«Es geht immer um das Gleiche»

Der Mensch arbeitet, der Staat sagt ihm, wofür er sein Geld ausgeben muss. Eigenverantwortung, die grösste aller Bürgertugenden, steht zum Ausverkauf. Das wird böse enden, sagt Kurt Schiltknecht, Bankier mit SP-Vergangenheit.

Herr Schiltknecht, welche Prognose stellen Sie der Schweiz?

Keine gute. Wir sind im gleichen Fahrwasser wie Deutschland. Dort sieht man langsam das Ausmass der Krise. Irgendwann ist das Land derart heruntergewirtschaftet, dass es so wie in England zu einem Kollaps kommt. Dann kommt eine neue Regierung an die Macht und wird wie Maggie Thatcher das Ruder herumreissen.

Sie vergleichen die Schweiz mit dem England der streikenden Minenarbeiter? Das kann nicht Ihr Ernst sein.

Doch. Wir gehen in die gleiche Richtung. Die Poststelleninitiative und die Streiks in der öffentlichen Verwaltung sind erste Anzeichen. Gegen solche Ereignisse wird viel zu wenig Stellung bezogen. Wer gegen staatliche Leistung ist, ist unsozial und gilt als Egoist.

Warum will jeder zweite Schweizer das Poststellennetz in der Verfassung zementiert haben?

Das sozialistische, nicht das sozialdemokratische Gedankengut steckt in vielen Köpfen. Ein typisches Beispiel dafür war Finanzminister Kaspar Villiger. Immer sprach er von Sparen und Budgetausgleich, und im gleichen Atemzug forderte er neue Steuern. Unter keinem Finanzminister ist die Staatsquote derart hochgeschnellt wie unter ihm. Und keiner wurde so gelobt wie er.

Wie hat Villiger das geschafft?

Daniel Eckmann hat das für die Wirtschaft verheerende Aufblähen der staatlichen Aktivitäten mit seinen PR-Aktionen vernebelt. Weil ihm dies so gut gelungen ist, ist er mit einer hohen Abfindung vom Bund und mit einem Topjob bei der staatlichen SRG belohnt worden. Was der Bund zu seiner Zeit an Geld für Meinungsumfragen ausgegeben hat, nur um den Leuten nach dem Mund reden zu können, finde ich politisch unhaltbar.

Bundesrat Villiger und sein Berater sind gegangen, nun bestimmen Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz den Kurs des Landes. Damit dürfte für Sie alles gut sein.

Das Umdenken hat im Bundesrat leider noch nicht stattgefunden. In der Exekutive fehlt es an wirtschaftspolitischer Durchschlagskraft. Und das Parlament? Das Parlament ist nicht bereit, nachhaltige Änderungen vorzunehmen.

Woher soll die Rettung kommen, wenn der Bun-desrat wirtschaftspolitisch schlingert?

Ich weiss es nicht. Wir steuern jedenfalls auf ein ähnliches Schicksal zu wie Deutschland. Einen Vorteil haben wir: Wir können unsere eigene, bessere Geldpolitik machen. Deutschland ist im Europäischen Währungssystem eingebunden und kann deshalb die Geldpolitik nicht auf die eigenen Bedürfnisse ausrichten. Deshalb leidet das Land noch stärker unter seinen hausgemachten Strukturproblemen.

Alle Parteien rufen nach wirtschaftspolitischen Reformen, doch den Tatbeweis erbringt fast niemand. Woran liegt das?

Schauen Sie, man hat den Leuten in Europa vierzig Jahre lang eingeredet, dass der Staat für sie sorgt, wenn sie alt und krank sind. Man sagte: Wir können euch an jedem Örtchen eine Poststelle geben, wir können euch überall medizinische Versorgung garantieren, alles gratis oder zu einem günstigen Preis, wir haben für alles eine Versicherung. Irgendwann glaubten die Leute es den Politikern. In der Folge nahm die Eigenverantwortung ab. Früher war man der Auffassung, dass man für sein Schicksal selbst verantwortlich sei, und packte die Probleme, so gut es ging, von sich aus an.

Warum soll das heute anders sein?

Man geht einfach davon aus, dass der Staat im Notfall helfen wird. Zur Unterstützung der Arbeitslosen haben wir heute eine riesige Bürokratie mit vielen Programmen, die helfen sollen, die Arbeitslosen zu integrieren. Das finde ich falsch. Die Leute müssen wieder lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen, und möglichst rasch in den Arbeitsprozess zurückkehren.

Der Staat wuchert längst nicht überall. Spitäler verschwinden, Sozialämter bauen Stellen ab, die Schulen sparen, Beamtenlöhne werden gekürzt.

Sie täuschen sich. Der Staat breitet sich mit überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten aus, und der Schuldenberg wächst immer weiter. Wenn die Zinsen nur ein bisschen steigen, braucht der Staat einen grossen Teil der Einnahmen zur Begleichung der Zinsen. Wenn die jungen Leute sich heute für ihre Autos und Hobbys verschulden, dann kopieren sie lediglich das Verhalten der Politiker, die Schulden auftürmen, statt den Jungen ein Vorbild zu sein. Wenn man dann zur Schuldenlösung den Beamten die Löhne kürzt, finde ich das schlecht. Wir brauchen gute Beamte. Die entscheidende Frage ist nicht das Lohnniveau der Beamten, sondern die Frage, welche Leistungen der Staat erbringen muss und welche gestrichen werden können.

Alle Staaten verschulden sich, allen voran der Vorzeigestaat des Liberalismus, die USA. Warum soll dort richtig sein, was Sie hier verurteilen?

Das sind zwei Paar Schuhe. Kurzfristig mit Defiziten die Wirtschaft ankurbeln, wie das zurzeit die USA tun, macht Sinn oder hat bis vor kurzem Sinn gemacht. Die Schweiz aber hat das Problem, dass der langfristige Trend in Richtung Überschuldung geht. Wenn wir richtig rechnen, haben wir heute eine Staatsquote von über fünfzig Prozent. Das heisst, der Staat entscheidet über die Verwendung von mehr als der Hälfte unseres Einkommens. Je grösser aber der Staatshaushalt ist, desto kleiner ist der Spielraum der privaten Wirtschaft, um auf akute Probleme reagieren zu können. Wir haben die für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung notwendige Anpassungsfähigkeit verloren. Das ist für mich das fundamentale Problem.

Wer müsste den Hebel zuerst ansetzen, um die Blockade zu lösen?

Allein findet keiner die perfekte Lösung. Was wir tun können, ist, den Wettbewerbsgedanken zu fördern und der privaten Wirtschaft mehr Spielraum einzuräumen. Dann werden auch wieder mehr Menschen nach Lösungen suchen, daraus entsteht meist etwas Brauchbares.

Wie ist es möglich, dass die SVP mit ihrem Staatsabbau-Programm seit Jahren zulegt, ihre Präsenz im Bundesrat und in den Kantonsregierungen ausbaut, aber der Staat trotzdem wuchert wie noch nie?

Die SVP repräsentiert vor allem das Unbehagen der Leute und spricht dieses geschickt an. Aber eines der grössten Probleme der Schweiz, die Landwirtschaft, ist auch für die SVP tabu. Was wir in Kühe und Bauern investieren, ist angesichts der Globalisierung schlicht unbezahlbar. Doch die Landwirtschaftspolitiker sind Mehrheitsbeschaffer im Parlament. Will die Rechte die Subventionen kürzen, können die Bauern mit der Linken paktieren. Fordert die SP aber tiefere Preise, rücken sie nach rechts. Deshalb hätscheln alle Parteien weltweit den Bauernstand und seine politischen Vertreter. “‘

Was sind die Folgen?

Im Kanton Bern beispielsweise hatten SP und SVP ein Steuersystem geschaffen, das für die Bauern und Beamten, nicht aber für die Unternehmungen attraktiv war. Deshalb wurde der Kanton Bern so wenig industrialisiert. Die Unternehmungen haben sich dafür im Nachbarkanton Freiburg niedergelassen. Wir müssen aufpassen, dass der Finanzausgleich am Schluss nicht zu einer Belohnung für eine schlechte Finanz- und Steuerpolitik einzelner Kantone wird.

Sie plädieren für eine Wirtschaft mit möglichst wenig Staatsschranken. Die SP will das Gegenteil davon, sie will den Staat ausbauen. Warum sind Sie trotzdem bis vor kurzem SP-Mitglied geblieben?

Ich war schon lange nicht mehr aktiv, habe aber immer mit dem Gedankengut der Solidarität sympathisiert. Jede Gesellschaft muss sich für die Schwachen einsetzen. Das Geld den Reichen wegnehmen und es den Armen schenken, wie das die SP anstrebt, löst aber keine Probleme. Das wissen wir schon lange.

So einfach macht es sich die SP nicht.

Aber sicher. Hören Sie mal zu, was die Sozialdemokraten zum Steuersystem sagen. Die Reichen sollen stärker zur Kasse gebeten werden, neue Steuern sollen eingeführt werden, damit mehr für die Ärmeren bleibt. Ausserdem fordern sie mehr Steuerbeamte, um die Vermögenden noch stärker zu belästigen.

Was soll denn die SP sonst fordern? Mit Umverteilen befriedigt sie ihr klassisches Wählersegment.

Die SP sollte mehr oder, besser gesagt, wieder Wirtschaftswachstum anstreben. Schauen Sie, was die Geschichte lehrt: Nur dank Wachstum sind die Ärmeren wohlhabender geworden. In den 1930er, 1940er, vereinzelt sogar in den 1950er Jahren hatten die wenigsten ein Badezimmer, einen Eisschrank oder ein Auto. Kaum einer konnte in die Ferien oder ins Ausland gehen. Heute haben praktisch alle ein Badezimmer, sauberes Wasser, genug zu essen und eine gute medizinische Versorgung. Alle können einigermassen zivilisiert leben. Warum? Weil wir Wachstum hatten. Wenn wir nicht mehr wachsen, leiden zuallererst die Armen, und es gibt keine Wohlstandsverbesserung mehr. Das können Sie überall auf der Welt beobachten: Die Armen profitierten ­ relativ gesehen ­ am meisten vom Wachstum.

Auch die SP sagt, die Schweiz brauche Wachstum. Sie will einfach, dass dieses gerechter verteilt wird.

Sie hat kein Konzept, heute geht es ihr vornehmlich ums Zementieren bestehender Strukturen. Statt aber am Alten festhalten zu wollen, was zwar politisch populär ist, müsste auch die SP ein Interesse haben, der Privatwirtschaft mehr Spielraum und den einzelnen Leuten mehr Freiheit zu geben. Diese müssen entscheiden, wohin die Reise geht. Heute haben die jungen Leute nach Abzug aller Kosten und Steuern fast zu wenig zum Leben. Das ist doch ein perspektivloses Dasein.

Ganz so schlimm scheint es nicht zu sein. Die Mehrheit der Schweizer verdient genug, um sich alle paar Jahre einen neuen Wagen leisten zu können.

Entscheidend ist die Frage, wer über das verdiente Geld bestimmen kann. Die Politiker sagen dem Bürger: Du bist unfähig, für dich selbst zu schauen, deshalb sagen wir dir jetzt, wie du dein Geld auszugeben hast, wie viel du vorzusorgen hast, wie viel Auto du fahren darfst. Und wenn dann einmal ein Vorschlag zur Zurückbindung oder zur Effizienzsteigerung des Staats auftaucht, wird dieser zerpflückt, bevor er auf dem Tisch liegt. Wie bei der Flat Tax. Ein Einheitssteuersatz oder ein Ansatz, der in diese Richtung geht, wäre für die Wirtschaft von Vorteil, dann brauchte es weniger Steuerbeamte, weniger Steueranwälte und Steuerberater. Aber das wollen die Beamten, Juristen und Politiker natürlich nicht. Die wollen lieber noch mehr Regelungen und Bürokratie, auch wenn dies meistens keinen Wert schafft.

In Ihrem Buch «Corporate Governance» über gute Unternehmensführung schreiben Sie, dass auch Manager vom Regelwahn profitieren.

Es besteht die Möglichkeit, dass die Chefs sich mit Regeln absichern, indem sie sagen: Ich habe mich immer an die Vorschrift gehalten. So kann später keiner kommen und behaupten, das und das hätte man anders machen müssen.

Also ist die Eigenverantwortung nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei den Firmen verloren gegangen?

Ja, es gibt einen Trend, alles zu formalisieren, mit Revisionsstellen, audit committees, renu-meration committees und so weiter. Je mehr die Prozesse institutionalisiert werden, desto stärker reduziert man längerfristig die Eigenverantwortung der Verantwortlichen.

Ist das der Grund, weshalb die Manager die Flut neuer Regulierungen akzeptieren? Weil sie so ruhiger schlafen können?

Nein, sie können gar nichts dagegen unternehmen. Als die USA nach dem Enron-Skandal völlig unreflektiert mit einer Flut von neuen und weitgehend überflüssigen Vorschriften reagiert haben, mussten die Schweiz und der Rest der Welt nachziehen. Doch die Überregulierungen führen zu kostspieligen Leerläufen. Heute weiss vor lauter Formularen nur noch der Spezialist, wie ein Bankkonto eröffnet werden muss. Jeder neue Kunde ist verdächtig. Es kann doch nicht die Aufgabe der Banken sein abzuklären, ob ein Kunde das Gesetz gebrochen hat. Dafür gibt es die Polizei.

Sie finden, Drogengeld sollte in der Schweiz willkommen sein?

Ich finde, wir sollten nicht naiv und heuchlerisch sein. Nur weil das Drogengeld nicht mehr direkt auf einem Schweizer Bankkonto landet ­ und solches Geld wollten die Banken auch in der Vergangenheit nie ­, heisst dies noch lange nicht, dass es keinen Drogenhandel mehr gibt. Das Geld fliesst zuerst einfach woanders hin, in Restaurants, in Handwerksbetriebe oder Handelsgesellschaften. Am Schluss des Tages ist es viel schwieriger, die Spuren des Drogengeldes zu finden und es zu beschlagnahmen. Das Gleiche gilt für terroristische Gelder.

Was schlagen Sie vor?

Man soll nicht den Anschein erwecken, dass man mit tausend Vorschriften eine heile Welt schaffen kann. Irgendwo gibt es in einer Gesellschaft immer eine Eigenverantwortung. Eine Gesellschaft kommt nur dann voran, wenn sie die Chance erhält, sich weitgehend selbst zu organisieren und zu kontrollieren. Jeder muss wieder das Gefühl bekommen, dass er gegenüber sich und der Gesellschaft eine Verantwortung hat.

Warum verzichten Sie in Ihrem Buch auf konkrete Ratschläge und plädieren stattdessen generell für mehr Eigenverantwortung und Wettbewerb?

Weil der Wettbewerb grundsätzlich funktioniert. Er führt dazu, dass die Unternehmen mit ungenügender Corporate Governance längerfristig untergehen. Man sollte wieder mehr Vertrauen in die ordnende Hand des Wettbewerbs haben. Mir ist es ein Graus, wenn von den Regierungen oder von der Kanzel herunter Wirtschaftsrezepte propagiert oder vorgeschrieben werden. Wenn das Schule macht, bestimmt der Staat zuletzt alle Lebensbereiche. Bei einer Unternehmung müssen sich die Eigentümer, also die Aktionäre, wehren, wenn sie finden, die Chefs greifen zu tief in die Kasse.

Die Eigentümer protestieren praktisch nie. In der Regel sitzen sie an den Generalversammlungen und segnen die Traktanden ab.

Das hängt nicht zuletzt mit den staatlichen Vorschriften über die Pensionskassen zusammen. Die Mitarbeiter der öffentlichen Hand oder der Unternehmungen werden meist verpflichtet, der PK ihrer eigenen Organisation beizutreten. Auf diese Weise schafft man Abhängigkeiten. Es fehlt der Wettbewerb zwischen den PKs. Besser wäre, wenn jeder Angestellte seine Kasse frei wählen könnte.

Sie schlagen vor, dass kleine Kassen gemeinsam einen Vertreter für den Verwaltungsrat jener Firmen vorschlagen, an denen sie beteiligt sind.

Es handelt sich um die Idee von zwei US-Professoren. Sie sind zu Recht der Ansicht, dass bereits ein einziger VR, der kritische Fragen stellt, einiges ins Rollen bringen oder verhindern kann.

Das war auch Ihre Strategie zusammen mit Martin Ebner. Zuletzt brach das BZ-Imperium ein. Was lief schief?

Verschiedenes. Vor allem haben wir uns an Firmen beteiligt, die enorm an Wert verloren haben.

Bei denen Martin Ebner im Verwaltungsrat sass und Einfluss ausüben konnte.

Nur bei einer Unternehmung, bei der Martin Ebner Verwaltungsrat war, war der Kurssturz überdurchschnittlich gross. Dies war die ABB. Ob er als einzelnes Mitglied den Absturz der ABB in seiner kurzen Zeit im VR hätte verhindern können, bezweifele ich. So, wie ich ihn seit Jahren kenne, wird er alles daran gesetzt haben, die Interessen der Aktionäre wahrzunehmen. Als Neuling in einem VR braucht es Zeit, bis man mit einem Unternehmen und seinen Problemen vertraut ist. Zudem besteht die Gefahr, dass das Management die wirklich wichtigen Probleme dem Verwaltungsrat nicht oder nicht rechtzeitig mitteilt.

Sie und Martin Ebner drückten der Schweizer Wirtschaft jahrelang den Stempel auf. Sie konnten die Strategie von Grossfirmen beeinflussen, und die Winterthur-Versicherung trieben Sie gar in die Arme der Credit Suisse. Lohnte sich der Einsatz?

Es ist richtig, dass wir viele Ideen hatten, doch wir hatten auch in den besten Zeiten nicht die Macht, diese gegen den Widerstand der Unternehmungen und ihrer Verwaltungsräte und Manager durchzusetzen. Einen gewissen Einfluss dürften wir allerdings schon gehabt haben. Beispielsweise forderten wir bei der UBS schon früh einen kleineren Verwaltungsrat oder dass sich die Bank vornehmlich auf das Vermögensverwaltungsgeschäft konzentrieren und möglichst wenig Risiken eingehen soll. Vorschläge, die viel später ­ und nicht nur wegen uns ­ realisiert wurden. Auch die Idee, die UBS mit dem Bankverein zu fusionieren, hatten wir bereits Anfang der 1990er Jahre. Interessant finde ich, dass man uns die ganze Schuld an den Kurseinbrüchen bei ABB und CS in die Schuhe schieben will, statt darüber zu diskutieren, was bei diesen Firmen schief gelaufen ist.

An Ihrem spektakulären Sturz sind die anderen schuld?

Nicht nur, auch wir machten Fehler. Zum Beispiel konnten wir uns schlicht nicht vorstellen, dass der Kurs der ABB-Aktie praktisch aufs Niveau eines Nonvaleurs oder dass der Kurs der CS-Aktie auf weniger als einen Viertel des Höchstkurses sinken würde. Hätten wir damit gerechnet, hätten wir uns weniger verschuldet. In unseren Überlegungen gingen wir immer von der Möglichkeit eines Crashs aus, wie er in der Vergangenheit beobachtet werden konnte. Die Einbrüche bei ABB und CS überstiegen aber unser Vorstellungsvermögen bei weitem.

Was hat Ihr Kampf gegen den Filz in den Verwaltungsräten und die Ineffizienz in Grossunternehmen an Bleibendem gebracht?

Ich weiss es nicht. Sicher ist, dass unsere Macht in der Öffentlichkeit überschätzt wurde. Wir kontrollierten weder die CS noch die ABB. Selbst die UBS, an der wir einmal einen signifikanten Anteil der Aktien hatten, machte erst dann das, was wir wollten, als wir nicht mehr Aktionär waren.

Wie geht es der BZ Holding heute?

Wir haben uns gesundgeschrumpft und stehen wieder auf stabilen Beinen.

Auf dünnen Beinen.

Wir waren gross, jetzt sind wir wesentlich kleiner. Aber so spielt das Leben. Wir schauen weder zurück, noch lamentieren wir über die Verluste, wir haben aus unseren Fehlern gelernt und machen weiter.

Mit welchem Ziel?

Mit dem gleichen wie immer. Die Holding ist abgespeckt, schuldenfrei, hält Beteiligungen und versucht Mehrwerte zu generieren. Da die Holding eine private Aktiengesellschaft ist, kann und will ich darüber nicht mehr sagen. An der Ausrichtung der BZ Bank hat sich nichts geändert, sie ist weiterhin vornehmlich im Börsenhandel und als Vermögensverwaltungsbank tätig.

Sie machen dasselbe wie vor zehn Jahren, nur auf kleinerem Feuer. Was reizt Sie daran?

Reiz? Was heisst schon Reiz? Es geht immer um das Gleiche: Wir wollen unser Geschäft gut machen, erfolgreich sein, Mehrwerte schaffen und Gewinn erzielen. Wir zählen einfach nicht zu jenen Leuten, die Trübsal blasen, nur weil es in der Gruppe einmal eine Krise gegeben hat.

Einst waren Sie auf dem Sprung ins Nationalbankpräsidium, danach Präsident der Bank Leu, sehr vermögend, und jetzt stehen Sie wieder am Anfang. Hätten Sie nicht lieber eine klassische Managerkarriere gemacht?

Ich denke nicht darüber nach, was alles möglich gewesen wäre. Zugegeben, ich hätte den Kopf hängen lassen können, weil man mich bei der Wahl ins Nationalbankdirektorium übergangen hat, weil ich bei Leu früh ausschied. Aber das sind Ereignisse, die man selber nicht kontrollieren konnte, die eben geschehen sind. Das Leben bietet immer wieder Chancen. Bis jetzt war es immer spannend, und so wird es hoffentlich auch bleiben.

Vielleicht entspricht Ihr Weg Ihrem Charakter. Ausserhalb des Systems konnten Sie sich freier bewegen und sagen, was Sie dachten.

Das ist möglich. Ich habe immer gespart, auch als ich noch nicht viel verdiente, weil ich mir sagte, dass mich meine Ersparnisse unabhängig machen. Diese Unabhängigkeit konnte ich in meinem Leben im Grossen und Ganzen durchhalten. Ich hatte das Glück, dass ich an Problemlösungen mitarbeiten, immer wieder Neues lernen und bei der Umsetzung von Gelerntem mitwirken konnte. Dass ich als Einzelner trotzdem nicht viel bewegen konnte, war mir klar. Man ist immer nur ein kleines Rädchen, doch solange es läuft, bin ich zufrieden.

Kurt Schiltknecht: Der Kreuz-und-Quer-Denker

Verteidiger des Shareholder-Value, Herausforderer von Grossunternehmen, unbestechlich liberaler Wirtschaftsprofessor ­ und bis vor kurzem eingeschriebenes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei: Kurt Schiltknecht, 63, lässt sich in keiner der üblichen Schubladen unterbringen. Sein Karriereweg hat sich oft verzweigt: In jungen Jahren arbeitete der Ökonom bei der OECD in Paris, danach prägte er zehn Jahre bei der Nationalbank die schweizerische Geldpolitik mit, um schliesslich als Präsident der Bank Leu in die Privatwirtschaft zu wechseln.

Nachdem die Bank Leu von der damaligen Kreditanstalt übernommen worden war, trat Schiltknecht zur BZ Bank über und wurde einer der engsten Partner von Martin Ebner. Dem schillerndsten Bankier des schweizerischen Finanzplatzes blieb Schiltknecht bis heute treu, obwohl Ebners BZ-Imperium im Börsencrash von 2002 zusammengebrochen war. Vor kurzem ist von Schiltknecht ein Buch über «Corporate Governance» im NZZ-Verlag erschienen. Dabei handelt es sich um eine anre-gende, leicht lesbare Auseinandersetzung mit einem der drängendsten Probleme des heutigen Wirtschaftslebens.


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