Insider im Dunkeln

Nationalbank Von der Euro-Untergrenze sollen Insider profitiert haben. Doch sie sind nicht zu fassen. Handelszeitung, 12. Januar 2012

Was macht die „Nati“? Die Frage nach der nächsten Massnahme der Schweizerischen Nationalbank trieb den langjährigen Devisenhändler der Zürcher Kantonalbank in den letzten August-und den ersten Septembertagen um. Er und seine Kollegen und die übrigen grossen Banken rechneten fest mit einem weitreichenden Schritt der helvetischen Währungshüter. Noch mehr Euro-Käufe? Negativzinsen? Oder gar eine feste Untergrenze zum Euro?

Dann kam der Dienstag, 6. September 2011. „Wir hatten auf eine Ankündigung an einem Wochenende spekuliert“, sagt der ZKB-Händler. „Als wieder nichts war, rechneten wir mit einem Coup am nächsten Wochenende.“ Wie zuvor waren die Bewegungen auch an jenem frühen Herbsttag wild. Ein bis zwei Rappen hoch oder runter beim Euro-Franken-Kurs waren inzwischen zum Normalfall geworden. „Wenn sich bereits der kleine Mann auf der Strasse einen Euro-Kauf überlegt, dann geht bei uns Profis die Post ab“, sagt der ZKB-Manager.

Insider am Werk?

Thomas Suter erlebte die Euro-Anbindung an vorderster Front. Der Chef von Quaesta Capital, einem Spezialisten für Währungsrisiken mit Sitz in Pfäffikon SZ, hatte schon einige Tage vor der Intervention der Nationalbank von Spekulationen über eine Euro-Untergrenze gehört. Am frühen Dienstagmorgen habe man „eine Nervosität und Aktivität von Asien her“ gespürt, erinnert sich Thomas Suter, mit entsprechendem Druck auf den Franken.

Der Euro stieg ohne marktrelevante Nachrichten rasch von rund 1.10 Franken auf etwa 1.12 Franken. Da Devisen rund um die Uhr und hauptsächlich von Bank zu Bank gehandelt werden, hing dieser Anstieg nicht mit der Eröffnung an irgendeiner Börse zusammen. Beobachter wollten damals von einer US-Bank – genannt wurde Morgan Stanley -gehört haben, die ihre Kunden auf eine bevorstehende Euro-Untergrenze aufmerksam gemacht und zu entsprechenden Käufen geraten hätte. Händler sprachen von einem möglichen Leck bei Politikern, die in den SNB-Entscheid einbezogen gewesen seien (HZ vom 15. September 2011).

Dann schlug es 10 Uhr, und die Währungshüter drückten tatsächlich auf den Knopf. „Nationalbank legt Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro fest“, verkündete sie ihren historischen Entscheid in wenigen Zeilen.

Für Niklaus Blattner, bis 2007 Vizepräsident des Direktoriums der Nationalbank, konnte sich der Markt nach den verlustbringenden Euro-Käufen 2009 und 2010 nicht sicher über eine Mindesthöhe sein. „Dass die SNB den Mut haben würde, den Franken an den Euro anzubinden, kam trotz allem überraschend“, sagt der emeritierte Volkswirtschaftsprofessor. „Der erste Versuch durch Flutung des Marktes mit Franken war ja gescheitert. Viele im Markt sagten sich deshalb: Die haben sich die Finger verbrannt, die wagen keinen zweiten Versuch. “

Deshalb glaubt Blattner nicht, dass sich Insider mit kurzfristigen Euro-Käufen eine goldene Nase verdient hätten. „Wären solche am Werk gewesen, hätte es grosse Bewegungen gegeben, das wäre aufgefallen.“ Es habe beide Arten von Spekulanten gegeben: Solche, die auf einen weiter steigenden Franken gewettet hätten, und solche, die eine spürbare Abschwächung erwarteten. Einigkeit habe einzig bei der Überzeugung geherrscht, dass der Franken gegenüber dem Euro „fundamental“ überbewertet gewesen sei. „Aber niemand wusste, wann die Korrektur einsetzen würde.“

Der Dollar war „lächerlich tief“

Im August hatte die Ratingagentur Standard & Poor ’s die USA von einem Triple-A auf ein AA+ heruntergestuft. Das führte zu einem kurzzeitigen historischen Taucher des Dollars auf 72 Rappen. Kashya Hildebrand, die Frau des damaligen Notenbank-Chefs Philipp Hildebrand und selber Ex-Devisenhändlerin, fand den Dollar in jenen Tagen „lächerlich tief“, wie sie vor kurzem im Fernsehen sagte. Am 15. August 2011, drei Wochen vor dem Euro-Mindestkurs-Entscheid ihres Mannes, kaufte sie über das gemeinsame Konto rund 500000 Dollar zum Preis von etwas mehr als 79 Rappen pro Dollar. Am Tag der Intervention schoss der Dollar von 79 auf über 86 Rappen hoch. Als die Hildebrands am 4. Oktober 516000 Dollar verkauften, lag der Kurs bei 92 Rappen. Die Transaktionen zwangen Philipp Hildebrand diese Woche zum Rücktritt.

Die SVP war am Hildebrand-Rücktritt massgeblich beteiligt. Die Rechtspartei schoss auf jenen Mann, der zuoberst für verschärfte Grossbanken-Regeln und Euro-Interventionen stand. Anfang Dezember machte SVP-Strategiechef Christoph Blocher Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey auf heikle Dollar-Deals im Hause Hildebrand aufmerksam. Parallel dazu wurde SVPNationalrat Hans Kaufmann aktiv. Der frühere Chefökonom der Bank Julius Bär reichte wenige Stunden vor dem ersten Communiqué der SNB, wonach sich Gerüchte über unzulässige „persönliche Vermögensvorteile“ von Philipp Hildebrand als „haltlos“ herausgestellt hätten, eine Interpellation zu den Eigengeschäften der Nationalbank-Spitze ein. Kaufmann forderte Antworten auf die Frage, ob die Insider-Vorschriften bei der SNB hart genug seien, entsprechende Prüfungen durchgeführt würden und Eigengeschäfte genügend transparent seien. Kaufmanns Vorstoss eröffnete den Angriff auf Hildebrand und war die politisch korrekte „Begleitmusik“ in der Affäre der letzten Wochen.

Der Bankrat, das oberste Gremium der SNB, das mit Politikern, Lobbyisten und Fachleuten besetzt ist, muss nun unter Druck das „Reglement über Eigengeschäfte mit Finanzinstrumenten“ für die operative Führungsspitze der Notenbank verschärfen. Gemeint sind die drei Direktoriums-Mitglieder und deren jeweilige Stellvertreter. Allerdings ist fraglich, was damit zu gewinnen ist. Dass die Hildebrand-Eigengeschäfte zur Affäre wurden, ist kaum die Folge eines zu laschen Reglements, wie ein Vergleich mit Vorschriften bei Geschäftsbanken zeigt.

Reglemente bringen wenig

Bei der ZKB herrscht beispielsweise eine Haltefrist von 7 bis 30 Tagen, je nach Funktion des Mitarbeiters, während es bei der SNB für die Spitze 6 Monate sind. Schärfer ist die ZKB beim Punkt, dass das Prinzip Last-in-First-out angewendet wird. Die Sperrfrist für Verkäufe beginnt vom letzten Kauf an zu laufen. Bei der SNB gilt First-in-First-out, was faktisch eine Umgehung der Sechs-Monate-Frist ermöglicht. Aber auch das ist kein sonderlich schwacher Punkt. Bei einer anderen grossen Bank auf dem Platz Zürich gibt es nämlich einzig und allein die Einschränkung, dass Daytrading verboten ist. Verkauft werden dürfen Dollars oder Euros erst am Tag nach einem Kauf.

Vor Hildebrands Zuwahl ins Direktorium gab es bei der SNB gar kein Reglement für Eigengeschäfte. Jeder Spitzenvertreter musste wissen, dass er durch private Geschäfte nie den Ruf der Notenbank gefährden dürfe. Heute ist dieser Grundsatz nur noch ein Teil-Artikel eines insgesamt zwölf Punkte umfassenden Reglements, das sich über vier Seiten erstreckt. Die Richtlinien würden bezwecken, „Interessenkonflikte und den Informationsmissbrauch zu vermeiden und dadurch den guten Ruf der SNB zu schützen“, steht dort. Es war Hildebrand, der auf ein solches Reglement pochte, weil er von seiner früheren Tätigkeit bei einem Hedgefonds ein grosses Vermögen mitbrachte und dieses aktiv verwalten wollte.

Das Debakel mit rechtlich zwar korrekten, moralisch aber unbegreiflichen Eigengeschäften haben die neuen Vorschriften nicht verhindert. Zurück zu den Wurzeln mit einem simplen Festhalten des Prinzips, dass niemand den Ruf der Nationalbank schädigen dürfe, wäre möglicherweise wirkungsvoller als der geforderte Ausbau der Regelungen.


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