Endlich Anschluss an gestern

Über ihr Bluewin TV strahlt die Swisscom bald Internet-Fernsehen aus. Das Hilfsprogramm kommt wohl zu spät ­ und ist doch das einzig sinnvolle.

Die Swisscom steht vor einem «Dilemma», von dem andere Firmen nur träumen können: Beim Schweizer Telekomkonzern liegt viel zu viel Bargeld nutzlos herum.Wie diese Milliarden zu verwenden sind, darüber streiten sich Finanzexperten und Swisscom-Führung seit Wochen. Erstere fordern einen «Goldregen» für die Aktionäre mittels hoher Einzelausschüttung, Letztere liebäugelt mit einer Expansion ins Ausland. Derzeit im Visier der Schweizer: die Ex-Monopolisten Irlands und Dänemarks.

Im öffentlichen Gezänk um die Swisscom-Kasse geht eine andere Weichenstellung vergessen, die für die Zukunft der Firma entscheidend wird. Die Nummer eins im Schweizer Telekommarkt baut derzeit unter Hochdruck ein drittes Standbein auf. Neben Telefon und Internet wird die Swisscom schon bald auch Fernsehprogramme und Kinofilme anbieten. Dafür investiert sie in den nächsten Jahren mehrere hundert Millionen Franken. Im Dezember erfolgt der Startschuss, dann unterzieht eine Schar eigener Angestellter das neue Angebot mit dem Namen Bluewin TV einem Härtetest. Läuft alles nach Plan, kommt das erste Internet-Fernsehen im grossen Stil nächstes Jahr in die Schweizer Haushalte.

Mit ihrer TV-Strategie ist die einstige Telefonmonopolistin spät dran, im Konkurrenzkampf gegen die Kabelnetzanbieterin Cablecom liegt sie zurück. Diese bietet ihren Kunden schon heute die drei Produkte Fernsehen, Internet und Telefonie aus einer Hand an. Wer das kann, macht das Rennen um den Kunden, ist die Branche überzeugt, weil der Abonnent immer weniger Lust habe, sich mit mehreren Anbietern herumzuschlagen.

Das Zusammenspiel von Sprache, Bild und Daten über ein und dasselbe Netz eröffnet neue Möglichkeiten. Beispielsweise kann dereinst das Aufzeichnen von TV-Sendungen mittels Handy programmiert werden. Oder Sendungen, die auf dem digitalen Recorder zu Hause aufgenommen wurden, können auf einem Mobilgerät angeschaut werden.

Für ihre Aufholjagd greift die Swisscom tief in die Taschen. Allein für die Firma CT Cinetrade AG, die neben Kinos auch ein Pay-TV-Angebot (Teleclub) und zahlreiche Filmrechte besitzt, soll das Unternehmen laut Branchenkennern über 100 Millionen Franken auf den Tisch gelegt haben. Hinzu kommen die Kosten, um das Netz fernsehtauglich zu machen. Die Swisscom äussert sich nicht zum Preis.

Die stolze Summe für eine mittelgrosse Firma zeigt, wie wichtig es in diesem Multimilliardengeschäft geworden ist, Zugriff auf möglichst viele Inhalte zu haben. «Content is king» heisst das im angelsächsischen Raum: Nur wer über eine grosse Zahl von Filmrechten verfügt, hat eine Chance auf neue Kunden. Bleiben diese fern, werden die hohen Investitionen für die neue Technologie zum finanziellen Waterloo.

Auf der Jagd nach Zuschauern kommt der Swisscom der neueste Trend zu Hilfe. Der heisst «Video on Demand» und meint das Abrufen von Filmen zu jeder Tages- und Nachtzeit über das Kabel oder das Internet. Es sind nicht mehr die privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen, die allein bestimmen, wann was über die Mattscheibe flimmert. In Zukunft wird der Kunde selbst entscheiden, wann er seinen Lieblingsfilm anschauen will. On demand eben ­ auf Abruf.

Kinozeit vertreiben

Das veränderte Kundenverhalten stellt die Wertschöpfungskette im Filmhandel auf den Kopf. Heute erfolgt die Verwertung noch nach einem streng geregelten zeitlichen Ablauf. Zuerst kommt der Start im Kino, dann folgt der DVD-Verleih (früher waren es Videokassetten). Erst wenn das Potenzial der Einzelkäufer ­ Kinogänger und DVD-Erwerber ­ maximal ausgeschöpft ist, steht die Massenverwertung via Fernsehen an. Den Anfang macht wiederum das höherpreisige Medium, das Bezahlfernsehen, bevor der Film schliesslich im sogenannten Free TV, einem frei zugänglichen Fernsehkanal, abgespielt wird. Wenn jetzt die Produktionskosten immer noch nicht eingespielt sind, gilt der Film als Verlustproduktion.

Video on Demand (VOD) ermöglicht bisher undenkbare Verwertungsmodelle. So könnte der nächste James-Bond-Film am Tag vor dem Kinostart weltweit zum Abrufen per VOD angeboten werden. Ein einfaches Zahlenbeispiel illustriert die Dimensionen des neuen Vertriebswegs. Um Produktionskosten von, sagen wir, 50 Millionen Dollar auf einen Schlag einzuspielen, brauchte es weltweit nur 5 Millionen Zuschauer, denen der vorzeitige Konsum des neuen Bond-Films 10 Dollar Wert ist. Selbst wenn nur halb so viele Kunden dazu bereit sind, würde mit diesem Geschäftsmodell immer noch ein Grossteil der Produktionskosten innert kurzer Zeit eingespielt.

Für die traditionelle Filmverleihbranche bedeutet diese Entwicklung eine Gezeitenwende. Einer hat früh darauf reagiert. Stephan Sager, Eigentümer der Cinetrade, verkaufte seine Firma im Herbst 2004 an die Swisscom. Ohne starken Vertriebspartner wie den Telekomkonzern mit seinem eigenen Netz hätte Sagers Firma in der neuen Vertriebswelt ums Überleben zu kämpfen.

Für die Swisscom ist neben den Filmrechten das Know-how des Kenners der internationalen Filmbranche entscheidend. Deshalb verpflichtete sie Sager als Manager für ihr Filmgeschäft. Sager soll den Schweizern, die in Cannes und Hollywood unbekannt sind, die Türen zu den Filmproduzenten öffnen.

Was die Swisscom versucht, ist auch im Ausland im Gang. Der amerikanische Telekomriese AT&T setzt nach einer mehrjährigen Krise unter neuer Eigentümerschaft ebenfalls auf das Fernsehgeschäft mittels Internet-Technologie. Die Strategie von AT&T, Swisscom und anderen Grossen lautet: Konsumenten und Unternehmen über ein Netzwerk Bilder, Daten und Gespräche via mobile oder fixe Stationen anbieten.

Der Weg dahin ist steil. Laut AT&T wird in drei Jahren erst die Hälfte aller Haushalte Zugang zur neuen Technologie haben. «Viel zu spät», meinte kürzlich Brian Roberts, Chef des grössten US-Kabelnetzbetreibers Comcast. Er prophezeite den Telekomfirmen Gegenwind bei ihren TV-Aktivitäten. «Das gesamte Netzwerk neu aufzustellen, nur um ein Anbieter mehr in einem gesättigten Geschäft zu sein ­ mir ist schleierhaft, wie sich das je auszahlen soll.»

Die Zweifel sind nicht allein Ausdruck von Konkurrenzdenken. Technische Anlaufschwierigkeiten zeigen, wie ambitiös die Fernsehinitiativen der Telekomfirmen sind. Bei der Swisscom waren anfangs zwei «Set-Top-Boxen» vorgesehen, um Telefonanschluss und Fernsehapparat zu verbinden. Inzwischen genügt eine. Oder: Im Unterschied zum Kabelfernsehen werden nicht gleichzeitig Dutzende von TV-Programmen über das Kabel in die Haushalte gespeist ­ jeder Sender wird einzeln aus dem Internet abgerufen. Erste Tests zeigten aber, dass mindestens zwei Programme gleichzeitig verfügbar sein müssen ­ eines zum Anschauen, ein zweites zum Aufzeichnen.

Wie schwierig der TV-Einstieg auch ist ­ die Swisscom hat keine Alternativen. Will sie in ein paar Jahren wieder wachsen, muss sie den Rückgang im Kerngeschäft kompensieren. Der Druck der Konkurrenz von Cablecom über Sunrise bis zu Tele 2 wird dem Platzhirsch weiter zusetzen. Der Kampf hinterlässt Spuren in der Swisscom-Rechnung. Bis September brachen die Einnahmen im Fixnetz (Gespräche ab dem festen Anschluss zu Hause und das Surfen im Internet) um 6 Prozent ein. Weil die Umsätze in der Mobiltelefonie ebenfalls sinken, wird die Swisscom für das ganze Jahr weniger Umsatz ausweisen.

Es ist die Fortsetzung einer jahrelangen Schrumpfkur. Seit der Schweizer Telekommarkt liberalisiert wurde, ging der Personalbestand der Swisscom von weit über 20000 auf noch 15000 Mitarbeiter zurück. Unternähme die Schweizer Marktführerin nichts, würde der Negativtrend noch lange andauern.


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