Buch Einband

PARADIES PERDU
Vom Ende des Schweizer Bankgeheimnisses

255 Seiten, gebunden
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Die Rache

(pdf) Flug LX52 war pünktlich. Der Airbus der Swiss International Airline hob am 6. Mai 2008, einem Dienstag, kurz nach 17.30 Uhr in Zürich ab. Dank günstiger Windverhältnisse landete die Maschine acht Stunden später in Boston.

Obwohl Bradley Birkenfeld in den letzten Monaten mehrere Flüge in seine Heimat unternommen hatte, war diese Reise für ihn etwas Besonderes. Sein Plan, seine ehemalige Arbeitgeberin in den USA in Verruf zu bringen, war aufgegangen. Birkenfeld, zu diesem Zeitpunkt 43 Jahre alt, hatte bis 2006 vier Jahre lang in Genf für die Schweizer Großbank UBS gearbeitet. Er war Amerikaner, stammte aus einer wohlhabenden Familie, mit einem Vater, der in Boston als Neurochirurg tätig war, und zwei Brüdern, einer davon Anwalt. Bei den Kollegen der Bank galt der groß gewachsene Birkenfeld als Stimmungskanone. Mit ihm konnte man auf den Putz hauen, sei es auf gemeinsamen Geschäftsreisen, sei es nach der Arbeit im nächtlichen Genf. Birkenfeld war ledig und kein Kostverächter. Sein Charme machte es ihm leicht, neue Bekanntschaften zu schließen, und sein Dreitagebart verlieh ihm etwas Ungestümes, Männliches. Wie ein typischer Schweizer Privatbankier sah der Amerikaner, wenn er in seinem BMW M5 vorfuhr, jedenfalls nicht aus.

Dass er nun in dieser Swiss-Maschine saß und seine Agenda Termine mit US-Senatoren und Vertretern der amerikanischen Wertschriftenaufsicht führte, war die Folge einer Entwicklung, deren Dynamik Birkenfeld überraschte – auch wenn er selbst am Anfang dieser Geschichte stand. Als sich nämlich der Kundenberater und seine Arbeitgeberin UBS in die Haare gerieten und seine Schweizer Vorgesetzten ihm die letzte Bonuszahlung vorenthielten, nahm in seiner Vorstellung ein Plan Form an. Nicht mit mir, sagte sich Birkenfeld, zog die Bank im Frühjahr 2006 als Erstes vor ein Arbeitsgericht und erstritt sich auf diese Art über eine halbe Million Franken Entschädigung. Als seine früheren Chefs dachten, sie seien diese »Loose canon« endlich los, zündete Birkenfeld die zweite Stufe. Er packte aus, und zwar dort, wo die Gefahr für die verhassten Schweizer am größten war: in den USA, dem Land der Sheriffs.

Wie die UBS ihren US-Kunden beim Steuerhinterziehen half, welche Geheimdienstmethoden sie entwickelte, um im weltgrößten Finanzmarkt unentdeckt zu bleiben, wie sie ihre Kundenberater ständig antrieb, immer noch mehr – versteuerte oder auch unversteuerte – Vermögen von Klienten zu akquirieren, und sich die Organisation gleichzeitig den Mantel einer besonders sorgfältigen Bank mit strikten internen Regeln umhängte, all das legte Birkenfeld ab Frühjahr 2007 in ausführlichen Gesprächen den amerikanischen Justizbeamten auf den Tisch. Sofort witterten diese ihre historische Chance. Dank der Aussagen des Insiders schien endlich gelingen zu können, was trotz vieler Versuche bisher missglückt war: die Steueroasen dieses Planeten trockenzulegen. Wäre erst einmal die UBS, das Aushängeschild des wichtigsten Offshore-Finanzplatzes, zur Strecke gebracht, träfe dieser Schlag sämtliche Schwarzgeldhochburgen der Welt. Schließlich war im Alpenstaat seit jeher mehr ausländisches Geld gebunkert als anderswo, jeder vierte Dollar lag auf einem Schweizer Bankkonto. Als weiteres Motiv lockte die amerikanischen Beamten die Aussicht, dass ein erfolgreicher Feldzug gegen die UBS, die damals über 3000 Milliarden Franken Vermögen von Kunden verwaltete, der eigenen Karriere gehörigen Schub verleihen würde.

Während die US-Ermittler ihre neue Quelle anzapften, ließ Birkenfeld seine eigene Rolle im Geschäft mit dem unversteuerten Geld bewusst im Dunkeln, ohne dass ihm vorgängig Straffreiheit zugesichert wurde. Dabei hätte es einiges zu berichten gegeben. Der Amerikaner zählte bei der UBS zu jenen Kundenberatern, die beim Verstecken der Vermögen ihrer Klienten kaum Berührungsängste kannten. Besonders einem Kunden, dem russischen Immobilientycoon Igor Olenicoff, der zu den 300 Reichsten der USA zählte, half Birkenfeld, den geschuldeten Obolus zu umgehen. Dessen rund 200 Millionen Dollar verschob der Amerikaner in Scheingesellschaften in Dänemark, Liechtenstein und der Karibik, wo sie vor dem Zugriff der US-Steuerbehörden vermeintlich sicher waren. Als sich Birkenfeld mit seinen UBS-Vorgesetzten verkrachte, nutzte er seine Beziehung zu diesem Russen und verwaltete dessen Vermögen in der eigenen Finanzgesellschaft weiter. Doch unbemerkt von Birkenfeld geriet Olenicoff ins Visier der US-Steuerbehörden und legte Ende 2007 ein Schuldeingeständnis ab, um Schlimmeres zu verhindern. Von Olenicoff erfuhren die USA von dessen UBS-Bankier in der Schweiz. Aus dem Insider Birkenfeld wurde ein Verdächtiger.

Im Frühling 2008 lud Birkenfeld Bekannte ins alpine Zermatt. Dort besaß der Finanzberater ein Chalet: nichts Mondänes, Birkenfeld mochte es bequem und praktisch, den Chic konnte er sich sparen, wenn man das Morgenrot in der Ostwand des Matterhorns glühen sah. Birkenfelds geheimnisvolle Hinweise auf dramatische Entwicklungen rund um seine einstige Arbeitgeberin wurden nun expliziter. Schon ein halbes Jahr zuvor hatte er einen Vertrauten aus gemeinsamer UBS-Zeit wissen lassen, dass er seine Exvorgesetzten zu Fall bringen würde. Nun kündigte der Hüne an, dass der Fall kurz davor stünde zu explodieren. Augenzeugen berichten von starken Rachegelüsten, die sie beim einstigen Kundenberater selbst zwei Jahre nach dessen Ausscheiden aus der Bank spürten. Was aber Brad, wie ihn alle nannten, genau im Schilde führte, blieb ihnen verborgen.

Einzig der Zürcher Korrespondent der englischen Wirtschaftszeitung Financial Times (FT) wusste mehr. Birkenfeld hatte Haig Simonian, wie der englische Journalist hieß, anfänglich anonym, später persönlich über die Machenschaften der UBS und die Ermittlungen der USA informiert. Am 17. Januar 2008 publizierte Simonian Auszüge aus einer E-Mail des für das Nord- und Südamerikageschäft verantwortlichen UBS-Generaldirektors Martin Liechti. Der hatte vor Jahresfrist die Kundenberater angetrieben, jährlich bis zu 60 Millionen Franken Neugeld von bestehenden oder neuen UBS-Kunden anzulocken. Das Schreiben war zu jenem Zeitpunkt geheim.

Seinen größten Coup in dieser Geschichte landete der Schweizer FT-Korrespondent am Mittwoch, dem 7. Mai 2008. Auf der Webseite seiner Zeitung wurde drei Minuten nach Mitternacht ein Artikel von ihm unter dem Titel »UBS-Spitzenmann in den USA verhaftet« aufgeschaltet. Die Bank hatte am Vortag im Rahmen ihrer Berichterstattung zum 1. Quartal 2008 pflichtgemäß von Ermittlungen der US-Behörden berichtet. Kein Journalist außer dem FT-Mann wusste aber zum damaligen Zeitpunkt, dass einer der mächtigsten Manager der Schweizer Großbank seit 16 Tagen in den USA festgehalten wurde. Als einziger Außenstehender kannte Simonian auch den Namen des Verhafteten. Es handelte sich ausgerechnet um Martin Liechti, Chef von 800 Mitarbeitern, darunter einst Birkenfeld, und oberster Vermögensverwalter für ganz Amerika.

Als Simonians Artikel auf der FT-Homepage online ging, näherte sich der Swiss-Airbus mit Birkenfeld an Bord seinem Ziel Boston-Logan. Dass Liechti verhaftet worden war, hatte der Kundenberater längst erfahren. Schließlich war der Schlag gegen seinen Exboss ihm zu verdanken. In seinen Gesprächen mit den US-Justizbeamten hatte er nicht nur über die Geschäftsmethoden der UBS ausgesagt, sondern auch die Namen seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten genannt. Birkenfelds Schlachtplan schien aufzugehen, Liechti saß fest, weitere Aussagen vor dem Senat und der Börsenpolizei würden seinen Status als wichtige Quelle stärken, kurz: Alles, was die Amerikaner wussten, kam von ihm, dem Kronzeugen. Birkenfelds Anwälte hatten ihn zwar gewarnt, auch er könne nicht hundertprozentig sicher vor den Ermittlern sein. Doch der Mann, der den größten Steuerfall des Jahrzehnts, wenn nicht des Jahrhunderts ausgelöst hatte, ließ sich nicht beeindrucken.

Am Airport bezogen die Polizisten Stellung. Die Ermittlungsbehörden hatten im Fall UBS einen überraschenden Schwenk vollzogen und am 10. April ihren wichtigsten Informanten im Geheimen angeklagt. Das Verfahren gegen den Russen Olenicoff ließ Birkenfelds Rolle in neuem Licht erscheinen. Als sie von dessen bevorstehender Reise in die USA erfuhren, ließen sie sich vom zuständigen Gericht in Florida grünes Licht geben, die Strafanklage trotz der geplanten Verhaftung bis auf Weiteres unter Verschluss zu behalten. Sie wollten Birkenfeld das Messer an den Hals setzen, um ihn für die anstehende Offensive gegen die UBS als wirkungsvolle Waffe einzusetzen. »Die Regierung glaubt, dass der Angeklagte Birkenfeld imstande ist, maßgebliche Unterstützung bei einer Untersuchung in diesem Distrikt zu leisten, die durch eine Offenlegung der Anklage massiv gefährdet werden könnte«, schrieben die Ermittler. Mit Birkenfeld als geständigem Täter in der Hinterhand, der mit den Behörden kooperierte, wollten sie zuerst den festgehaltenen UBS-Spitzenmann Liechti weichklopfen und dann die Bank in die Knie zwingen.

Als die Maschine um 19.30 Uhr in Boston aufsetzte, war es in Europa tiefe Nacht, und die Printausgabe der Financial Times mit der Headline der Verhaftung eines hochrangigen UBS-Managers wurde mit Lastern zu den Depots gefahren. Vor seiner Abreise hatte Birkenfeld einer ehemaligen Kollegin vom Genfer UBS-Team gesagt, er würde in Boston an einer Klassenzusammenkunft teilnehmen. Mit keinem Wort erwähnte er seinen Rachefeldzug. Nur seinen Erfolg im Bonusstreit hob er hervor. Die UBS nötige ihre Berater zu illegalen Aktivitäten und setze sie enormen Gefahren aus.

Nach dem Aufenthalt in den USA wollte Birkenfeld zurück nach Genf, wo er seit über einem Jahrzehnt lebte. Dass er seine Wohnung in der Innenstadt ebenso zum letzten Mal gesehen haben sollte wie sein Alpenrefugium in Zermatt, dämmerte ihm erst, als ihn die Polizei am Bostoner Flughafen verhaftete. Nun übernahmen jene Ermittler das Zepter, bei denen Birkenfeld seine Kollegen angeschwärzt, sich selbst aber geschont hatte. Sie verlangten eine uneingeschränkte Kooperation, die für sie von »überragender Bedeutung für die laufende Ermittlung« sei. Der überrumpelte Birkenfeld verweigerte sich zunächst, brach aber wenige Wochen später ein und legte ein Geständnis ab. Die nächsten 15 Monate verbrachte er bei seinem Bruder, dem Anwalt im Süden Bostons im Bundesstaat Massachusetts. Selbst für dieses Stück Freiheit mit eingeschränktem Bewegungsradius und elektronischer Fußfessel mussten er und seine Familie Vermögenswerte in siebenstelliger Höhe als Sicherheit hinterlegen.

Seine einstigen Partner vom Justizamt ließen die Katze vier Tage vor dem Prozess aus dem Sack. »Der Angeklagte Birkenfeld hat einen erheblichen Beitrag in der Ermittlung und der Strafverfolgung Anderer geleistet, die sich schuldig gemacht haben«, schrieben sie und hielten damit ihr Versprechen, Birkenfelds Kooperation positiv zu würdigen. Seine Unterstützung sei »pünktlich, erheblich, nützlich, wahrheitsgetreu, umfassend und zuverlässig« gewesen. Trotzdem zeigten sie wenig Milde und beantragten zweieinhalb statt der maximalen fünf Jahre Gefängnis. »Dies [das beantragte Strafmaß] zeigt nur, dass es sich hier um einen politischen Angriff auf den Whistleblower handelt«, haderte Birkenfeld kurz vor seinem Prozess in einer E-Mail an einen Exkollegen. »Die UBS erhält strafrechtliche Schonung, Liechti beruft sich auf das Fünfte [Fifth Amendment der US-Verfassung mit dem Recht auf Aussageverweigerung], und ich werde angeklagt.«

Als Richter William Zloch, ein ehemaliger Footballstar und Navy-Offizier, im Fall Nummer 08-60099, United States of America vs. Bradley Birkenfeld, am 21. August 2009 in Fort Lauderdale zum Hammer griff, saß der Mann, dessen Aussagen die einstige Finanzsupermacht UBS zu Fall gebracht hatte, in dunklem Nadelstreifenanzug und bordeauxroter Krawatte reumütig auf der Anklagebank. Birkenfelds letzte Hoffnung auf ein glimpfliches Ende zerbrach. »Er weigerte sich, seine eigenen Fehler offenzulegen«, beharrte Chefankläger Kevin Downing, der dank Birkenfeld einen seiner größten Triumphe als Staatsanwalt feiern konnte, unerbittlich. »Einen solchen Fall mit Herrn Birkenfeld als Zeugen ist für uns ein echtes Problem. Deshalb verdächtigten wir Herrn Birkenfeld. Deshalb klagten wir ihn an. Deshalb fordern wir Gefängnis für ihn.«

Dass der vermeintlich moralisch handelnde Whistleblower selbst über Jahre vom UBS-Betrugssystems profitiert, die Betrügereien nach seinem Abgang bei der Bank gar fortgesetzt und dies in seiner Anzeige gegen die UBS unter den Teppich gekehrt hatte, wog auch für den Richter schwer. Zloch erhöhte die beantragte Strafe um zehn Monate, und am 8. Januar 2010 verschwand Birkenfeld in dichtem Schneegestöber in der Strafanstalt Minersville im US-Bundesstaat Pennsylvania, die er am 8. Mai 2013 wieder verlassen kann, falls er seine Strafe vollständig absitzen muss.

»Monatelang bat ich vor, während und nach meiner Kooperation mit dem DOJ [US-Justizdepartement] vergeblich um eine einfache Strafzusicherung«, schrieb Birkenfeld seinem Freund verbittert. »Statt mit mir zusammenzuarbeiten, wollten sie mich anklagen.«