«Der undankbarste Job»

BILANZ: Frau Kellaway, jede Woche eine Kolumne über Chefs und Büroalltag schreiben – kein Albtraum?

Lucy Kellaway: Das Anstrengende ist, ständig etwas Neues und Frisches zu finden. In meinem Büro liegen Berge von Büchern und Zeitungen, meine Mailbox ist vollgestopft mit Zuschriften von Lesern. Ich sichte alles Material und muss mich spätestens am Donnerstag für etwas entscheiden.

Worum geht es in Ihrer nächsten Kolumne?

__ Heute Morgen dachte ich, ich könnte etwas über das Buch «The Girl’s Guide to Being a Boss» von zwei US-Autorinnen machen. Aber nein, nein und nochmals nein: Das ist lau, langweilig, schon hundertfach erzählt. So habe ich das Werk auf den Boden geschmissen, und jetzt steigt schon die Panik wegen der Deadline. Eine leere Seite ist keine Option.

Stammen Ihre Ideen aus der realen Welt?

__ Meistens. Kürzlich brachte ich etwas übers Heulen. Über diejenigen, die das gut können. Und wie man es anstellen muss, um Erfolg damit zu haben. Alles frei erfunden, ich malte mir entsprechende Situationen in meiner Fantasie aus.

Gelang die Kolumne?

__ Nein. Ich war unzufrieden. Dann sagte ich mir: Was solls, die Woche hat nur sieben Tage, die nächste Chance steht vor der Tür.

Wissen Sie, was bei den Lesern ankommt?

__ Obwohl ich die Kolumne seit zehn Jahren verfasse, weiss ich nie, wann ich einen Nerv treffe. Aber sobald die Zeitung draussen ist, kriege ich tonnenweise Feedback und merke, wo die Leute der Schuh drückt.

Sie entlarven die menschlichen Schwächen von Topmanagern. Was fasziniert Sie daran?

__ Ich frage mich immer wieder, warum um Gottes willen gewisse Menschen nach immer mehr Verantwortung und einer immer höheren Stellung lechzen. Ein Job im obersten Management ist das Undankbarste, was ich mir vorstellen kann.

Warum?

__ Weil abgesehen von ganz seltenen Ausnahmen alle Topshots früher oder später abstürzen. Dann lecken sie sich die Wunden und fühlen sich als die grossen Versager. Selbst Jack Welsh gilt heute als Verlierer. Stellen Sie sich vor: der Jahrhundert-Jack, den alle bewunderten!

Was treibt diese Spezies zu ihrem offenbar masochistischen Tun?

__ Es sind extrem ehrgeizige Menschen, die nie zufrieden sind mit dem, was sie haben. Sie verfügen über einen speziellen Instinkt, etwas in ihnen drin treibt sie zu ständigen Höchstleistungen, zu unglaublich harter Arbeit, für die sie alles andere vernachlässigen.

Braucht man ein besonderes Gen, um Lust auf permanenten Machtkampf und ständige Höchstleistungen im Unternehmen zu verspüren?

__ Es liegt in der Natur dieser Menschen. Sie jagen ihren Zielen nach, ohne sich zu fragen, warum sie sie erreichen wollen. Sie können nicht anders.

Glauben Sie denn, dass die meisten dieser Managerwesen menschliche Wracks sind?

__ Ich kann nur sagen, dass die meisten ausgeglichenen, glücklichen Menschen, die ich kenne, keine Lust verspüren, an die Spitze eines Grossunternehmens zu gelangen. Sie suchen ihre berufliche Befriedigung in einer interessanten Aufgabe oder engagieren sich woanders.

Wäre es besser, wenn weniger ambitiöse Menschen an die Spitze grosser Organisationen gelangten?

__ Für die Wirtschaft wäre das schlecht. Wer weniger ehrgeizig ist, macht einen schlechteren Job. Deshalb kommen die härtesten Typen ganz nach oben. Es ist quasi ein Naturgesetz.

In Ihren Kolumnen kritisieren Sie auch Ihre Arbeitgeberin, die «Financial Times». Gibt das keine Probleme?

__ Es ist eine heikle Gratwanderung. Einerseits lebt eine gute Kolumne davon, dass Persönliches einfliesst. Anderseits darf ich die

Zeitung nicht schädigen. Wenn ich über die «FT» schreibe, informiere ich meinen Chef vorab.

Publizierten Sie etwas dazu, dass Sie vor Jahresfrist einen neuen Chefredaktor erhielten?

__ Ich stellte Überlegungen an, wie man sich verhalten soll, wenn man einen neuen Vorgesetzten erhält.

Was meinte der Chef zum Text?

__ No corrections!

Lucy Kellaway (47) arbeitet seit 21 Jahren für die englische Wirtschaftszeitung «Financial Times», seit 10 Jahren als Kolumnistin zum Thema Manager und Büroalltag. Mit ihrem Mann, dem Gründer und Besitzer des «Prospect Magazine», hat sie vier Kinder.


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