Neue deutsche Grossoffensive

Der jüngste Angriff deutscher Steuerfahnder richtet sich gegen die Abgeltungssteuer. Der Sonntag, 15. Juli 2012

Norbert Walter-Borjans, Finanzminister des mächtigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW), erklärt der Schweiz den Krieg. Der Sozialdemokrat hat eine neue CD mit rund 1000 deutschen Steuersündern und versteckten Geldern beim Zürcher Ableger der englischen Coutts-Bank gekauft. Es ist ein Schlag in den Magen. Walter-Borjans missachtet das Friedensabkommen, das Berlins Finanzminister Wolfgang Schäuble im Frühling mit der Schweiz ausgehandelt hatte. Dieses sieht eine Abgeltung für Schwarzgeld-Sünden und ein Verbot für den Kauf gestohlener Daten-CDs vor.

Ob Walter-Borjans die gemäss deutschen Medien bereits gekauften Daten verwenden kann, ist offen. Der Ab gel tungsvertrag mit der Schweiz sieht vor, dass jeder Daten-Kauf von Schäubles Finanzministerium bewilligt werden muss.

So oder so agiert Walter-Borjans, ein vehementer Gegner des Steuerdeals mit der Schweiz, zeitlich geschickt. Nach der Sommerpause entscheiden nämlich die deutschen Bundesländer über den Vertrag. Die Botschaft des NRW-Politikers lautet: Mit CD-Käufen und Strafverfahren kriegen wir mehr Geld als mit einem Deal und kommen erst noch an die Namen der Steuersünder heran.

Der CD-Kauf ist der Abschluss einer Grossoffensive. Mitte Woche wurde bekannt, dass deutsche Steuerfahnder gegen mehrere Tausend Kunden der Credit Suisse in Deutschland vorgehen. Diese mussten Auskunft geben über ihre Investments in spezielle CS-Steuervehikel. Bei einigen kam es zu Hausdurchsuchungen. Der Vorstoss ist brisant. Er richtet sich gegen sogenannte Wrapper, mit denen Schweizer Banken in den letzten zehn Jahren verwaltete Vermögen mit einem Lebensversicherungs-Mantel umhüllten. Damit ging das Eigentum dem Schein nach zur Bank über – eine klassische Steuerlücke.

Laut einer Quelle aus dem Umfeld der Verantwortlichen soll sich das Wrapper-Geschäft bei der CS von null auf rund 22 Milliarden Franken Assets entwickelt haben. Auch die UBS war stark im Geschäft mit Schein-Lebensversicherungen. Der Umfang dürfte ähnlich gross sein wie bei der CS. Damit könnten die beiden Schweizer Grossbanken gegen 50 Milliarden Franken von Ausland-Kunden mithilfe von Steuer-Wrappern vor dem Zugriff der Steuervögte versteckt haben.

Sprecher der Banken wollten sich nicht zur Dimension des heiklen Business’ äussern. Sie verwiesen darauf, dass sie das Steuer längst herumgerissen haben. «Im 2009 haben wir dieses spezifische Produkt nicht mehr verkauft», sagt CS-Sprecher Marc Dosch. «Wir verfolgen heute im Rahmen unseres Market Managements die strikte Politik, nur Produkte zu verkaufen, die auch im Domizilland des Kunden allen Gesetzen und Vorschriften zweifelsfrei entsprechen.»

Die UBS betont, dass Lebensversicherungen in vielen Ländern rechtlich legale Steuervorteile bieten würden. «UBS bietet hingegen keine Unterstützung bei Handlungen, die der Umgehung von Steuerpflichten dienen», sagt Sprecher Yves Kaufmann. Die Bank biete «keine Produkte, Services oder Transaktionen an, die ausser Steuereffizienz keinen Geschäftszweck verfolgen» würden.

Obwohl sich beide Grossbanken als Weissgeld-Musterschüler präsentieren, halten sie an ihren Versicherungstöchtern fest. Die CS unterhält mit International Life Insurance sogar eine eigene Sparte. Der Vertrieb ihrer Wrapper-Produkte erfolgte über eine spezielle Bermuda-Tochter. Bei der UBS wird das Business vom Wealth Planning gesteuert. Dieses soll Mitte der 2000er-Jahre, als das Geschäft mit den Lebensversicherungen abhob, laut einem Ex-UBS-Manager fast ausschliesslich ausWrapper-Initiativen bestanden haben. Heute steht ihm Bernhard Buchs vor, ein Langzeit-UBS-Manager, der vor Jahresfrist im Fall eines grossen Betrugs mit indischen Vermögenden in einem Prozess in London als Zeuge auftrat.

Der Wrapper-Vorstoss der Deutschen trifft die Grossbanken an einer empfindlichen Stelle. Im Unterschied dazu haben Swiss Life, Bâloise und andere Lebensversicherungen weniger zu befürchten. Als Versicherer gehörte das Business zum ordentlichen Kerngeschäft. Wegen des grossen Volumens des Wrapper-Geschäfts droht beiden Banken nicht nur ein Ima-ge-Gau. Es könnte auch zu Schadenersatzklagen von betroffenen Kunden kommen.

Bern reagiert aufgeschreckt. «Wir stehen mit der Credit Suisse in dieser Sache in Kontakt», sagt Finma-Sprecher Tobias Lux auf Anfrage. Die Aufsicht habe die Banken Ende 2010 in einem Rundschreiben vor Wrapper-Missbräuchen gewarnt. Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) versucht zu beruhigen. DieWrapper-Vergangenheit sei ein Argument mehr für den Abgeltungsvertrag. «DieWrapper-Konstrukte sind Teil des Deals und werden abgegolten», sagt Mario Tuor. «Damit kommen die Deutschen an die geschuldeten Gelder heran, ohne dass sie gestohlene CDs und Hausdurchsuchungen benötigen.»


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