Es rappelt in der Kiste

Die Sesselkleber hat er vor die Tür gestellt und die Aktienwerte aus dem tiefen Keller geholt: Fiat-Lenker Sergio Marchionne wird als neuer Turboantrieb gefeiert.

Die meisten Topmanager geben sich sehr selbstbewusst, das gehört zum Geschäft. Bei vielen spürt man aber unter der glatten Oberfläche Zweifel an der eigenen Unfehlbarkeit. Nicht so bei Sergio Marchionne, 54. Der Italiener, der von der Schweiz aus zum Sprung an die Weltspitze ansetzte, ist bis in die Spitzen seiner Haarlocken von sich überzeugt.

Seit anderthalb Jahren leitet Marchionne die Geschicke des italienischen Automobilherstellers Fiat, eines Ungetüms von Unternehmen mit 160000 Angestellten. Die Fabbrica Italiana Automobili Torino erwirtschaftet fünf Prozent der Wirtschaftsleistung des ganzen Landes. Fiat, das ist Italiens Chance und gleichzeitig Risiko, das macht ihren Chef zum meistbeobachteten Manager im Stiefelstaat.

In diesem Amt scheiterten schon viele. Allein in den zwei Jahren bevor Marchionne den Job übernahm, mussten vier CEOs den Chefsessel räumen. Mit Marchionne könnte nun die seit Jahren versuchte Sanierung des kriselnden Industrieriesen gelingen. Dank seinem raschen Zupacken befindet sich die Gruppe auf dem Weg zur nachhaltigen Gesundung: Im abgelaufenen Geschäftsjahr verwandelte Fiat unter Marchionnes Führung einen Verlust von 1,6 Milliarden Euro in einen Gewinn von 2,3 Milliarden, allerdings nur dank Sonderfaktoren. Entscheidend ist die Autosparte, die fast die Hälfte des Konzerns ausmacht. Und die ist erstmals seit vier Jahren im Plus. Zwar nur mit 21 Millionen Euro im letzten Quartal 2005 ­ aber drei Monate zuvor war es noch ein Verlust von 156 Millionen gewesen.

Marchionne, der Ökonomie, Philosophie und obendrein Jus studierte, scheint die Wende geschafft zu haben. Einmal mehr. So wie früher bei Alusuisse-Lonza, so wie beim Genfer Warenprüfungsunternehmen SGS. So wie bisher immer in seiner Karriere. Wie schafft es dieser Tausendsassa, selbst in einer Industrie, die er fast nur vom Hörensagen kannte, in wenigen Monaten das Steuer herumzureissen, das Management zu elektrisieren, den Mitarbeitern neue Perspektiven zu eröffnen und für Freudensprünge an der Börse zu sorgen?

Einsetzende Heldenverehrung

«He undersales and overdelivers», sagt der Fiat-Pressechef in akzentfreiem Englisch. Auf Marchionne sei Verlass, weil er nie den Mund zu voll nehme. Deshalb verzücke Marchionne die Investoren, deshalb geniesse der Fiat-Chef als Sanierer eine Glaubwürdigkeit wie nur wenige. Tatsächlich: Fiat galt als Kandidatin für den Konkurs, nun steht die Aktie auf dem höchsten Stand seit langem.

Es ist Mittwoch, der zweite Pressetag am Genfer Autosalon. Plötzlich breitet sich Hektik unter den italienischen Journalisten aus. Die Blicke fallen auf eine Gruppe von Männern, die zum «Bubble» kommt, wie sich der Fiat-Stand am diesjährigen Salon nennt, der mit seiner Silberverkleidung an eine Kapsel aus der TV-Serie «Raumschiff Enterprise» erinnert. Vorneweg schreitet ein grossgewachsener Mann mit angegrauter Mähne: Marchionne, in klassischem dunklem Anzug und bordeauxroten Ledermokassins. Mit seinen O-Beinen und dem knielangen, leicht zerknitterten Mantel erinnert er etwas an einen von Ennio Morricones Westernhelden. Mikrofone werden ihm vor den Mund geschoben, der Reporter der italienischen Nachrichtenagentur bombardiert ihn mit Fragen. Marchionne antwortet so leise, dass die Techniker an den Aufnahmeknöpfen schrauben. Nach fünf Minuten ein erstes Lächeln, eine nette Verabschiedung, und weg ist er, zusammen mit einer Traube von Fiat-Managern.

Luca De Meo, 38, einer dieser Aufsteiger, war bei Renault und bei Toyota; vor vier Jahren stiess er zu den Italienern. Jetzt ist er zuständig für die Marke Fiat und direkt dem Konzernchef unterstellt. De Meo soll Fiat neuen Glanz verleihen, die Modelle der Italiener als hip und modern im Markt positionieren. Er ist ein bulliger Typ, der sich für seinen ersten Auftritt am Salon in einen Nadelstreifenanzug zwängte. Was schätzt er an seinem Chef besonders? «He is a man ­ with big M.» Damit erinnert De Meo an den Helden im Roman «A Man» von Oriana Fallaci über Leben und Sterben eines griechischen Revolutionärs. Der Bestseller beeindruckte eine Generation junger Italiener.

Auch Sergio Marchionne ist daran, zum Helden einer neuen Crew von Fiat-Managern zu werden. Er begeistert seine Mitstreiter durch mutiges und konsequentes Handeln. Darin unterscheidet sich der heutige Fiat-Chef von seinen Vorgängern. Selbstverständlich hätten auch diese gewusst, was zu tun gewesen wäre. Der riesige Überbau mit Managern, die ihren Zenit längst überschritten hatten, musste verkleinert werden, und es musste Platz für neue Köpfe mit frischen Ideen geschaffen werden.

Doch erst Marchionne wagte sich daran. Und zwar so schnell und kompromisslos, dass es in der traditionell bürokratischen Wirtschaft Italiens einer Revolution gleichkam. Am 1. September 2004, nur zwei Monate nach seinem Antritt, präsentierte Marchionne die Lösung. Es war die Antwort, die er bislang noch auf jede Krise in einem grossen Unternehmen gab, das er leitete: Eine neue Kultur mit unverbrauchten Kräften musste her.

Ins Communiqué für die Mitarbeiter und die Öffentlichkeit liess Marchionne eine Passage schreiben, die sein Erfolgsgeheimnis auf den Punkt bringt: «Wirkliche Veränderungen erfolgen einzig durch überdurchschnittliche Teilnahme. Deshalb wählen wir Leute, die aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Charakters einen Mentalitätswechsel herbeiführen können: Leute, die teamworkorientiert arbeiten und Ziele erreicht haben, Leute, die sich der ständigen Verbesserung verschrieben haben.»

Sein Credo mag pathetisch klingen, doch Marchionne lässt ihm jeweils Taten folgen. Er fordert und fördert, überträgt frischen Leuten die Verantwortung, gibt ihnen klare Ziele und wenig Zeit für die Umsetzung. Luca De Meo, dem jungen Markenchef von Fiat, schickte Marchionne eine Weihnachtskarte. Darauf hielt der Konzernchef fest: «IBM sagte mal, Kultur sei Teil des Spiels. Nun, Kultur IST das Spiel.»

Vollgas gegen die Amis

Marchionnes anderes Gesicht kriegen jene zu sehen, die nicht liefern oder dem Italo-Kanadier ­ mit 14 wanderte er mit seinen Eltern nach Toronto aus ­ Widerstand leisten. So wie Herbert Demel, der als Audi-Chef Erfolgsmodelle wie den TT lanciert hatte und von Marchionne mit dem Kulturwandel bei Fiat beauftragt wurde. Ein halbes Jahr später gerieten sie sich in die Haare. Konzernchef Marchionne schickte Demel in die Wüste und übernahm gleich auch noch die Leitung der Autosparte, von deren Geschäft er damals noch wenig verstand. «I wish him well for the future», schrieb Marchionne zum Abschied. Mehr nicht.

Sein gnadenloser Umgang mit dem Topmanagement ist legendär. Bei der Genfer SGS, wo er bald das Präsidium übernehmen soll, wechselte er fast die ganze Führung aus, bei Lonza installierte er seinen Kandidaten auf dem Thron, nur um ihn wenig später unter medialem Getöse wieder runterzustossen.

Trotzdem geniesst der Fiat-Chef hohes Ansehen bei seinen Leuten. Denn er fordert nicht nur, sondern liefert auch selbst. Wie am 13. Februar 2005, als er die Partnerschaft mit dem maroden US-Autogiganten GM auflöste. Eine Meisterleistung. GM hatte im Jahr 2000 für eine Milliardensumme das Recht und die Verpflichtung erworben, Fiat zu übernehmen, falls die Firma dereinst zum Verkauf stünde. Später dann wollten sich die Amerikaner aber nicht auch noch eine Sanierung in Italien aufhalsen. Ihren Rückzieher liess sich Marchionne mit 1,55 Milliarden Euro vergolden. Die GM-Chefs werden nicht so schnell vergessen, wie der vermeintliche Nobody, begleitet von nur zwei Fiat-Leuten, ein Heer von Anwälten ausbootete.

Dank diesem Deal wurde Marchionne über Nacht zu einem der Grossen der Autoindustrie. Schafft er es tatsächlich, Fiat zu sanieren, dann wird er für die Italiener noch mehr als das: ein nationaler Held.


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