Sünden von gestern

Berna Biotech verliert die Entwicklung neuer Impfstoffe an die Mutterfirma Crucell. Schuld sei Ex-CEO Sommer, klagen Berna-Leute. Der kontert.

Kuno Sommer steht für ein Porträt nicht zur Verfügung. Er äussere sich nur zum Geschäft, nicht zu seiner Person, lässt der Pharmamanager ausrichten. Und die Fragen bitte schriftlich.

Kaum angeschrieben, meldet sich der 50-Jährige gar persönlich. Behauptungen von Leuten, die Berna während 20 Jahren «in den Boden gerammt» hätten, könne er nicht stehen lassen: «Das Schweizerische Serum- und Impfinstitut (ab 2001 Berna Biotech) war Ende der neunziger Jahre ein schwieriger Sanierungsfall und nicht eine florierende Impfstoffunternehmung.» Von einer seriösen Zeitschrift erwarte er, Sommer, diese Fakten zur Kenntnis zu nehmen.

Sommer der Sanierer oder Sommer der Versager? lautet die zentrale Frage der jüngeren Geschichte des Impfstoffherstellers. Eines ist gewiss: Der Manager, der wegen seiner Rolle im Roche-Vitaminskandal 1999 vier Monate lang in einem US-Gefängnis sass und vom Pharmamulti entlassen wurde, polarisiert. Langjährige Berna-Biotech-Manager werfen ihm Unkenntnis des Marktes und schwere strategische Fehlentscheide vor, unter anderer Führung wäre Berna heute eine blühende Firma. Hirngespinste, kontert Sommer, gefehlt habe es an Grösse, Qualität und neuen Produkten.

1898 wurde das Serum- und Impfinstitut von Berner Ärzten und Apothekern gegründet. Die private Firma verfügte Ende der neunziger Jahre zwar über eine breite Produktpalette, litt aber unter veralteten Produktionsanlagen. Millionenschwere Investitionen waren dringend nötig.

Doch bevor die langjährige Führungsmannschaft Massnahmen ergriff, kam es im Aktionariat zum Aufstand. Eine Mehrheit beschloss, einen neuen Präsidenten einzusetzen. Und der verpflichtete im Jahr 2000 Kuno Sommer.

Der Ex-Roche-Topshot hielt sich nicht lange mit der Analyse auf. Kurz nach seinem Antritt stellte er die Weiterentwicklung zahlreicher Produkte ein, fokussierte sich stattdessen auf die Lancierung neuer Impfstoffe und investierte in den Kauf einer Grossanlage in Südkorea. Schliesslich kam er vor Jahresfrist zum Schluss, dass Berna allein keine Zukunft habe.

Zuerst zeigte der Pharmakonzern Novartis Interesse. Doch nach eingehender Prüfung winkten die Basler ab. So landete Berna bei der aufstrebenden holländischen Crucell. Diese wurde zwar erst 1993 gegründet und war deutlich kleiner: 210 Angestellte versus 750 bei Berna, 35 Millionen Franken Umsatz gegenüber 205 Millionen. Doch die Börse traute Crucell viel mehr zu, der Wert der Holländer war dreimal so hoch wie jener der Berner.

Persönlich machte sich der Verkauf für Sommer bezahlt. Er wurde Marketingchef und Mitglied der Crucell-Leitung. Unglücklicher geht die Geschichte für 40 Spezialisten am Berner Standort aus. Da Berna einen neuen Impfstoff, in den sie grosse Hoffnungen steckte, nicht zur Marktreife brachte, hat ihnen Crucell vor drei Wochen gekündigt.

Der Entscheid hat weit reichende Folgen für die Zukunft. Denn Crucell beschloss, dass die Zeit für eine klare Aufteilung der Aufgaben zwischen Bern und Holland gekommen sei. Die gesamte Forschung und Entwicklung kommt ins holländische Leiden, Bern wird zum reinen Vertriebs- und Produktionszentrum. Das Aus des traditionsreichen Schweizer Impfstoffherstellers als Entwicklungsstätte neuer Produkte und Impfverfahren ist besiegelt.

Ein langjähriger Berna-Kadermann ortet den Grund für den Niedergang seiner Firma bei Kuno Sommer. Als Berna-CEO habe dieser selbstherrlich und unoffen für andere Meinungen entscheidende Weichenstellungen beschlossen. Beispielsweise habe Sommer darauf verzichtet, weiterhin in bestehende Impfstoffe gegen bakterielle Erkrankungen wie Diphtherie (Atemwegsinfektion) und Tetanus (Starrkrampf) zu investieren, und sich stattdessen auf die Entwicklung neuer Impfstoffe beschränkt. Eine solche Strategie sei riskant, weil im Pharmageschäft der Erfolg von Neuentwicklungen stets ungewiss sei, während existierende Produkte sichere Einnahmequellen seien.

«Ohne Not verzichtete Sommer auf eine Weiterführung bewährter Produkte», sagt dieser Kritiker. Als Grund vermutet der Berna-Manager, dass es dem branchenfremden Sommer am Know-how für den Impfstoffmarkt fehle. «Er ist ein Alphatier aus dem Vitamingeschäft und war überzeugt, dass er schon wisse, wie unser Business funktioniere.»

2002 erwarb Sommer eine koreanische Produktionsanlage mit einem Vielfachen des Berner Stammhausvolumens. Das Problem war, dass mit den in Südkorea produzierten Impfstoffen gegen Hepatitis B (chronische Leberentzündung) kaum mehr Geld zu verdienen war. Der grosse Nachfrageschub war vorbei, Konkurrenten aus Indien und anderen Billiglohnländern erhielten Lizenzen für eigene Impfstoffe, die Preise sanken. Als Folge blieb das koreanische Mammutwerk nach dem Kauf durch die Berna nur halb ausgelastet.

«Sommer hat die Marktentwicklung für Hepatitis-B-Impfungen komplett falsch eingeschätzt», sagt der kritische Berna-Manager. «Einem, der in unserer Industrie gross geworden ist, hätte das nicht passieren können.»

Der Angeschossene lässt die Kritik nicht auf sich sitzen. «Korea war nicht das Problem der Berna-Gruppe, der Standort Bern war unser Sorgenkind», sagt Sommer und verweist auf «massive Altlasten». Er zeigt auf den Impfstoff Quinvaxem (Hepatitis-B-Kombinationsimpfstoff), der von der Weltgesundheitsbehörde WHO kürzlich zugelassen worden sei und ab 2007 der umsatzstärkste Impfstoff der ganzen Crucell-Gruppe werde.

Unterstützt wird Sommer von Peter Giger, bis zur Übernahme durch Crucell Verwaltungsratspräsident von Berna Biotech. Der Verkauf an die Holländer sei auch aus heutiger Sicht richtig, denn Rückschläge wie die jetzt gescheiterte Markteinführung eines Hoffnungsträgers wären für Berna allein viel schwieriger zu verkraften.

Auf die Kritik an Sommer, den er nach kurzer Zeit im Amt selbst verpflichtete, reagiert Giger mit einem Berner Sprichwort: «Allen Leuten Recht getan ist eine Kunst, die niemand kann.» Fehler würden überall passieren, aber das Management und Kuno Sommer nähmen mit dem Stellenabbau ihre Verantwortung wahr und stärkten die Firma für die Zukunft.

In der Crucell-Zentrale gerät Sommer offenbar nicht unter Druck. «Man kann die gescheiterte Produktlancierung nicht einer einzelnen Person in die Schuhe schieben», sagt Kommunikationschef Paul Vermeij, «und schon gar nicht Kuno Sommer.»

Der Misserfolg war der letzte einer Reihe von Flops. Den grössten Schaden hinterliess Nasalflu, eine Grippeimpfung per Spray statt Injektion. Das Produkt löste anfänglich Begeisterungsstürme bei Kunden und an der Börse aus. Umso grösser war der Katzenjammer, als Nasalflu in Einzelfällen vorübergehend das Gesicht lähmte. 2002 stellte Berna die Entwicklung ein. Ein vorschnelles Begräbnis, behauptet ein Ex-Berna-Kadermann. «Vielleicht waren die Nebenwirkungen gar nicht so schlimm. Aber da hatte Sommer schon den Stecker gezogen.»


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