«Wir denken anders»

Der Boeing-Verkaufschef für Europa, Russland und Zentralasien zweifelt nicht am handwerklichen Können der europäischen Konkurrenz. Die Strategie von Airbus leuchtet Marlin Dailey allerdings nicht ein.

BILANZ: Herr Dailey, Ihr neues Flugzeug, die Boeing 787 Dreamliner, ist ein Verkaufsschlager, während die Probleme des A380-Doppelstöckers Airbus in die Krise stürzt. War das absehbar?

Marlin Dailey: Die Leute von Boeing und Airbus sehen vieles gleich. Beide rechnen mit jährlich fünf Prozent Passagierwachstum über die nächsten 20 Jahre, mit mehr Pisten, mit technologischen Fortschritten. Einzig bei der Durchschnittsgrösse der Flugzeuge haben wir fundamentale Unterschiede. Wir bei Boeing glauben, dass der Mehrverkehr mittels höherer Frequenzen abgewickelt wird, Airbus setzt auf einen Trend zu grösseren Maschinen.

Versteht Ihre europäische Konkurrenz das Geschäft nicht mehr?

__ Das müssen Sie die Airbus-Leute in Toulouse und Hamburg fragen. Klar ist, dass Airbus vor Jahren entschieden hat, in allen Segmenten präsent zu sein. Sonst sei ein Flugzeugkonstrukteur nicht vollständig konkurrenzfähig. Wir denken anders. Nur weil Airbus mit dem A380 einen 555-Plätzer hat, planen wir sicher keinen Jet mit 600 Sitzen.

Airbus hatte Sie mit einer Produkteoffensive eine Zeit lang als Marktleader abgelöst. Zögerten Sie damals zu lange mit einer Neulancierung?

__ Im Schnitt haben wir alle zehn Jahre eine neue Modellreihe auf den Markt gebracht. Die Boeing 787 Dreamliner ist unsere zwölfte. Für solche Entwicklungen muss man bereit sein, bis zu zehn Milliarden Dollar auf den Tisch zu legen und dann fünf Jahre zu warten, bis der erste Dollar zurückfliesst.

Ein Fehlentscheid kann ein Unternehmen ruinieren.

Glauben Sie, der A380, dessen Lancierung Airbus Mal für Mal hinausschieben muss, kann die Firma existenziell gefährden?

__ An einem zweifle ich keine Sekunde: Unsere Konkurrenten werden den A380 in die Luft bringen. Die verstehen ihr Handwerk. Wie gross allerdings die Nachfrage nach diesem Jet sein wird, muss sich noch zeigen.

Mit dem A380 liegt Airbus weit weg vom Break-even Point. Trotzdem plant das europäische Unternehmen mit dem A350 bereits den nächsten Coup. Wie gefährlich ist dieser Kraftakt mitten in der Krise?

__ Fragen Sie Airbus. Das Management muss die Investoren vom Sinn überzeugen können.

Mit dem Sonic Cruiser, einem ultraschnellen Verkehrsflugzeug, haben auch Sie vor vier Jahren Ihr Waterloo erlebt.

__ Im Nachgang zum 11. September sagten uns die Kunden, dass Geschwindigkeit gut und recht sei, dass aber für sie die Kosten im täglichen Betrieb entscheidend seien. Wir hörten auf diese Stimmen und entwickelten den Dreamliner, der dank leichteren Materialien 20 Prozent weniger Treibstoff für die gleiche Transportleistung verbraucht als die heutigen Jets.

Damals traf es Boeing, nun ist Airbus an der Reihe. Gehören solche Missgeschicke zu Ihrer Branche?

__ Mit unserem Produktgespann 757 und 767 waren wir unangefochtene Marktleaderin. Irgendwann aber mussten wir uns eingestehen, dass die zwei Erfolgsmodelle für die Zukunft nicht mehr genügten. Das war ein schwieriger Prozess, besonders für eine Firma wie Boeing, die jahrzehntelang unangefochten an der Spitze lag.

Boeing und Airbus sind sich uneins, ob der Staat Neuentwicklungen subventionieren soll. Soll er?

__ Kommerzielle Flugzeuge sollten nach kommerziellen Kriterien gebaut und betrieben werden. Wer eine überzeugende Strategie hat und sein Handwerk versteht, findet immer genügend privates Geld und ist nicht auf den Staat angewiesen.

Der Aviatikbranche geht es gegenwärtig gut. Wie wirkt sich das auf Ihren Bereich aus?

__ Unterschiedlich. In Europa bauen die Low-Cost-Airlines ihre Kapazitäten immer noch rasant aus. Die grossen Netzwerk-Fluggesellschaften mit ihren Drehkreuzen wachsen hingegen höchstens um drei Prozent pro Jahr. Regional sind die Differenzen noch grösser: Die Türkei boomt, Russland auch, Zentralasien ebenfalls, aber von einer tiefen Basis aus. Alles in allem rechne ich in nächster Zeit mit einem hohen zweistelligen Wachstum pro Jahr.

Marlin Dailey (50) ist Amerikaner und seit zwei Jahren Verkaufschef für Europa und Mittelasien mit Sitz in London. Der studierte Luftfahrtingenieur stiess vor 27 Jahren zu Boeing. «Ich liebe diese Firma und ihre Aufgaben», sagt Dailey, «es ist alles drin: Technologie, Umwelt, komplexe Prozesse ­ alles mit dem Ziel, dass die Menschen angenehmer reisen können.»


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