Schindlers Probe

Auch sechs Monate nach dem tödlichen Liftunfall in Tokio wartet Schindler auf den Untersuchungsbericht – ­ die Medien entlasten die Luzerner.

Die Firma, deren Aufzüge täglich von 700 Millionen Menschen benutzt werden und für die Produktsicherheit oberstes Gebot ist, blieb lange von Unglücken verschont. Bis vor einem halben Jahr ein Todesfall den Konzern in seinen Grundfesten erschütterte.

An jenem Samstagabend, dem 3. Juni, schoss ein Schindler-Lift in einem Hochhaus der japanischen Hauptstadt unvermittelt in die Höhe ­ bei geöffneter Tür. Ein 16-jähriger Junge, der, auf seinem Mountainbike sitzend, rückwärts aus dem Lift rollte, wurde zwischen Liftboden und Decke eingeklemmt und erlag seinen Verletzungen. Statt sich wie in der japanischen Kultur üblich sofort für die Tragödie zu entschuldigen, wiesen die Schweizer zu Beginn jegliche Verantwortung weit von sich.

Schindler dachte irrtümlicherweise, dass eine Entschuldigung als Schuldeingeständnis und nicht als Mitleidsbezeugung gelten würde. Erst als sich auch Tage später der Sturm der Entrüstung nicht mehr legen wollte, begab sich der Schweizer Konzernleiter Roland Hess auf eine mehrtätige Goodwilltour.

Offenbar ist die japanische Lektion dem Unternehmen tief unter die Haut gegangen. Denn seit der Krise im Frühsommer, als der Aktienkurs als Reaktion auf die Empörungswelle innert drei Tagen um elf Prozent absackte, verhält sich der Konzern geschickter. So unterstützt Schindler die japanischen Behörden bei deren Suche nach der Unfallursache. In der Prüfwerkstatt am Hauptsitz in Ebikon LU wird der Unfall von Tokio simuliert. Und die Untersuchungen am Unglücksort wurden ebenfalls unter Mithilfe von Schindler durchgeführt.

Doch sechs Monate nach dem Unglück fehlt der offizielle Untersuchungsbericht der Polizei immer noch. Ein Schindler-Sprecher sagt, man sei an einem raschen Abschluss der Ermittlungen interessiert, denn erst dann dürfe das Unternehmen zum Vorfall wieder Stellung nehmen. Aus japanischen Zeitungsberichten geht aber hervor, dass an den Schweizern vermutlich nichts haften bleibt. Schindler hatte zwar den Aufzug ins 23-stöckige Haus eingebaut und während Jahren gewartet. Doch über ein Jahr vor dem Unglück verlor das Unternehmen diesen Auftrag an zwei japanische Unterhaltsfirmen.

Die Firma SEC Elevator gab an, sie habe acht Tage vor dem Unglück Wartungsarbeiten durchgeführt. Dazu gehörte auch die Überprüfung des Bremssystems. Dieses versagte offensichtlich am Unglückstag. Das System besteht aus zwei Kompressoren, die auf eine Bremstrommel pressen und dadurch den Aufzug stoppen und im Stillstand halten. Japanische Zeitungen berichten mit Verweis auf Untersuchungen der Polizei, dass einige Schrauben an den Kompressoren gelockert waren. Möglicherweise konnten die Kompressoren in der Folge nicht genügend Druck auf die Trommel erzeugen, und der Aufzug geriet trotz geöffneter Tür in rasche Fahrt.


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