«Verschwörung gegen die USA»

Wie die Grossbank in den USA illegal geschäftet hat. Und was die UBS-Chefs davon wussten. Das Magazin, 3. April 2010

(pdf) Bradley Birkenfeld hat seinen Kampf gegen die UBS verloren. Jener Banker, der die Grossbank und ihre Steuermachenschaften mit amerikanischen Superreichen verraten hat, sitzt seit Anfang Jahr im Gefängnis. Als Einziger. Die Strafe ist in den Augen des ehemaligen UBS-Kundenberaters lediglich der Höhepunkt einer Geschichte, die vor Ungerechtigkeiten strotzt.

«Wir haben es mit einem korrupten Bush-Justizministerium zu tun, das diesen Fall mit all seinen involvierten Freunden, Geschäftsleuten und Politikern rasch und schmerzlos gelöst haben wollte», schrieb Birkenfeld einem früheren Arbeitskollegen aus alten UBS-Zeiten, bevor er seine vierzigmonatige Gefängnisstrafe antrat. «Wie kann es sein, dass nur einer verhaftet wird, obwohl die Sache seit Jahrzehnten im Gange ist? Nebenbei gesagt, der Betroffene ist jener, der den ganzen Skandal als Whistleblower aufgebracht hatte ich.»

UBS unter amerikanischer Protektion? Das klingt nach Verschwörungstheorie eines Gestrauchelten, der meinte, er könne selbst die US-Justiz austricksen. Birkenfeld rückte nämlich erst dann mit der vollen Wahrheit heraus, nachdem ihn die Behörden in seiner Heimat auf die Anklagebank gesetzt hatten. Der draufgängerische Banker war kein kleines Rädchen im gross angelegten UBS-Betrugssystem, sondern ein besonders aktiver Täter, ja ein notorischer Helfershelfer amerikanischer Steuersünder.

Doch je länger das Drama um die UBS dauert, desto bedenkenswerter wird, was der Amerikaner in seinem Mail behauptet. Da sind zum einen die obersten Verantwortlichen. Von denen muss kein Einziger persönlich geradestehen. Marcel Ospel, Peter Wuffli, Peter Kurer und Marcel Rohner haben ihre Millio- nen ins Trockene gebracht und können ihre Zukunft voraussichtlich ungestört von Fragen der Strafbehörden planen.

Auch die ertappten US-Steuersünder erhalten milde Strafen. Die meisten müssen zwar Nachsteuern und Bussen leisten, landen aber nicht im Gefängnis. Die wenigen Schweizer Banker und Rechtsanwälte, die von den US-Justizbehörden angeklagt wurden, haben in der Schweiz ebenfalls nichts zu befürchten.

Schonung für die UBS

Am besten aber kommt die UBS weg. 900 Millionen Franken Busse sind wenig im Vergleich zu den sechzig Mal so hohen Verlusten mit irrwitzigen Kreditpapieren. Auch stehen sie in keinem Verhältnis zum Vergehen. «Die UBS und ihre Ko-Konspiratoren taten sich auf illegale Weise, willentlich und wissentlich, zusammen, verschworen sich und kamen überein, die Vereinigten Staaten zu betrügen», steht in der Einigung mit den USA. Mit der globalen Revisionsgesellschaft Arthur Andersen machten die Amerikaner einst kurzen Prozess. Die UBS hingegen wurde geschont.

Bald dürfte die UBS endgültig über dem Berg sein. Ihre vermögende Klientel hat zwar in den letzten zwei Jahren über 200 Milliarden Franken zur Konkurrenz getragen. Der gigantische Aderlass hätte ein Institut von der Grösse der Zürcher Julius Bär ausradiert. Doch die UBS ist ein Tanker mit 1650 Milliarden Privatkundenvermögen, sodass der Abfluss lediglich ein Zehntel ausmacht schmerzhaft zwar, aber längst nicht tödlich.

Im Juni soll das Parlament zudem der Auslieferung von Tausenden von amerikanischen Steuersündern den Segen erteilen. Dann wären die Steuer-Gerichtsverfahren der USA gegen die Grossbank vom Tisch. Die UBS-Chefs warnen vor US-Vergeltungsschlägen gegen andere Schweizer Banken. Das Lobbying könnte wirken, die Chancen auf ein Ja aus Bern sind intakt.

«New UBS» dürfte dann wieder Supergewinne mit noch mehr Boni vermelden. Der Trümmerhaufen aber, den sie zu verantworten hat, überlässt die Bank dem Land. Das 75 Jahre alte Steuergeheimnis ist Geschichte, Berge unversteuerter Vermögen liegen auf Schweizer Bankkon-ten, die Auslandkunden fürchten sich vor Datenklauaktionen, die Politiker irrlichtern. Kurz: Die Vermögensverwaltung als Paradeindustrie steht vor einer unsicheren Zukunft.

Wie es soweit kommen konnte, zeigen die Fehltritte einer Bank, die auf der Jagd nach immer höheren Gewinnen und noch mehr Geld für ihr Management sämtliche Rotlichter überfahren hat; und die, als ihre Methoden schliesslich ans Licht kamen, die Schweizer Steuerzahler die Zeche zahlen liess. Zum Coup beigetragen hat eine mächtige Lobby: Sowohl in den USA als auch in der Schweiz standen in der Krise UBS-Leute in der obersten Politik und der Verwaltung bereit, um die Grossbank vor einer Anklage als mafiöse Organisation zu bewahren. Die Schweizer Grossbank wird so zum Schulbeispiel eines Multis, der jenes System schädigt, das ihn zuletzt vor dem Untergang rettet.

Scharfer Wachstumskurs

Am Anfang des grossen Steuerbetrugs gegen die USA steht eine Sitzung von Ende 2001. Es war die Zeit, als die UBS wie viele andere nichtamerikanische Banken ein neues Abkommen mit den US-Steuerbehörden umsetzte. QIA, Qualified Intermediary Agreement, hiess der Vertrag, der bezweckte, dass die Auslandbanken die US-Vermögen dem Fiskus melden mussten. Wollte ein Amerikaner die Meldung umgehen, durfte er keine US-Wertpapiere im Ausland halten.

Das QIA kam zur «Deemed Sales»-Regel, wonach Finanzberatungen aus dem Ausland heraus mit dreissig Prozent besteuert wurden. Für das lukrative Offshore-Geschäft mit reichen Amerikanern stellten die beiden Vorschriften einen explosiven Cocktail dar. Zu diesem Schluss kam jedenfalls eine hochkarätige Projektgruppe der UBS, die im November 2001 ein «Proposal» mitverfasste, das «eine Anpassung unserer heutigen Aktivitäten, ja unseres ganzen Offshore-Geschäfts» forderte.

«Auch wenn das bestehende Geschäftsmodell vorerst ohne die Gefahr gravierender Zwischenfälle in den USA weitergeführt werden kann, so bleibt es schliesslich doch von der Risikobereitschaft der UBS abhängig», hielten die Spezialisten darin fest, und schlugen vor, «das US-Offshore-Business einzudämmen, es mit Blick auf vollständige Einhaltung der Vorschriften herunterzufahren und/oder einen unabhängigen Drittanbieter aufzubauen, der keine direkte Beziehung zur UBS unterhält.»

Eindämmen, herunterfahren, auslagern. Das heisse Thema lag mit dem Proposal auf dem Tisch der obersten Entscheidungsträger, darunter der spätere CEO der UBS Marcel Rohner, sein Intimus Raoul Weil sowie Martin Liechti, zwei hochrangige Manager, die im UBS-Drama besondere Rollen spielen soll- ten. Gemeinsam lehnten es die Topshots ab, wie vorgeschlagen aus dem riskan- ten Geschäft mit reichen Amerikanern auszusteigen.

Doch die Chefs standen nicht nur nicht auf die Bremse, sondern sie drückten nun erst recht aufs Gas. So sollten die Kundenberater unternehmerisch handeln, statt kleinlich ihre Spesen zu verrechnen. Mehr Kunden, mehr Vermögen, hiess das Ziel. Wie im Handelsgeschäft mit den toxischen Hypothekenpapieren schwenkte die UBS Anfang des 21. Jahrhunderts auch im scheinbar konservativen, risikoarmen Geschäft der Vermögensverwaltung auf einen scharfen Wachstumskurs ein. Ein Entscheid, den die oberste Führung bewusst fällte.

Eine wichtige Aufgabe auf der Rekordfahrt kam Raoul Weil zu. Im Frühling 2002 wurde der damals 42-Jährige zum Chef des globalen Offshore-Bankings ernannt. Wie sein fünf Jahre jüngerer Vorgesetzter Rohner und der zehn Jahre ältere UBS-Übervater Marcel Ospel stammte auch Weil aus den Reihen des früheren Bankvereins, der einst kleinsten Schweizer Grossbank, deren Spitzen nach der Fusion mit der viel grösseren UBS den Ton angaben.

«Taste for Bucks»

Raoul Weil galt als Apparatschik, der seine Ideen nicht vor seinen Truppen verkündete, sondern aus dem geschützten Bereich des Chefbüros heraus operierte. Dort entwickelte er das Programm TASTE for BUCKS, wie Recherchen für diesen Artikel erstmals aufzeigen. Gemeint waren «Trust», «Advice», «Service», «Team» und «Emotions», sodann «Big Shift» für den Wechsel zu Vermögensverwaltungsmandaten, «Using Best Practice», «Client Centered Offering», «Key Clients» und «Strive for Growth». Sehr wichtig das Letzte: Wachstum war gefordert, insbesondere was die Anzahl der Kunden und die verwalteten Vermögen anging. TASTE for BUCKS zierte Präsentationen und Mausmatten, galt als zentrale Wachstumsinitiative des Private Banking und wurde zu Weils persönlichem Karrierebeschleuniger.

Gegen aussen präsentierten sich Weil und die ihm unterstellten Kundenberater als topseriöse Truppe, die sich scheinbar pingelig an die Gesetze der ausländischen Märkte hielt. Sogenannte Country Papers hielten intern im Detail fest, was den UBS-Mitarbeitern im Verkehr mit den ausländischen Kunden erlaubt war und wo sie die Grenze zur Illegalität überschritten. Bei jenen US-Kunden, die nicht nur Bargeld hielten, sondern auch Wertpapiere, stand bei der UBS praktisch alles auf dem Index: keine persönliche Beratung, weder per Telefon, Mail, Fax und schon gar nicht mittels Besuchen in den Staaten. «Das Anwerben und Akzeptieren neuer Geschäfte von US-Bürgern ist kein Problem, wenn sich diese ausserhalb der Vereinigten Staaten aufhalten», nannte das Dokument die einzige ungefährliche Akquisitionsmethode.

Selbstverständlich hielten sich die reichen Amerikaner, genauso wie die vermögenden Mexikaner, Brasilianer, Deutschen und Franzosen, die meiste Zeit innerhalb ihres eigenen Landes auf. So war eine fruchtbare grenzüberschreitende Beratung eben offshore faktisch unmöglich, wie das der Antrag der UBS-Rechtsspezialisten an die Geschäftsleitung schon Ende 2001 deutlich gemacht hatte. Doch für die obersten Verantwortlichen des Bereichs, insbesondere Raoul Weil und Marcel Rohner, war dies noch lange kein Grund, ihre Kundenberater zur Vorsicht zu ermahnen. Im Gegenteil, sie hielten am beschlossenen Wachstumskurs fest und drückten aufs Tempo.

Diese Politik, kam die Schweizer Bankenaufsicht Finma in einer späteren Untersuchung zum Schluss, habe «zu einer eigentlichen Pervertierung» geführt. Statt alle Anforderungen unter einen Hut zu bringen, seien für die Kundenberater die neu gewonnenen Vermögen «zum wichtigsten Faktor bei der Partizipation am Bonuspool» geworden. Zuletzt habe die Meinung vorgeherrscht, dass es die Bank «mit der Durchsetzung des Länderpapiers USA nicht so ernst meinen» könne, kamen die Bankaufseher in ihrer Analyse zum Schluss. In Richtlinien zu Vorsicht ermahnen, mit dem Bonus aber Wachstum belohnen dies war die von oben verordnete Schizophrenie.

Geheimdienst-Methoden

Je länger die UBS mit diesem Widerspruch wirtschaftete, desto ausgefeilter wurden die Methoden. Die grösste Schwierigkeit bei der illegalen Kundenberatung im Ausland war, die für die persönlichen Kundengespräche benötigten Dokumente Konto- und Depotauszüge sowie Anlageempfehlungen unbemerkt ins Ausland zu bringen. Schliesslich entwickelten interne Informatiker eine raffinierte Lösung. Sie kreierten die spezielle Software Secure Travel Access Service (STAS), die einen passwortgeschützten Zugang zum Hauptcomputer in der Schweiz schuf.

Für Nichteingeweihte blieb STAS unsichtbar, wie sich jetzt erstmals zeigt. Um den Dienst zu aktivieren, musste ein UBS-Berater zuerst einen USB-Stick in den Computer einfügen und dann auf das Symbol eines Spielprogramms klicken. Nach diesem Sesam-öffne-dich-Befehl konnte er sich im Schweizer Zentralrechner einloggen und die vor der Abreise bereit gestellten Kundendaten via gesicherter Internetverbindung auf den Laptop herunterladen. Mit einem mitgebrachten Miniprinter druckte er die Dokumente schliesslich auf Papier aus.

STAS war auf einem versteckten Speicherteil des Reisecomputers installiert. Mittels Routinekontrolle am Flughafen konnte ein Zollbeamter dem Geheimnis kaum auf die Spur kommen. Gefährlich wurde die Sache erst, wenn IT-Spezialisten des FBI das Gerät unter die Lupe nehmen würden. Um notfalls die verräterischen Spuren rasch zu verwischen, haben die UBS-Tüftler einen Selbstzerstörungsmechanismus eingebaut. Gab ein Kundenberater den Befehl «XTAS» Synonym für «Delete TAS» ein, wurde der geheime Speicherbereich formatiert, und sämtliche Kundenfiles und Programme für den Passwortzugriff auf den Rechner in der Schweiz waren weg.

Grossen Wert legte die Bank darauf, dass ihre Berater nicht mit gespeicherten Kundendaten auf dem Laptop die Ausreisekontrolle passierten. Auch dafür fanden die IT-Cracks in Zürich eine Lösung. Wenige Tage vor der geplanten Heimreise erhielten die US-Kundenberater ein automatisiertes Mail in die USA geschickt, das sie daran erinnerte, den Säuberungsbefehl «XTAS» durchzuführen.

Mit ihren Undercover-Methoden geschäftete die UBS ähnlich wie eine Geheimdienstorganisation, bei der das, was die Aussenwelt unter keinen Um- ständen erfahren durfte, intern offen diskutiert wurde. In einem Schulungsseminar im Jahr 2006 diskutierten Kundenberater und interne Juristen die heikelsten Themen. «Welche Daten dürfen auf dem Reisecomputer mit dem STAS sein?», war ein solches. «Alle STAS müssen beim Grenzübertritt leer sein», rieten die Juristen, «vorgeschlagen wird eine unverfängliche UBS-Präsentation für PC-Kontrollen.» Selbst die Gefahren für die Geheimdienst-Banker wurden ungeschminkt adressiert. Worauf ein Berater nach einer Verhaftung pochen könne, wurde gefragt. Lakonische Antwort: «Er hat Anrecht auf einen US-Verteidiger, muss aber aufgrund der Anti-Terror-Gesetze mit einer Inhaftierung ohne Angabe von Gründen rechnen.»

Bis dahin konnte die oberste Unternehmensleitung immer noch behaupten, sie hätte vom konkreten Treiben in ihrem Offshore-Geschäft und insbesondere in der US-Vermögensverwaltung nichts gewusst. Ab dem 22. Februar 2006 war dies nicht mehr möglich. Wie Recherchen für diesen Artikel ergeben haben, besprachen sich an jenem Mittwoch im UBS-Hauptsitz die höchsten Vertreter der US-Vermögensverwaltung mit Top-Juristen der Grossbank. Eingeladen hatte Peter Kurer, seit ein paar Jahren UBS-Konzernanwalt und damit zuständig dafür, dass das Unternehmen seine gefährlichsten rechtlichen Risiken unter Kontrolle hatte.

Unter dem Projektnamen «Globus» präsentierten die internen US-Spezialisten eine Analyse der Risiken im amerikanischen Offshore-Geschäft. Aufgelistet waren unter anderem Grösse und Gewinne des Business, Anzahl Kundenbesuche in den letzten Jahren sowie die Zu- respektive Abflüsse der Vermögen reicher Amerikaner. Das Wichtigste folgte ganz am Schluss. Auf Seite 13 waren «mögliche Zwangsmassnahmen» des UBS-Managements gegenüber seinen Kundenberatern aufgelistet, versehen mit grünen, gelben und roten Punkten, je nach Folgen für das Geschäft. Rot markiert waren die beiden Vorschläge «Regelmässige rechtliche Selbstdeklaration der Kundenberater (keine Telefonanrufe, keine E-Mails, keine Anlageempfehlungen)» sowie «Keine Reisetätigkeit mehr (US-Reiseverbot)».

Das war brisant. Denn die Analyse der Experten zeigt: Das Geschäft mit den vermögenden US-Kunden war nur dann erfolgreich zu betreiben, wenn die UBS weiterhin bereit war, US-Gesetzesverstösse zu riskieren. Beides Kundenkontakte aus der Schweiz heraus und Beratungsbesuche in den USA war bekanntlich für Banken ohne US-Lizenz strikt verboten. Würde die UBS nun wirkungsvolle Massnahmen ergreifen, um die Einhaltung dieser Vorschriften sicherzustellen, könne man ebenso gut das Geschäft schliessen, meinten die Verantwortlichen. Die Wahl war klar: weiter machen und gegen Gesetze verstossen oder sofort raus aus dem Geschäft. Eine andere Option gab es nicht.

Ein gewisser Birkenfeld

Konzernanwalt Peter Kurer, ein ausgewiesener Wirtschaftsanwalt mit Kenntnissen des US-Rechts, zögerte, wie sich Sitzungsteilnehmer erinnern. Er soll sich erstaunt gezeigt haben, dass viele vermögende Amerikaner offensichtlich Steuern umgehen wollten. Schliesslich schob der Topmanager, der zur Konzernleitung der Bank gehörte und vermutlich der engste Vertraute von UBS-Präsident Marcel Ospel war, die heisse Kartoffel den Managern der US-Vermögensverwaltung zu. Was diese empfehlen würden, fragte sie Kurer. Kaum verwunderlich, wollten sie nichts von den rot markierten, harten Massnahmen wie einem Reiseverbot für die Kundenberater wissen, sondern schlugen weniger Einschneidendes vor. Damit war Kurer einverstanden, wie sich ein Sitzungsteilnehmer erinnert. Ein bisschen mehr Schulung und ein neues «Country Paper», das sich nun über sieben statt wie bisher drei Seiten erstreckte, sollten genügen. In Zukunft musste ein Kundenberater nach seiner Rückkehr von Kundenbesuchen in den USA «bestätigen, dass er oder sie die Bedingungen dieses Länderpapiers» erfüllen würde.

Was war der Grund für Kurers riskanten Beschluss? Immerhin hatte die UBS zu jener Zeit bereits Kenntnis von einem gewissen Bradley Birkenfeld, der die Machenschaften in den USA intern laut kritisierte und kurz nach dem Februar-Spitzenmeeting zum Whistleblower wurde, dessen Vorwürfe die Bank mit einer internen Untersuchung abzuklären hatte. Ein Motiv liegt auf der Hand: Die Verantwortlichen waren nicht bereit, auf die Gewinne des amerikanischen Offshore-Geschäfts zu verzichten. Zwar ging es nur um rund 200 Millionen, was im Vergleich zu den über 10 Milliarden Franken Konzerngewinn vernachlässigbar schien. Doch damit konnte die UBS die enttäuschenden Resultate ihres riesigen, aus Amerika heraus betriebenen Geschäfts mit Tausenden von Kundenberatern ein wenig kompensieren. Die Spitzenleute Marcel Rohner und Raoul Weil lehnten jedenfalls ein halbes Jahr nach dem Meeting bei Kurer Verkauf, Abtrennung oder Reduktion des Business ab, «da dies zu teuer käme und zu viel schädliche Aufmerksamkeit erzeugen würde», wie ein US-Gerichtsdokument festhält.

Damit hatten jene Manager, die in der UBS-Boomphase mit Dutzenden von Millionen Boni für vermeintliche Sonderleistungen und vorsichtiges Geschäftsgebaren belohnt wurden, die letzte Chance auf einen glimpflichen Ausgang des US-Betrugs verpasst. Konzernanwalt Kurer, Vermögensverwaltungschef Rohner und Offshore-Leiter Weil, drei der wichtigsten Entscheidungsträger an der Spitze der Grossbank, die 2007 und 2008 nach ganz oben befördert wurden, ignorierten sämtliche Risiken.

Trotzdem zeigte die Schweizer Bankenaufsicht Finma später viel Verständnis für die Versäumnisse. «Wir stiessen auf keinen einzigen harten Beweis, wonach die oberste Führung mit Peter Kurer und Marcel Rohner an der Spitze um die Machenschaften im US-Offshore-Geschäft wusste und diese bewusst tolerierte», sagte Finma-Rechtschef Urs Zulauf, nachdem er das US-Offshore-Geschäft der UBS unter die Lupe genommen hatte. «Deren Fehler war im Rückblick vor allem, dass sie zu zögerlich und zu wenig konsequent auf die vorhandenen Anzeichen für die zunehmenden Rechtsrisiken im grenzüberschreitenden Geschäft mit US-Privatkunden reagiert haben.»

Verschlossen die UBS-Topshots bewusst die Augen? Die Konspiration gegen die USA hatte eine Dimension erreicht, bei der jederzeit mit dem Schlimmsten zu rechnen war. Zuletzt genügten die Aussa- gen von Bradley Birkenfeld, um das Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. Die Bank zahlte dem Whistleblower eine halbe Million Dollar Extrabonus und dachte, die Sache sei damit erledigt. Doch Anfang 2007 tauchte der Ex-Berater wie die böse Fee im «Dornröschen» aus der Versenkung auf. Im Fünfsternehotel Palace in Mont-reux hatte UBS-Topmann Martin Liechti seine Kundenberater zum jährlichen Stell- dichein versammelt. Als Birkenfeld, der schon früher im Palace eingecheckt hatte, von Liechtis rechter Hand gefragt wurde, weshalb er da sei, zischte er: «I will get you!»

Damals hatte Birkenfeld erste Verhandlungen mit dem US-Justizamt aufgenommen. Im Juni 2007 legte er schliesslich das UBS-Betrugsschema offen. Als die Bank vom Verrat Wind kriegte, reagierte sie wie ein beim Schummeln ertappter Schüler, der versucht, rasch den Spickzettel zu verstecken. Am 15. November 2007 teilte Konzernleitungsmitglied Raoul Weil seinem Kader mit, dass sich die UBS aus dem traditionellen US-Offshore-Geschäft zurückziehe. Weil sprach von «anhaltenden Bemühungen, den Kunden besser zu dienen und das Geschäft gesetzeskonform zu vereinfachen» und tat so, als ob der Beschluss von langer Hand geplant gewesen wäre. Dabei hatte die UBS-Leitung ihren Beratern erst noch vor Kurzem neue Rekord-Geldziele vorgegeben.

Hätte die Unternehmensleitung bei Krisenausbruch sofort ein umfangreiches Geständnis abgelegt, Köpfe rollen lassen und eine Busse geleistet, dann wäre die spätere Eskalation vermutlich ausgeblieben, behauptet ein hoher UBS-Kadermann, der anonym bleiben will. Dass die Führung die Gefahr aus den USA massiv unterschätzte, könnte mit der Überschätzung des eigenen Einflusses zusammenhängen. Immerhin hielt sich die UBS in den USA einige hochkarätige Lobbyisten. Einer davon war Joseph Grano, ein Vietnamveteran, der den Schweizern im Jahr 2000 seine Bank Paine Webber für gegen 20 Milliarden Franken vermachte. Nach dem Deal blieb Grano an der Spitze von Paine Webber und wurde 2002 von Präsident George Bush zum Vorsitzenden des «Homeland Security Advisory Council» gekürt, einem Vorläufer des gleichnamigen Ministeriums. In dieser Funktion galt Grano als einer der wichtigsten Berater von Bush in dessen «Krieg gegen den Terror». 2004 verliess Grano die UBS, nachdem er sich mit Präsident Ospel überworfen hatte.

Besonders einflussreich in Washington war Philip Gramm. Der Langzeit-Senator hebelte 1999 das Glass-Steagall-Gesetz aus, das den US-Finanzhäusern sechs Jahrzehnte lang ein Trennbankensystem vorschrieb. Von da an durften auch Geschäftsbanken mit Kundeneinlagen das riskante Investmentbanking betreiben. Nobelpreisträger Paul Krugman schimpfte Gramm einen «Hohepriester der Deregulation». Gramms Frau Wendy sass im Verwaltungsrat des Pleite gegangenen Energieriesen Enron, aus dessen Konkursmasse die UBS das Energiehandelsgeschäft erwarb. Phil Gramm trat 2003 als hochrangiger Direktor in die Dienste der Schweizer Grossbank ein, um seine Arbeitgeberin bei seinen republikanischen Parteifreunden beliebt zu machen.

Appeasement statt Tricks

Im Frühling 2008 realisierten die UBS-Lobbyisten und ihre Chefs in Zürich, dass sie die Ermittler des Justizministeriums unterschätzt hatten. Diese verhafteten nacheinander UBS-Generaldirektor Martin Liechti und Whistleblower Birkenfeld. Nun kippte die UBS ins Gegenteil, statt Tricks wählte sie Appeasement. Das Lobbying verlagerte sich nach Bern und zu den US-Demokraten. Finanzminister Hans-Rudolf Merz und Bankenaufsichtschef Eugen Haltiner, zwei Ex-UBS-Manager, konnten helfen. Vor allem auf Haltiner war Verlass. Als sich eine Notübung abzeichnete, liess sich Haltiner kurzfristig von der Ausstandsregel in UBS-Themen befreien und boxte im Februar 2009 die Herausgabe von 250 US-Kundennamen unter Ausschaltung des Rechtswegs durch. Heute ist klar, dass dieser Akt das Schweizer Bankgeheimnis zerstörte.

Die UBS war damit in den USA aus dem Gröbsten heraus. Hinter den Kulissen hatte ihr US-Chef Robert Wolf bei den frisch gewählten Demokraten geweibelt. Wolf war Barack Obama erstmals Ende 2006 an einer Wahlveranstaltung in Manhattan in den Räumen von George Soros begegnet. Er drückte Obama nach dessen Rede seine Visitenkarte in die Hand, und schon am nächsten Tag meldete er sich. «Zuletzt sagte Obama: ‹Ich rufe Sie nach den Ferien an›, und ich dachte: Yeah, ja, er wird sich melden», zitierte ein «New York»-Reporter den UBS-Manager. Kurz nach dem Einzug ins Weisse Haus berief Obama Wolf als einzigen Vertreter der grossen Wallstreet-Häuser in sein Economic Recovery Advisory Board, dem Wirtschaftsgrössen wie Ex-Fed-Chef Paul Volcker und General-Electric-CEO Jeffrey Immelt angehören. Letzten Sommer spielten Barack Obama und UBS-Chefmanager Wolf gemeinsam Golf auf der Präsidenten-Ferieninsel Marthas Vineyard.

Es bleibt die Frage: Wäre eine UBS, die über einen direkten Draht zur neuen US-Regierung verfügte, Anfang 2009 tatsächlich angeklagt worden, wenn sich die Schweiz quergelegt, ihr Rechtssystem verteidigt und keine UBS-Kundendaten notfallmässig ausgehändigt hätte? Darüber könne man nur spekulieren, meint der Zürcher Anwalt Peter Nobel. «Sicher ist: Der Bundesrat hatte nicht den Mumm, sich der Drohung der USA entgegenzustellen und die geforderte Datenherausgabe zu unterbinden. Vor lauter Systemschutz für die grosse UBS hat der Bundesrat den Systemschutz für das Land aus den Augen verloren.»

Am Ende lautet die Erkenntnis: Für die UBS und ihre früheren Chefs hat die Geschichte ausser öffentlicher Kritik keine Folgen. Auszubaden haben sie die Schweiz und ihre Bürger.

Vom Autor erscheint am 13. April das Buch «Paradies Perdu — Wie die Schweiz ihr Bankgeheimnis verlor» beim Hamburger Verlag Hoffmann und Campe. Es zeigt auf, wie die UBS- Machenschaften den wertvollen Standort- vorteil für die Finanzindustrie zerstörten.

(Dieser Artikel wurde mit dem „Preis für unabhängigen Journalismus 2010“ ausgezeichnet und war nominiert mit Arbeiten von weiteren freischaffenden Schweizer Journalisten, siehe auch persoenlich.comwerbewoche.ch und presseverein.ch.)



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