitsplätze schaffen, Unternehmen kaufen und verkaufen, Geld verdienen – das sind die Kräfte, die meinen Vater antreiben. Nun hat er einen knallharten Entscheid aufgrund einer tiefen Analyse gefällt. Wenn Bern zu klein fürs Geschäft geworden ist, dann ist die Schweiz für den Moment gerade noch gross genug. Zur welschen Edipresse hätte seine Gruppe nicht gepasst, ebenso wenig zu Ringier, die mit Regionalzeitungen viel Geld verloren hat. Die NZZ muss schauen, dass sie überhaupt noch irgendwo Geld verdient. Zuletzt blieb die Tamedia übrig. In seiner Vorstellung hat er nun halt seinen Berner „Espace“ bis nach Zürich ausgedehnt.

Bleibt in Bern unter Zürcher Herrschaft alles beim Alten?

Graffenried: Die Frage müsste eher lauten, wie lange sich die Tamedia im zusammen wachsenden Europa noch als unabhängige Kraft halten kann.


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