Kehrtwende: SNB-Präsident kritisierte Euro-Anbindung einst scharf

In einem Aufsatz erkannte Thomas Jordan vor 13 Jahren als Wissenschafter in der Franken-Anbindung «relativ geringe» Vorteile und «schwer wiegende» Kosten. Der Sonntag, 10. Juni 2012

Thomas Jordan will die 1.20-Euro-Untergrenze um jeden Preis verteidigen. Doch die angreifenden Hedge Funds hegen immer grössere Zweifel. Die Milliarden von Franken, die Jordan auf den Euro-Markt wirft, verfehlen ihre Wirkung. Der Franken schrammt seit Jordans Wahl vor acht Wochen der Untergrenze entlang. Vorgänger Philipp Hildebrand hatte stets einen grösseren Puffer.

Jordans Problem liegt in seiner bröckelnden Glaubwürdigkeit. Diese leidet unter einer spektakulären 180-Grad-Wende. Als SNB-Chef betont Jordan die Vorteile der Anbindung. Als Wissenschafter hatte er vor 13 Jahren genau das Gegenteil gesagt und vor hohen Kosten gewarnt. In einem 24-seitigen Aufsatz von 1999, erschienen im Fachmagazin «Aussenwirtschaft», hielt Jordan mit seinem Doktorvater Ernst Baltensperger und SNB-Kollege Andreas Fischer ein Plädoyer gegen eine Anbindung an die Einheitswährung. «Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob dies überhaupt möglich wäre», meinten Jordan & Co.

Seine Argumentation ist wissenschaftlich, das Fazit aber auch für Laien verständlich. «Die Anbindung des Frankens hätte in diesem Fall nicht nur keinen Vorteil, sondern würde der schweizerischen Volkswirtschaft zusätzlich die Kosten einer höheren Inflationsrate auferlegen.» Davon wollen Jordan und sein Spiritus Rector, der emeritierte Berner Professor Baltensperger, der eng mit der SNB liiert ist, heute nichts mehr wissen.

In der «Basler Zeitung» stellte sich Baltensperger hinter Jordans Franken-Anbindung. «Die Kursuntergrenze muss konsequent durchgesetzt werden», meinte Baltensperger. «Ein Ausstieg wäre eine Einladung zur Spekulation. Für den Werkplatz Schweiz wäre dies fatal, für die SNB ein Reputationsverlust.» Dass Jordandas pure Gegenteil von dem vertrat, was er derzeit praktiziert, begründet die SNB mit seiner veränderten Rolle. «Jordan schrieb den Aufsatz als Wissenschafter, die Franken-Anbindung setzt er als SNB-Chef durch», meint SNB-Sprecher Walter Meier. «Das sind zwei Paar Schuhe.» Jordan hätte den Anbindungsentscheid «im Team» gefällt. «Vergessen wir nicht, was letzten Sommer los war. Als der Euro kurz auf 1 Franken absackte, rief die Wirtschaft nach Massnahmen.»

Die SNB sagt somit, dass sich der oberste Währungshüter gleich verhält wie Politiker, die ihre Meinung der Stimmung im Volk anpassen können. Während die Konsequenzen in der Politik überschaubar bleiben, sind sie für eine Notenbank riskant.

Das weiss niemand besser als Jordan. In seinem 1999er-Papier schrieb er detailliert von der Gefahr, dass die SNB durch eine Euro-Anbindung «ihre Reputation als selbstständige geldpolitische Institution» verlieren würde. «Dieser Reputationsverlust wiegt umso schwerer, je höher die Wahrscheinlichkeit für eine ungünstige Entwicklung der Währungsunion veranschlagt wird», meinten Jordan & Co. und malten eine entsprechende Zukunft schwarz: Reputation könne rasch zerstört werden, sei aber nur «mit erheblichen Kosten» wieder herstellbar.

Mit seiner Euro-Anbindung setzt Jordan seine SNB einer Zerreissprobe aus. Entweder verteidigt die Notenbank ihren Ruf als geldpolitische Hardlinerin, die eine tiefe Inflation durchsetzt. Oder sie schmeisst ihr Inflationsziel über Bord, um den Franken so lange an den Euro angebunden zu lassen, bis der Aufwertungsdruck von alleine nachlässt.

Der Hintergrund dieser Überlegung ist der Import von Inflation aus dem Euroraum. Solange der Franken an die Einheitswährung gebunden ist, solange importiert die Schweiz die Geldentwertung aus dem benachbarten Ausland. Diese ist höher als hierzulande.

Dies haben die Hedge Funds mittlerweile erkannt. Sie sagen sich, dass die SNB im Ernstfall an ihrem tiefen Inflationsziel festhalten wird. Sonst müsste sie offiziell davon abrücken. Damit rechnen sie nicht. Und deshalb spekulieren sie auf einen Sprung des Frankens nach oben.


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