Kein Wind in den Segeln

Die CS hat endlich die Winterthur verkauft. Jetzt will sie den Rückstand aufholen. Die Chancen dazu stehen schlecht.

Der Verkauf der Winterthur-Versicherung an die französische Axa löste Aufbruchstimmung am Zürcher Paradeplatz aus. «Jetzt können wir uns zu 150 Prozent dem widmen, worin wir uns am besten auskennen, dem Bankgeschäft», freut sich Oswald Grübel, CEO der Credit Suisse (CS). «Wir haben nun eine bewegliche, strategisch gut aufgestellte Bank», stimmte CS-Präsident Walter Kielholz in den Chor ein.

Der Jubel ist fehl am Platz. Denn die CS hat mit ihrem Ausflug ins Versicherungsgeschäft 1997 und dem überteuerten Kauf einer Investmentbank im Jahr 2000 ein ganzes Jahrzehnt verloren. Während die Konkurrenz die Weichen für die Zukunft stellte und ihre Gewinne für Zukäufe einsetzte, war die CS mit sich selbst beschäftigt. Dieser Rückstand, da können die CS-Oberen noch so rosige Zukunftsszenarien zeichnen, lässt sich kaum wettmachen.

Für grosse Sprünge fehlen der CS sowohl Visionen als auch Mittel. Von den 12 Milliarden Franken, welche der Winterthur-Verkauf bis Ende Jahr in die Kassen spült, steht nur die Hälfte zur freien Verfügung. Und selbst davon ist nur ein kleiner Teil für Akquisitionen einsetzbar.

Die Rechnung ist schnell gemacht: Je ein Drittel benötigt die CS für weitere Aktienrückkäufe und für die Stärkung ihrer Bilanz wegen neuer Eigenmittelvorschriften. Beide Massnahmen sollen helfen, den Aktienkurs nach oben zu bringen. Unter dem Strich verbleiben zwei Milliarden Franken, die für den Kauf einer Bank in den USA oder in aufstrebenden Märkten in Asien oder Lateinamerika eingesetzt werden können. Bei den heutigen Preisen reicht das nicht weit, wie das Beispiel der UBS zeigt, die kürzlich für eine brasilianische Investmentbank knapp vier Milliarden Franken aufwerfen musste. Was der Konkurrent locker finanzieren konnte, liegt für die CS ausser Reichweite. Der grosse Aufbruch wird ausbleiben.

Weltmarktleader-Traum ade

Entsprechend zeichnen Finanzmarkt-Profis ein ernüchterndes Bild. «Die CS bleibt auf sehr lange Sicht hinaus hinter der UBS zurück», urteilt Analyst Peter Casanova von der Bank Sal. Oppenheim in Zürich. Claudia Meier von Vontobel doppelt nach: «Der CS fehlt es noch an Beständigkeit.»

Längst ist klar, was die CS sein kann – und was nicht: Statt auf dem globalen Parkett eine führende Rolle zu spielen, bleibt sie eine grosse europäische Vermögensverwaltungsbank mit einigen ausgewählten internationalen Aktivitäten. Vom lang gehegten Traum einer Weltmarktleaderin muss sie Abschied nehmen.

Wie weit die CS inzwischen zurückgefallen ist, zeigt der Grössenvergleich mit der UBS. Ende 2005 verwaltete die Bank 1500 Milliarden Franken Vermögen, bei der UBS waren es 2700 Milliarden. Im Private Banking, dem Geschäft mit den reichsten Kunden, verdiente die CS im letzten Jahr 2,6 Milliarden Franken, die UBS 4,1 Milliarden. Der CS flossen 2005 58 Milliarden Franken Neugelder zu, bei der UBS waren es historisch hohe 150 Milliarden. An der Börse wird die CS noch mit 80 Milliarden Franken eingeschätzt und liegt auf Platz 84 in der Rangliste der weltgrössten Unternehmen, die UBS hält mit 140 Milliarden Platz 31. Kurz: Die CS ist gerade noch eine halbe UBS.

Der Rückstand zeigt sich auch im internationalen Firmengeschäft, dem Investment Banking. Die UBS ist heute die weltweit grösste Aktienhändlerin, jede neunte Aktie wird über ihr System gehandelt. So verdiente sie im vergangenen Jahr im Investment Banking über fünf Milliarden Franken. Die CS kam nur auf eine Milliarde, ihr Investment Banking war in den letzten fünf Jahren das grosse Sorgenkind. Nach riskanten Geschäften in Asien, Lateinamerika und den USA musste sich die CS aus Verlust bringenden Geschäften zurückziehen und Reserven für drohende Strafen bilden. Heute erinnert nichts mehr an die Zeit, als die traditionsreiche CS-Handelstochter First Boston zu den grossen Häusern an der Wallstreet gehörte.

Die scharfe Korrektur ist angeblich gewollt: «Wir konzentrieren uns auf unsere Stärken», begründet CS-Sprecher Andrés Luther. «Das beginnt sich auszuzahlen.» Tatsächlich überzeugte die CS im ersten Quartal des laufenden Jahres mit einem Gewinn im Investment Banking von anderthalb Milliarden. Das ist fast so viel, wie die UBS auswies. Ein Unterschied bleibt allerdings: Während die UBS auch im Investment Banking global führend sein will, schraubt die CS die eigenen Ambitionen herunter.

Grübel blieb Börsenhändler

In seinen vier Jahren an der Spitze hat Oswald Grübel die CS nicht an die Weltspitze zurückgeführt. Als grösste Leistung wird die Sanierung einer Bank bleiben, die im Sommer 2002 am Abgrund stand. Für Vontobel-Analystin Claudia Meier Grund für ein Lob: «Oswald Grübel hat es bis jetzt gut gemacht.»

Nur: Ist Sanierer Grübel der Richtige für die Zukunft der CS? Hat er eine genaue Vorstellung davon, wo seine Bank in fünf Jahren stehen soll und wie er sie dorthin bringen will?

Zweifel sind angebracht. Denn Grübel ist sein Leben lang Börsenhändler geblieben und hat nie den Schritt zum Strategen geschafft. Statt die beiden Standbeine Vermögensverwaltung und Investment Banking im Stil der UBS gezielt zu verstärken, lässt sich der Credit-Suisse-CEO lieber ins Tagesgeschäft einbinden. Weil er in zwei Jahren das Pensionsalter erreicht, fehlt ihm möglicherweise der Hunger für grosse Taten. Auch Präsident Walter Kielholz ist in Strategiefragen kein Ersatz, er hat seine Karriere im Versicherungsgeschäft gemacht und kennt nicht alle Zusammenhänge im Banking.

Vielleicht verzichtet die CS auf den überfälligen strategischen Schritt vorwärts, weil es im Kerngeschäft Private Banking immer noch brodelt. Joachim Strähle, Chef des CS-Asien-Geschäfts, verlässt die Bank und wird im September CEO der Basler Privatbank Sarasin. Ebenfalls weg ist Veit de Maddalena, ein junger Privatbankier mit Auslanderfahrung, der seit einigen Wochen Leiter des Zürcher Ablegers der internationalen Rothschild Bank ist. Weitere Abgänge werden aus den aufstrebenden Märkten in Indonesien und Argentinien sowie aus der Romandie gemeldet. Der CS fällt es schwer, die Vakanzen rasch zu besetzen. Der Chefposten im US-Privatkundengeschäft blieb ein Jahr lang verwaist, die Nachfolge von Joachim Strähle als Asien-Leiter ist weiterhin ungeklärt.

Hans Geiger, Bankenprofessor an der Universität Zürich und in den Neunzigerjahren Mitglied der Konzernleitung der CS, sieht in den Managerverlusten das grösste Risiko für die Credit Suisse. Die Bank habe zu viele gute Leute verloren. «Die furchtbaren McKinsey-Jahre haben die Managerdecke ausgedünnt», sagt Geiger. Die Liste abgesprungener oder geschasster CS-Banker liest sich wie ein Who’s who der globalen Finanzindustrie: Hans-Jörg Rudloff und sein CEO Bob Diamond sind heute bei der englischen Barclays, Josef Ackermann bei der Deutschen Bank, John Costas bei der UBS, John Mack bei der amerikanischen Morgan Stanley. Weitere bekannte Ex-CS-Leute finden sich auf Schweizer Chefsesseln: Rolf Dörig bei Swiss Life, Olivier Steimer bei der Waadtländer Kantonalbank, Alex Widmer bei Julius Bär. Widmer ist derzeit besonders aktiv beim Abwerben ehemaliger CS-Private-Banker.

Aufbauarbeit zunichte gemacht

Ein zweites Problem für Grübel ist mangelnde Geschäftsethik. Immer wieder fallen Aussenstellen fernab der Zürcher Zentrale durch illegale Machenschaften auf. Früher konnte er diese Vorfälle als Altlasten aus der Zeit seiner Vorgänger abtun. Nun gehen die Skandale ganz auf sein eigenes Konto.

So wie im brasilianischen São Paulo. Dort stürmte die Polizei diesen Frühling das Büro der CS und setzte einen aus der Schweiz eingereisten Vermögensverwalter zehn Tage lang in Untersuchungshaft. Viele Kunden, die mit Hilfe der CS und deren externen Geldwechslern jahrelang Schwarzgeld aus dem Land schaffen konnten, müssen mit hohen Strafen rechnen. Die Aufbauarbeit der CS, sagt ein Brasilianer, der für eine andere Bank in São Paulo tätig ist, sei für lange Zeit zerstört. Kein Kunde werde weiterhin sein Geld zur CS tragen.

Im Fall der kollabierten texanischen Energiehändlerin Enron muss die CS ebenfalls bluten. Für 90 Millionen Dollar schloss sie einen Vergleich und verhinderte dadurch einen Prozess. Für ein weiteres Verfahren hat sie gar eine Milliarde Dollar zurückgestellt.

Die Beispiele zeigen, dass die CS immer noch bereit ist, für kurzfristige Gewinne hohe Risiken einzugehen. Dagegen sticht die vorsichtige Gangart der UBS ins Auge. In Brasilien verzichtete sie auf eine Zusammenarbeit mit den illegalen Geldwechslern. Zwar geriet sie dadurch ins Hintertreffen, konnte nun aber durch die Übernahme der Banco Pactual einmal mehr an der CS vorbeiziehen.

Vieles spricht dafür, dass die CS in den verbleibenden zwei Jahren unter Grübel keine Stricke mehr zerreissen wird. Als letztes Karriereziel will der 63-Jährige 2008 wie angekündigt mit 8 Milliarden Franken Gewinn von Bord gehen. Eine Grossakquisition ist dafür weder notwendig noch Erfolg versprechend. So wird Grübel eine Bank übergeben, die saniert ist und Milliardengewinne erwirtschaftet, der aber die Kraft fehlt, ohne fremde Hilfe zu den Globalplayern aufzuschliessen.

Fischer, Rohner, Dörig als CEO

Der Mann für den nötigen Befreiungsschlag, etwa durch Grossfusion, wäre vielleicht Winterthur-Chef Leonhard Fischer. Der 43-Jährige hat mit dem Winterthur-Verkauf gezeigt, dass er als ehemaliger Chef der deutschen Investmentbank Dresdner das Geschäft der Firmendeals beherrscht. Sein schärfster Konkurrent für den CEO-Job heisst Urs Rohner, 47. Der CS-Chefjurist leitete bis 2004 die deutsche Fernsehkette Pro 7 Sat 1 und verfügt ebenfalls über Auslanderfahrung. Zurückgefallen im Rennen auf den Chefsessel ist hingegen Kronprinz Walter Berchtold: Ihm werden die Abgänge im Private Banking angekreidet. Als Externer die besten Karten hat Rolf Dörig, Chef des Versicherers Swiss Life und bis 2002 Topmanager bei der Credit Suisse.

Für sie alle gilt: Ohne Schulterschluss der CS mit einem Konkurrenten übernähmen sie das Steuer einer Bank, die ein Schatten ihrer selbst geworden ist.


Einen Kommentar schreiben