In der Falle

Ein ehemaliger Top-Manager der UBS ist oberster Risikochef des bankrotten Brokers MF Global. Er hatte schon die subprime-Risiken unterschätzt. Handelszeitung, 3. November 2011

Bereits spricht man am Markt von einem „Mini-Lehman“. Der Konkurs des amerikanischen Brokerhauses MF Global sendet Schockwellen durch das globale Finanzsystem. Und mittendrin im Strudel um Milliardeninvestments in marode Euro-Staaten und möglicherweise abgezweigte Kundengelder sitzt ein Manager mit prominenter Vergangenheit bei der Schweizer UBS.

Die Rede ist von Michael Stockman, oberster Risikochef von MF Global. Er war vor einem Jahrzehnt an entscheidender Stelle bei der Grossbank tätig, als hochrangige Spezialisten den gigantischen Risiken der Grossbank im amerikanischen Hypothekengeschäft auf die Spur kamen und davor warnten. Die Experten aus der Zürcher Zentrale waren im Frühling 2002 eine Woche lang in New York und nahmen dort jene Teile der UBS-Investmentbank unter die Lupe, die das Geschäft mit Hypothekenpapieren betrieben. Ihr Auftrag war es herauszufinden, wie riskant die Geschäfte des damaligen Investmentbankchefs John Costas und seines Zinsengeschäftsleiters Michael Hutchins sein könnten. Stockman war dabei einer der ersten Ansprechpartner der Schweizer.

Der Amerikaner besetzte innerhalb der UBS-Investmentbank die Funktion des Risikochefs für die Region Americas. Gleichzeitig hatte er globale Verantwortung für den Zinsenbereich. Stockman, der wie Investmentbank-Chef John Costas an der Eliteuniversität Tuck School of Business studiert hatte, handelte es sich um einen der letzten Top-Leute aus den Reihen der Bankgesellschaft. Die meisten anderen hatten nach der Fusion mit dem kleineren Bankverein im Jahr 1998 und mehreren Derivate-Debakeln, die auf das Konto der Bankgesellschaft gingen, die UBS verlassen. Zuvor arbeitete Stockman bei Salomon Brothers und Goldman Sachs, zwei Wall-Street-Ikonen.

Verschwiegenes Silo

Nach ihrer Rückkehr aus New York verfassten die Schweizer Risikospezialisten einen Bericht über die wichtigsten Schwächen von Costas, „Verbriefungs-Maschinerie“. Diese bündelte Tausende von Hypothekar-Krediten unterschiedlicher Güte zu Wertpapier-Tranchen, die dann den Investoren angedient wurden. So wurden Hypotheken von kapitalschwachen Schuldnern, sogenannte Subprime-Hypotheken, in „AAA“-Titel bester Bonität verwandelt. Dass sie etwas Grossem auf der Spur waren, war den Zürcher Risikomanagern längst klar. Ein interner UBS-Bericht mit Stichtag 31. Mai 2002 bezifferte das gesamte Engagement der Bank im US-Hypothekenbusiness auf 24 Milliarden Dollar. Neben der absoluten Höhe der Positionen, die in den Folgejahren auf rund 100 Milliarden Dollar anwachsen sollte, waren den Prüfern aus Zürich weitere Punkte ein Dorn im Auge. Costas und Hutchins betrieben ihr Geschäft als Silo und liessen nicht zu, dass die Zentrale vertieften Einblick erhielt. Zudem war unklar, ob die in Amerika errechneten Zahlen das Risiko korrekt abbildeten.

In einem dreiseitigen Memo von Frühsommer 2002 warnten denn die Zürcher Risikoexperten, dass Costas und Hutchins „eine grosse Hypothekenposition“ aufgebaut hätten und „eines der vermutlich grössten Bücher aller Wallstreet-Banken“ hielten. „Realistischerweise ist mit sechs bis zwölf Monaten zu rechnen, bis sämtliche Positionen abgebaut werden könnten“, hielten sie fest. Bezüglich der Gefahr eines Silos, das von aussen nicht genügend überwacht werden konnte, empfahlen die Prüfer Sofortmassnahmen. „Um besser zu verstehen, wie sich die verschiedenen Risiken auf die Gewinne und Verluste auswirken, bedarf es detaillierterer Erklärungen.“

Zeitige Warnung

Ein Kernproblem war die Vermischung von Markt-und Kreditrisiken. Obwohl es sich im Kern um Immobilien-Kreditrisiken handelte, wurden die Papiere in den Büchern als Marktrisiken mit einem Marktkurs behandelt. Und just an dieser Stelle kommt Mike Stockman ins Spiel, der Jahre später zuerst im Subprime-Strudel der UBS und heute mit dem MF Global hart landen sollte. Er unterstand dem Angelsachsen Mark Wallace, der später bei der Credit Suisse anheuerte, dort aber bereits wieder gegangen ist. Wallace war zum fraglichen Zeitpunkt Risikochef der gesamten UBS Investmentbank und hatte seinerseits dem damaligen Chief Risk Officer des Konzerns, Walter Stürzinger, Rechenschaft zu geben.

Das Memo der beunruhigten Risiko-Spezialisten aus Zürich ging an Stürzinger, Costas, Hutchins und weitere Top-Leute. Stockman war zwar nur einkopiert, da er nicht über das weitere Vorgehen zu entscheiden hatte. Doch in der Entstehungsgeschichte des Memos war er wichtig. In Gesprächen sagen Gewährsleute, die mit den damaligen Vorkommnissen vertraut sind, dass Stockman die Untersuchungen der Zürcher Risikoleute „enorm“ behindert hätte. Ein UBS-Sprecher wollte sich nicht zu Stockman und den damaligen Vorfällen äussern.

Doch die Risiken im amerikanischen Hypothekengeschäft konnten von der UBS-Chefetage auf die Länge nicht ignoriert werden. Der aufstrebende Marcel Rohner, der per 2001 den Hut des obersten Risikochefs mit jenem des obersten Vermögensverwalters getauscht hatte und im Sommer 2007 Chef der Bank werden sollte, forderte einen Stresstest.

Darauf ordnete Stürzinger, Rohners Nachfolger als Risikochef des Konzerns, bei seinem Direktunterstellten Mark Wallace eine solche Überprüfung an. Stockman schliesslich wurde mit der Durchführung beauftragt. Das Resultat teilte er dem Konzern-Risikochef Stürzinger in einem neuerlichen Memo mit.

Zerzauster Stresstest

Stürzinger holte dann noch eine Stellungnahme von jenem Risikoteam ein, das dem Problem auf den Grund gehen wollte und die erste Warnung verschickt hatte. Ein Mitglied der Gruppe zerzauste das Memo. „Basierend auf einer Zeitreihe mit verschiedenen Preisen gehen wir über eine Periode von zwei bis drei Jahren von Einbrüchen von 22 und 27 Prozent aus“, hielt der Experte fest. „Allein die Geschichte der Geschäftsliegenschaften zeigt maximale Einbrüche von 30 und 38 Prozent. Ein vermutlich noch aussagekräftigerer Stresstest würde wohl Verluste von 30 Prozent über 2 Jahre und 40 Prozent über 4 Jahre annehmen.“ Der Verfasser schlug Stürzinger eine „obere Stressgrenze“ vor, die von der UBS-Spitze „abgesegnet“ und „vierteljährlich“ überwacht werden sollte.

Fünf Jahre später prallte die UBS in den Subprime-Eisberg und erlitt über 50 Milliarden Verlust. Dagegen erscheint der Bankrott von MF Global fast als Kleinigkeit.


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