Suche nach Sicherheit

Immer mehr EU-Bürger bringen ihr Geld in die Schweiz. Grund ist nicht die Steuerflucht, sondern die Angst vor dem Zugriff des Staates. Handelszeitung, 31. März 2011

Die Anfrage kam per Mail. «Immer mehr Freunde fragen nach einer Möglichkeit, Gelder in die kleine Schweiz zu bringen – alles deklariert, einfach, um hier ein Konto zu haben», schrieb der Spanier, der bereits in der Schweiz lebt, einem befreundeten Vermögensverwalter mit Sitz in Zürich.

Der spanische Herr ist mit diesem Wunsch nicht allein: Die Suche nach einem sicheren Hort für Vermögende aus den gebeutelten Euro-Ländern ist inzwischen weit verbreitet. «Kapitalausfuhr beschäftigt die Vermögenden, ganz klar», sagt Banken-Spezialist Hans Geiger, Ex-Professor am Bankeninstitut der Universität Zürich. «Wenn Ungarn kurzerhand die Pensionskassenguthaben verstaatlicht, fürchten viele um ihr Geld.» So gesehen sollte jeder Europäer, der ein paar Millionen besitzt, 1 oder 2 Millionen auf einem Schweizer Bankkonto haben – einfach für den Fall der Fälle, ist sich Bankenexperte Geiger sicher.

Viele Vermögende aus den Krisenstaaten würden derzeit sogar über einen Auszug nachdenken, heisst es bei der Zürcher Privatbank Rothschild. «Wir erhalten gehäuft Anfragen aus Spanien und Griechenland, weniger aus Portugal», sagt Bankchef Veit de Maddalena. Selbst in den starken Euro-Ländern Deutschland und Frankreich sei die Auswanderung mit Vermögenswerten ein Thema, nämlich dann, wenn Änderungen am Steuersystem anstünden, sagt de Maddalena.

Wenn es zum Äussersten kommt

«Reiche verschieben Kapital ausser Landes», titelte jüngst auch die britische «Financial Times». Als bevorzugte Zufluchtsorte nannte sie die Schweiz und Grossbritannien mit seinen Kanalinseln. Und die griechischen Behörden bestätigten kürzlich: Bürger würden ihr Erspartes ins Ausland schaffen, und zwar «hauptsächlich nach Zypern, in die Schweiz und nach Grossbritannien». Seit der Finanzkrise vor einem Jahr hätten Griechen so rund 30 Milliarden Euro ins Ausland verschoben, so die Regierung.

Nicht die Flucht vor dem Fiskus ist dabei das Motiv, sondern die nackte Angst vor einem Staatsbankrott und seinen Folgen. Denn kommt es zum Äussersten, schrecken die Staaten nicht mehr davor zurück, ihre Hand auf die Vermögen der Bürger zu legen, wie die Geschichte zeigt. Wer es sich leisten kann, prüft deshalb den Aufbau einer eisernen Reserve in einem politisch sicheren Land. «Mich erinnert die heutige Entwicklung an die Zwischenkriegsjahre», sagt Experte Geiger. Damals sei viel Geld aus Europa in die Schweiz geströmt, nicht aus Steuergründen, sondern wegen der Kapitalkontrollen. Sind die Restriktionen in Kraft, sei es für Vermögens-Transfers ins sichere Ausland zu spät, sagt Geiger. «Die Vorsorge gegen solche Risiken – das ist es, was viele Vermögende besonders in Europa umtreibt.»

«Tail risks» nennt man im Jargon der Banker Gefahren fürs Vermögen, die gemäss Statistik höchst selten eintreten, dann aber umso gravierender sind. Wie die jüngere Vergangenheit im globalen Finanzsystem, aber auch in der Natur mit der Erdbebenkatastrophe in Japan aufzeigen, kommen solch vermeintlich extrem seltene Ereignisse aber gehäufter vor als gemeinhin vermutet wird.

Viel Neugeld für Credit Suisse

Noch flössen die Vermögen nicht im grossen Stil aus Athen, Dublin, Lissabon und Madrid ab, sagt Rothschild-Banker de Maddalena. Dafür sei die Angst vor einer Einschränkung des freien Kapitalverkehrs» noch zu klein und nicht mehr so akut wie vor dem «Euro-Rettungsschirm». Damals hatten die Marktteilnehmer selbst einen Crash der Einheitswährung nicht mehr ausgeschlossen. «Verschwunden sind die Bedenken vermögender Bürger aber mitnichten», meint der Privatbanker. Solange sie soziale Unruhen fürchten, prüften sie einen Transfer ihrer Aktiva in Länder wie die Schweiz oder die USA, die politisch als besonders stabil gelten.»

Aus welchen Ländern Geld auf Schweizer Konten floss, ist nicht bekannt. Die Nationalbank weist in ihrer Statistik alle ausländischen Kundenvermögen in den hiesigen Wertschriftendepots aus, ohne nach deren Herkunft zu unterscheiden. Nach einem kontinuierlichen Anstieg bis zum Börsenhöhepunkt im Jahr 2007 brachen diese von über 3000 Milliarden Franken auf noch gut 2000 Milliarden ein (siehe Grafik). Per Ende 2010 lagen sie wieder etwas höher, bei gut 2300 Milliarden Franken. Dies liegt aber weniger an einem Boom als zur Hauptsache an den wieder gestiegenen Börsenkursen.

Für Christian Rahn von der Zürcher Privatbank Rahn & Bodmer spielt Grösse und internationale Ausstrahlung des Finanzinstituts die entscheidende Rolle, um von Kapitalflucht aus dem Euro-Krisenraum zu profitieren. «Sehr vermögende Menschen im Ausland kennen die beiden Grossbanken und allenfalls noch zwei, drei der wichtigsten Privatbanken», sagt Rahn. «Um zu uns oder einem anderen kleineren Vermögensverwaltungs-Institut in der Schweiz zu gelangen, braucht es den Faktor Zufall oder Mundpropaganda. Ein Verwandter zum Beispiel, der schon bei der Bank ist, könnte das Haus weiterempfehlen. So würden wir ins Spiel kommen», sagt Rahn.

Ein Sprecher der Credit Suisse verweist auf die langjährige «Multishore»-Strategie seiner Bank. Die CS ist in grossen EU-Ländern wie Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien mit eigenen, lizenzierten Filialen und Mitarbeitern vor Ort. Zudem betreibt sie aus mehreren Zentren heraus, unter anderem aus der Schweiz, die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung. Die CS zog trotz wachsendem Misstrauen gegen die Grossbanken auch in der Finanzkrise viel Neugeld aus unterschiedlichsten Gegenden an.

Vontobel sieht Chancen

Bei der Privatbank Julius Bär heisst es, man sei in Portugal, Spanien, Griechenland und Irland «nicht sehr aktiv». Auch die Zürcher Kantonalbank als grösstes Staatsinstitut der Schweiz verweist auf die fehlende Präsenz in den Krisenregionen.

Die Bär-Konkurrentin Vontobel, die im Private Banking die kritische Grösse anstrebt, betont hingegen die neuen Chancen. Es sei in der Tat so, dass die Schweiz als sicherer Hafen und aus Diversifikationsüberlegungen hoch im Kurs vermögender Anleger aus dem gesamten Euro-Raum stehe. «Wir können uns gut vorstellen, dass dieser Trend länger anhält.»

Das Risiko, dass im Zug einer Euro-Fluchtgeldwelle auch nicht deklarierte oder gar kriminelle Vermögen auf Schweizer Bankkonten landen könnten, hält der Vontobel-Manager für klein. «Da die Vontobel-Gruppe die Compliance-Anforderungen für alle Kunden, unabhängig des Herkunftslandes, sehr hoch ansetzt, sehen wir hier keine neuen Gefahren.»


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