Ubs, sorry!

Der Schweizer Verleger Jürg Marquard hat die UBS über 32 Millionen Franken eingeklagt ­ sie soll sein Vermögen falsch verwaltet haben. Er gehört zu jenen, die gegen die Grossbank Betreibungen in der Höhe von insgesamt 639 Millionen eingeleitet haben.

Jürg Marquard hat sich über die Jahrzehnte ein stolzes Vermögen aufgebaut. Der Gründer der Jugendzeitschrift Pop Rocky wurde dank frühzeitiger Expansion nach Osteuropa zum reichen Medienunternehmer. Doch inzwischen hat ihn die Fortune verlassen. In den Jahren 1999 und 2000 verlor er bei der Anlage seines Vermögens einen zweistelligen Millionenbetrag. Die Schuld aber sieht der 59-jährige Unternehmer nicht bei sich selbst, sondern bei seiner damaligen Bank, der UBS.

Auf Anfrage der Weltwoche bestätigt Marquard, dass er die UBS über 32 Millionen Franken einklagt. «Im Rahmen meiner Vermögensverwaltung hat sich die UBS schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzungen zuschulden kommen lassen», lässt Marquard in einer schriftlichen Erklärung ausrichten. «Für die daraus entstandenen Schäden mache ich die Bank verantwortlich.» Nachdem alle Schriften zwischen den Parteien ausgetauscht sind, beginnt das Zürcher Bezirksgericht diesen Herbst mit der Arbeit. Sein übrig gebliebenes Vermögen hat der Selfmade-Millionär zu anderen Banken transferiert. Darüber hinaus will Marquard derzeit nichts sagen.

Illustre Schar von Klägern

Die 32-Millionen-Klage gegen die UBS ist nur ein Fall in einer ganzen Reihe. So listet der detaillierte Auszug aus dem Betreibungsregister für den Zürcher Hauptsitz der UBS seit Anfang 2002 ein veritables Who’s who der Schweizer Wirtschaft auf. Insgesamt 74 Firmen und Privatpersonen haben Betreibungen über total 639 Millionen Franken gegen die UBS ausstehend. Ein Teil davon wird vor Gericht eingeklagt. Unter den unzufriedenen Geschäftspartnern, die von angeblichen Sorgfaltspflichtverletzungen bis zu Lohnforderungen aus den unterschiedlichsten Gründen die UBS betreiben, finden sich neben Einzelpersonen auch bekannte Firmen wie die Supra-Krankenkasse (Forderung: 3,5 Millionen Franken), die Zürich-Versicherung (350000 Franken), die Bank Linth (160000) und IBM Frankreich (75000). Sehr viel mehr fordert die Investmentbank Merrill Lynch. Sie betreibt die Grossbank über 83 Millionen Franken.

Die UBS äussert sich weder zum Fall Marquard noch zu den übrigen Betreibungen und Klagen, die in den letzten zweieinhalb Jahren gegen die Bank angestrengt wurden. Statt dessen beruft sie sich auf das Bankgeheimnis. «Hinter den Betreibungen gegen die UBS stehen ganz unterschiedliche Fälle», sagt Martin Frei. Den Rechtskonsulenten der UBS scheint die hohe Gesamtsumme nicht zu beunruhigen. «Wenn man bedenkt, dass es viel mehr Anwälte gibt als noch vor zehn Jahren, dann könnte man sagen, dass die Anzahl Betreibungen und deren Höhe gar nicht so erschreckend sind. Wenn man diese Zahl in Beziehung setzt zur wirtschaftlichen Bedeutung der Bank beziehungsweise zur riesigen Zahl von Kunden und Geschäftsfällen, ist sie sogar überraschend tief.» Zudem würden viele Fälle gar nie vor einen Richter kommen.

Stimmt Freis Einschätzung, müssten die Summen bei anderen grossen Banken etwa gleich hoch sein. Sie sind jedoch tiefer. Beispielsweise wurden gegen den Hauptsitz der Zürcher Kantonalbank, immerhin die Nummer drei der Schweiz, in der Zeit von Januar 2002 bis Juli dieses Jahres nur vier Betreibungen eingereicht. Gesamtsumme: 631000 Franken. Es würde sich nicht gut machen für eine Staatsbank, wenn es mehr wären, sagt eine Sprecherin der ZKB.

Einiges höher liegt die Summe bei der Credit Suisse, der zweiten Grossbank des Landes. Doch mit Betreibungen über insgesamt 325 Millionen Franken, die in der identischen Periode gegen ihren Zürcher Hauptsitz angestrengt wurden, kommt die CS lediglich auf die Hälfte des ausstehenden UBS-Betrags. Und selbst wenn man die Betreibungen ins Verhältnis zu den jeweiligen Bilanzsummen der zwei Finanzkonzerne setzt, steht die CS, die diese Zahl nicht kommentieren will, einiges besser da als die UBS.

Jeder gegen jeden

Betreibungen an sich sagen nichts aus über vielleicht später fällige Entschädigungen. Gegen Bezahlung einer kleinen Gebühr kann jeder gegen jeden eine Betreibung einreichen. Die Kosten beim Betreibungsamt Zürich 1, wo die Unternehmen der Finanz-City registriert sind, belaufen sich auf gerade mal 410 Franken für eingeforderte Summen von einer Million Franken und mehr.

Dennoch ist für die unzufriedenen Geschäftspartner die hohe Betreibungssumme Ausdruck einer aussergewöhnlich restriktiven Praxis der grössten Schweizer Bank. Sie stossen sich daran, dass die UBS als Betriebene nicht freiwillig auf ihren Verjährungsanspruch verzichtet, was deren Rechtskonsulent auch bestätigt. Das heisst: Wer verhindern will, dass seine Forderungen gegen die UBS nach einem Jahr verjähren, muss sie regelmässig neu anmelden ­ was jährliche Aufwendungen für den Rechtsanwalt und das Betreibungsamt nach sich zieht.

«Die UBS verhält sich nicht fair», klagt Rechtsanwalt Luigi Mattei aus Bellinzona, der die Krankenkasse Supra vertritt. «Andere Banken unterschreiben Verzichtserklärungen für Verjährungen, ohne zu zögern.»

So unterschiedlich die im Betreibungs-register aufgeführten Fälle sind, die Betroffenen skizzieren auf Anfrage der Weltwoche ein Verhaltensmuster der UBS, das sich zumindest durch aussergewöhnlich zähen Widerstand auszeichnet. So machten zwei Brüder aus Zürich wegen eines von der Bank empfohlenen Obligationengeschäfts einen Schaden von 15000 Franken geltend. Das Wertpapier hätte helfen sollen, legal Steuern zu sparen. Doch die Steuerverwaltung stopfte das Loch nach zwei Jahren. «Die Bank wurde vom Bund ordentlich über die Anpassung ins Bild gesetzt, hat es dann aber verpasst, die Information an uns weiterzuleiten», sagt einer der Brüder, der nicht namentlich genannt sein will. Neu fiel die Steuerbelastung am Ende der Laufzeit der Obligation an, weshalb ein vorzeitiger Verkauf Sinn gemacht hätte. Der Protest der Brüder fand erst auf oberster Unternehmensstufe Gehör ­ nachdem sie mit dem Abzug ihres gesamten Vermögens drohten. Innerhalb von Stunden erhielten sie ihr Geld zurückerstattet.

Andere Geschäftspartner unterstellen der Bank sogar, in einem ersten Schritt alle Forderungen ohne weitere Prüfung erst mal abzuweisen. Ihrer Meinung nach rechne die UBS damit, dass der überwiegende Teil der Betroffenen nach einer Weile freiwillig auf Klagen verzichten würde. Zu diesen Einzelpersonen, die im Unterschied zu den grossen Firmen ihrem Unmut freien Lauf lassen, gehört auch Marion van Gelder. Sie vertritt ihren Ehemann im Streit gegen die UBS. Im Mai 2000 wurde der Informatikspezialist von der Bank als externer Projektleiter angeheuert. Laut seiner Frau war vereinbart, das Arbeitsverhältnis nach sechs Monaten in eine feste Direktorenanstellung umzuwandeln. Nach nur drei Monaten sei dann jedoch das vorzeitige Aus gekommen, ihr Mann fristlos und ohne Abgeltung jeglicher Ansprüche auf die Strasse gestellt worden.

«Als wir von der Bank eine Entschädigung für Lohnausfall und Spesen verlangten, erweckten ihre Rechtsanwälte den Eindruck, dass man nicht vor den Richter wolle und einen Kompromiss anstrebe. Dann versuchten sie uns mit einem Butterbrot von 20000 Franken abzuspeisen. Die Freistellung meines Mannes bedeutete aber für uns eine tiefe Zäsur. Es folgten Jahre der Krise, wir mussten unsere Lebenshaltungskosten anpassen und unser ganzes Erspartes aufzehren.» Das Ehepaar van Gelder hat die UBS auf 185000 Franken betrieben.

Interne Schlichtungsstelle

Die UBS kommentiert zwar keine solchen Einzelfälle, weist die Kritik aber von sich. «Die Behauptung, die UBS würde alle Forderungen zuerst einmal aus Prinzip abweisen, ist falsch. Weil aber Fehler nicht immer eindeutig zugeordnet werden können, müssen wir jeden Fall genau analysieren. Für die Beurteilung spielen natürlich rechtliche und kommerzielle Kriterien, aber auch eine Einschätzung der Wirkung in Bezug auf den guten Ruf der Bank eine wichtige Rolle», sagt Rechtskonsulent Martin Frei. Er verweist auf das so genannte Quality-Management, eine interne Schlichtungsstelle, die sich mit Ausnahme von Spezialfällen als Erste der Reklamationen annimmt. Es handle sich um eine Art Mediation zwischen Bank und Kunde. Wenn keine Einigung zustande komme, würde die UBS oft empfehlen, den unabhängigen Ombudsmann der Banken zu konsultieren. Dessen Empfehlungen würde man in der Regel Folge leisten.

Dort hält derzeit der Stellvertreter des Ombudsmanns die Stellung. Martin Tschan, Ex-Kadermann in der UBS-Rechtsabteilung und Ex-Vorgesetzter von UBS-Konsulent Frei, will sich nicht zum Verhalten seines früheren Arbeitgebers äussern. Generell glaubt er aber nicht, dass die Grossbanken härter auftreten würden als früher. «Unsere Erfahrung zeigt, dass die Banken, auch die grossen, jeden einzelnen Fall seriös prüfen und dann entscheiden, ob sie die Forderung akzeptieren oder ablehnen.»

Knifflige Anwaltssuche[

Kann man sich weder in bilateralen Verhandlungen noch mit Hilfe des Ombudsmanns einigen, bleibt nur noch der Rechtsweg. Dann ist man auf einen erfahrenen Prozessanwalt angewiesen ­ ein Unterfangen, das sich oft als schwierig erweist. Viele gute Anwälte arbeiten bereits für die UBS. «Dann wird es für die Kläger schwierig, überhaupt einen Vertreter zu finden, der gewillt ist, gegen die UBS vorzugehen», sagt der Zürcher Verteidiger Felix Klaus von der Anwaltskanzlei Homberger.

Ein Prozess kann zudem teuer werden. Liegt der Streitwert über einer Million Franken, verlangt das Zürcher Handelsgericht allein für die eigenen Aufwendungen 46000 Franken. Hinzu kommen die Kosten für ein allfälliges Beweisverfahren sowie die Honorare für die Anwälte. Die gesamten Kosten können rasch 100000 Franken übersteigen. Günstiger kommt ein Prozess vor dem Bezirksgericht. In Zürich werden für Streitsummen von einer Million Franken zwischen 600 und 1600 Franken Gerichtskosten verrechnet. Welches Gericht zum Zuge kommt, ist abhängig vom Streitwert und vom Fall.

Aus Kostengründen belassen es viele Kläger deshalb bei einer wiederkehrenden Betreibung, ohne jemals vor Gericht zu gehen. Im Gegensatz zum Verleger Jürg Marquard, der sich gewisse juristische Unkosten leisten kann. Dieser tummelt sich derzeit noch auf einem Boot im Mittelmeer ­ sein Anwaltsteam hat bis im September Zeit, einen letzten Punkt darzulegen. Dann wird das Zürcher Bezirksgericht das Wort haben.


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