Neue Swissness

Der globale Versicherungskonzern Zurich setzt auf eine Schweizer Doppelspitze. Das hat seine Tücken. Der neue Präsident Josef Ackermann droht dem wenig bekannten Konzernchef Martin Senn die Show zu stehlen. Handelszeitung, 29. März 2012

Dieser Tage geht der unrühmliche Ausflug in die weite Finanzwelt formell zu Ende. Aus Zurich Financial Services wird die Zurich Insurance Group. Auch der Firmenzweck ändert. Nicht mehr Beteiligungen an „Finanzfirmen“, wie zu Zeiten von Welteroberer Rolf Hüppi, stehen im Zentrum, sondern Unternehmen, die „aktiv im Versicherungsgeschäft“ sind. Die Zurich ist damit wieder das, was sie eigentlich immer hätte sein sollen: Eine Versicherung. Finanziell veränderte sich bereits viel in den letzten zehn Jahren. Aus einem 3-Milliarden-Dollar-Loch wurde 2011 ein 4-Milliarden-Gewinn. Das sagt alles über die tiefgreifende Transformation des Versicherungskonzerns, der aus der Limmatstadt heraus 60000 Mitarbeiter in 170 Ländern rund um den Globus dirigiert.

Ein Star und sein unbekannter Chef

Ausgerechnet am Tag, an dem sie zu ihren Wurzeln zurückkehrt, hebt die Zurich einen Grossen jener Spezies auf den Präsidentensessel, die statt einer langjährigen Risikoabwägung vor allem den nächsten Deal vor Augen hat: Josef Ackermann. Der abtretende Chef der Deutschen Bank gilt als Investmentbanker. Insbesondere das Husarenstück des stämmigen Schweizers aus dem kleinen St. Galler Dörfchen Mels stammt aus der Welt des quecksilbrigen Handels- und Spekulationsgeschäfts. Ackermann kaufte das amerikanische Traditionshaus Bankers Trust und integrierte dieses Ende der 1990er-Jahre in die Deutsche Bank. Von da an galt die Grossbank im nördlichen Nachbarland als neue Macht im Investment Banking und kürte kurz darauf mit Ackermann den Hauptvertreter der neuen Händlergilde zum operativen Chef.

Der Kontrast zu Ackermanns wichtigstem Angestellten bei der Zurich könnte kaum grösser sein. Hier der weltgewandte, sturmerprobte Ackermann, dort der unscheinbare, fleissige Zurich-Chef Martin Senn. Während Ackermann in der grossen Finanzkrise als Einflüsterer von Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Scheinwerferlicht der Weltpolitik aufgestiegen war, ist Senn selbst nach zwei Jahren an der Zurich-Spitze nicht bekannter als der Chef einer Regionalbank.

Der Eindruck, dass hier ein Kleiner von einem Weltwirtschaftskapitän erdrückt wird, könnte indes täuschen. Dass Senn in der breiten Öffentlichkeit keine Figur ist, hat nicht mit fehlender Statur zu tun, sondern mit der Branche. Das Versicherungsgeschäft ist im Vergleich zum Banking unsexy, unspektakulär, unverständlich. Statistik und Mathematik bestimmen, was ein Versicherer an Prämie braucht, damit er im Schadensfall genug Reserven hat. Lange Kurven, komplexe Modelle und Prognosen prägen den Alltag.

Das spricht nicht gegen Senn. „Dank ihm sind wir gut durch die Finanzkrise gekommen“, sagt ein langjähriger Zurich-Kadermann. „Senn ist in jeder Hinsicht gut, er geht Probleme strukturiert an, und er kann gut mit Leuten umgehen“, doppelt ein früherer Weggefährte nach. Selbst ein Vertrauter von Ackermann sieht die beiden auf ähnlicher Flughöhe. „Das Gespann Ackermann-Senn könnte gut harmonieren“, sagt Jörg Neef, der Ackermann als Kommunikationsberater betreut. „Ackermann hat die internationale Ausstrahlung, Senn beherrscht das globale Versicherungsgeschäft. So gesehen ergänzen sich die zwei.“

Nicht ganz so sicher war ausgerechnet der Zurich-Verwaltungsrat. Eine Quelle aus dem Umfeld des obersten Gremiums sagt, dass Ackermann zwar als Glücksfall gelte und das Gremium froh war, dass sich dessen Pläne als Aufsichtsrats-Präsident bei der Deutschen Bank zerschlugen. Doch wie das Schwergewicht Ackermann mit dem grundsoliden Senn harmonieren würde, habe den Verwaltungsrat tatsächlich beschäftigt. Schliesslich habe man das Risiko in Kauf genommen, dass es zu einem Hahnenkampf zwischen den beiden Persönlichkeiten kommen könnte.

Für den Fall, dass sich Ackermann und Senn überwerfen sollten, sei für den Verwaltungsrat klar, wer bleiben würde. „Senn geniesst den hundertprozentigen Rückhalt, da würde sich der Verwaltungsrat im Extremfall eher von Ackermann trennen.“ Dass es soweit komme, sei nicht wahrscheinlich. „Wichtig waren die letzten zwei Jahre mit Ackermann im Verwaltungsrat als Vize“, sagt die Quelle, „da konnten das Gremium und Ackermann sehen, wie das bei der Zurich funktioniert.“ In die gleiche Richtung zielt eine Einschätzung des Ackermann-Beraters. „Wenns läuft, dann funkt Josef Ackermann sicher nicht ins Operative hinein“, meint Neef. „Dafür ist er zu erfahren und intelligent.“ Senn ist kein Studierterwie Ackermann. Nach einer Banklehre ging er für den Schweizerischen Bankverein nach Asien, wo er später die Niederlassung Tokio übernahm. 1994 wechselte er in den Finanzbereich von Konkurrentin Credit Suisse. Dort war Ackermann bereits ein Grosser, bevor er 1996 im Streit mit CS-Übervater Rainer Gut von Bord ging. Senn räumte Ende der 1990er-Jahre das skandalträchtige Japan-Geschäft der CS auf und wurde 2001 in die Geschäftsleitung des Vermögensverwaltungsteils berufen. 2003 holte ihn sein Mentor Rolf Dörig, ein Ex-CS-Top-Shot, als Investmentchef zur Swiss Life.

Im Frühling 2006 zog Senn weiter und wechselte in der gleichen Funktion zur Zurich. Von da an war er potenzieller Kandidat für die Nachfolge des Zurich-Chefs James Schiro. Als der Wechsel 2009 angepackt wurde, hatte Senn nur Aussenseiterchancen. Als Herr über fast 200 Milliarden Dollar Anlagen besetzte er zwar eine Schlüsselstelle. Doch die Leiter der beiden operativen Grosssparten Sach-und Lebensversicherung hatten viel Gewicht. Und mit dem langjährigen Risiko-Chef Axel Lehmann stand ein anderer Schweizer mit eindrücklichem Leistungsausweis bereit, der es bereits in den Verwaltungsrat der Grossbank UBS geschafft hatte.

Fortsetzung des Erfolgs

Dann überflügelte Senn alle. Für seinen Führungsstil spricht, dass Mitfavorit Lehmann trotz Niederlage an Bord geblieben ist. Zusammen mit Ackermann bilden sie eine starke Schweizer Fraktion in einem der globalisiertesten Unternehmen des Landes -eine Ausnahme. Bei den Grossbanken, in der Basler Pharma, beim Nahrungsmittelmulti Nestlé und beim schweiz-schwedischen Industriegiganten ABB stammt mindestens einer der obersten Köpfe aus dem Ausland.

Die Chancen für eine Fortsetzung der Erfolgsstory stehen gut. Der Konzern steht mit 40 Prämienprozenten im Leben-und mit 50 im Sachversicherungsgeschäft auf zwei starken Beinen. Vor zehn Jahren, als der Versicherer vor dem Ruin stand, lag der Leben-Anteil bei 16 Prozent. Die Analysten lieben den Mix. Gemäss Bloomberg empfehlen 20 von 43 Analysten die Zurich-Aktie zum Kauf, 19 raten zum Halten. Nur vier halten den Daumen nach unten.


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