Im Teilbesitz der Kräfte

Das Zürcher Traditionshaus Julius Bär wächst mit dem Kauf des UBS-Privatsektors zu einem Imperium heran. Doch den Kurs bestimmt die Verkäuferin. Weltwoche, 8. September 2005
Wenn plötzlich Hunderte von Bankiers in Anzug und Krawatte durchs alternative Zürcher Industriequartier strömen, stehen grosse Veränderungen beim Traditionshaus Julius Bär an. Am Montag war es schon zum zweiten Mal in diesem Jahr so weit. In der Maag-Eventhalle, wo sonst Musicals stattfinden, erfuhren die Bankiers, was die Übernahme der UBS-Privatbanken für sie zu bedeuten hätte.

Mitte Januar wussten sich die Mitarbeiter der Zürcher Privatbank noch unter sich und durften von ihren eigenen Chefs hören, dass die Familienaktionäre mehrheitlich aus der Firma aussteigen wollten. Nun fallen ihnen die vielen fremden Gesichter auf, die sich durch den Saal zwängen und in den hinteren Reihen Platz nehmen. Und auf dem Podest sind es fremde Manager, die sich anschicken, über die Zukunft von Julius Bär zu referieren: ein 60-jähriger Niederländer und ein 40-jähriger Amerikaner, die nicht aus den Bär-Reihen stammen, sondern von der Grossbank UBS zur neuen Bankengruppe wechseln. Stumm bleibt dagegen Walter Knabenhans, immerhin seit fünf Jahren Chef der Bank Bär.

Der Auftritt der fremden Herren kontrastiert mit der Hauptbotschaft des Präsidenten. Raymond Bär betont immer und immer wieder, dass die eigene Bank, also die Julius Bär, von der UBS die Privatbanken Ehinger & Armand von Ernst, Ferrier Lullin und Banco di Lugano sowie die Fondsgesellschaft GAM gekauft und ihre Unabhängigkeit gesichert habe. Für stolze 5,6 Milliarden Franken.

Damit sagt der Bär-Präsident nur die halbe Wahrheit. Es stimmt zwar, dass sich die Zürcher Traditionsbank mit weltbekanntem Namen mit der Übernahme in eine neue Liga katapultiert. Nach 115 Jahren in Familienhänden wird sie zu einem Schwergewicht an der Börse mit einem Wert von 10 Milliarden Franken. Und dank der neuen Bär-Bank erhält der Schweizer Finanzplatz eine dritte Kraft mit globaler Ausstrahlung und einer Karrierealternative zu UBS und Credit Suisse.

Andere Schuhnummer

Doch obwohl Bär die Käuferin ist, konnte sie die wichtigsten Positionen nicht besetzen. Die haben in der neuen Bank ausgerechnet jene Manager inne, die von den übernommenen UBS-Firmen hinzustossen. Die Kaderleute der vermeintlich schwächeren Gruppe sind es, die den künftigen Kurs der neuen Julius Bär bestimmen. Das erstaunt, haben die UBS-Leute doch ihre Ziele in den letzten zweieinhalb Jahren selbst nicht erreicht. Ihnen misslang die angestrebte enge Zusammenarbeit der kleinen Privatbanken unter Führung der Fondsgesellschaft GAM. Nun planen die neuen Bär-Chefs das gleiche Vorhaben, nur zwei Schuhnummern grösser.

Chef der neuen Bank wird Hans de Gier, ein Niederländer, der früher das Handelsgeschäft der UBS führte. Unter de Gier («Ich spreche lieber englisch, sonst höre ich mich an wie Rudi Carrell») übernimmt David Solo, einst Mitglied der UBS-Konzernleitung, das sogenannte Asset Management. Seine Spezialisten entwickeln Fonds und komplexe Finanzprodukte und verwalten die Vermögen von Grosskunden wie Pensionskassen. Solos Bereich verfügt mit 156 von 270 Milliarden Franken über den Löwenanteil der Vermögensgelder der neuen Bank Bär.

Auch im zweiten Kerngeschäft, dem Private Banking, wo die Gelder der vermögenden Privatkunden angelegt sind, hat künftig ein langjähriger UBS-Manager das letzte Wort ­ obwohl Julius Bär gerade hier über einen glänzenden Namen verfügt. Präsident des Private Banking wird Georges Gagnebin, der diese Funktion schon bei seiner langjährigen Arbeitgeberin ausgeübt hatte. Diese Besetzung ist bezeichnend für den grossen Einfluss der UBS-Leute in der neuen Gruppe. Bär-Mann Alex Widmer dagegen, eine anerkannte Kapazität im globalen Privatbankengeschäft, der früher bei der Credit Suisse über 500 Milliarden Franken Vermögensgelder verwaltete (doppelt so viel, wie die ganze zukünftige Bär-Gruppe ausweist), muss nicht nur auf den versprochenen Posten als Konzernchef verzichten. Er erhält mit Gagnebin auch einen Aufpasser. Ohne ihn kann Widmer keinen strategischen Schritt vollziehen. Statt oberster Chef einer mittelgrossen Privatbank wird Widmer so Ausführender eines UBS-Managers.

Geradezu symbolisch für die Kräfteverschiebung steht der Abstieg der früheren Chefin der Schweizer Börse, Antoinette Hunziker-Ebneter. Sie scheidet aus der Konzernleitung der Julius Bär aus, und ihre Abteilung, das Handelsgeschäft, wird zu einer Supportstelle für die übrige Bank degradiert.

Bei den Gesprächen mit Bär dominierten die UBS und ihre Manager. Es war Hans de Gier, der Präsident Raymond Bär Anfang Juli zu einem Nachtessen einlud, um ein Zusammengehen der zwei Firmen zu prüfen. Zehn Tage später akzeptierte Raymond Bär, mit der späteren Verkäuferin UBS in Verhandlungen zu treten. Schon Mitte Juli, also ganz zu Beginn, war de Gier als neuer CEO gesetzt. Und als sich die Parteien letzte Woche mehrmals bei der Zürcher Anwaltskanzlei Homburger einfanden, drückte die UBS den Verkaufspreis für ihre Banken nochmals in die Höhe; dies, obwohl die Beratungsgesellschaft von Julius Bär den Preis zuvor schon als stolz bezeichnet hatte. Erst Montag früh um vier Uhr, sechs Stunden vor der Pressekonferenz, wurde der Vertrag unterschrieben.

Solo-Projekte

Der Deal weckt Erinnerungen an die Fusion von Bankgesellschaft (UBS) und Bankverein. Damals, Ende 1997, stimmten die Absichtserklärungen auch nicht mit den tatsächlichen Entscheiden überein. So wie Julius Bär blieb der grösseren UBS ebenfalls der Name, und ihr Chef durfte sich auf den Präsidentenstuhl setzen. Doch die wahre Macht lag von Beginn weg bei Bankverein-Chef Marcel Ospel, der alle einflussreichen Positionen mit seinen Vertrauten besetzte. Innert weniger Monate schieden viele UBS-Manager aus, und nach Abschluss der Integration hatten die Bankverein-Leute die UBS endgültig erobert.

Der heutige Erfolg der UBS gibt Marcel Ospel Recht. Und auch im Fall der neuen Julius Bär könnten sich die personellen Weichenstellungen rasch bezahlt machen. Die bisherige Führungsmannschaft von Bär hat es nämlich verpasst, unfähige Kaderleute zu entlassen. Jene, die den Schutz der Familienaktionäre genossen, wurden geschont. Mit solcherlei Rücksichten dürfte es zu Ende sein. David Solo, der einstige Shootingstar der UBS, gilt als zahlenorientierter Manager, der für Sonderbehandlungen kein Gehör hat.

Und alle Tore offen

Die bevorstehende Blutauffrischung im grossen Stil könnte die eingerostete Julius Bär dynamisieren und zu einem Mitspieler machen, der sich unter den mittelgrossen Privatbanken Europas behaupten kann und für weitere Übernahmen in Frage kommt. Dafür steuert die UBS nicht nur das Personal bei, sondern auch 20 Prozent des Kapitals. Das sorgt für Druck auf die Bär-Führung. Bleiben die Resultate aus, dürfte die Hauptaktionärin die Chefs auswechseln oder die Bank ins Ausland verkaufen. Denn eines machte UBS-Chef Peter Wuffli klar: Seine Bank hat einzig Interesse an einem Verkauf ihrer Bär-Beteiligung zum bestmöglichen Preis. Eine vollständige Übernahme und Integration ins UBS-Imperium steht nicht zur Diskussion.

Die Transaktion vom Montag könnte aus einem weiteren Grund zu einem Wendepunkt in der Geschichte der Schweizer Privatbanken werden. Statt sich hinter einem Mehrheitsaktionär zu verstecken und den Wettbewerb zu scheuen, hatte Julius Bär den Mut, ihre Tore zu öffnen und ihr Schicksal in fremde Managerhände zu legen. Vor allem für die zwei Deutschschweizer Institute Vontobel in Zürich und Sarasin in Basel böte ein solcher Schritt die Chance für neues Wachstum. Dazu müssten die Familienaktionäre allerdings auf ihren Einfluss verzichten. Noch sind sie dazu nicht bereit.


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