Konrad Hummlers Fehlkonstrukt

20minuten.ch (11. Juli 2011) – Mit der Abgeltungssteuer wollte der Privatbankier das Bankgeheimnis retten. Jetzt zeigt sich: Der Preis ist zu hoch.

12 Milliarden Franken sollen die Schweizer Banken im Voraus den Deutschen abliefern, um die Schwarzgeld-Vergangenheit ein- für allemal zu regeln. Das berichtete der «SonntagsBlick». Mit der Garantiezahlung will Deutschland sicherstellen, dass der Rubel Richtung Berlin auch dann rollt, sollten sich viele deutsche Steuersünder in letzter Sekunde aus dem Staub machen.

Gut für die Deutschen, die damit ihre Abgeltung auf sicher haben. Hingegen müssen sich die Schweizer Banken etwas einfallen lassen, damit die Rechnung nicht an ihnen hängenbleibt. Gesagt, getan. Kunden aus Deutschland und anderen EU-Staaten können derzeit maximal 200 000 Euro von ihren Konti abheben.

Egal, wie gross der Vermögensstand eines ausländischen Kunden ist und wieviel dieser über die Jahre an Gebühren und Spesen bezahlt hat, seine Bank sagt ihm freundlich, aber bestimmt: «Sorry, lieber Kunde, über Dein Geld kannst Du leider nicht mehr frei verfügen.» Damit führen die Schweizer Banken faktisch eine Enteignung ihrer europäischen Kunden ein. Wie bei den US-Kunden, die nach Washington ausgeliefert wurden, biegt die Schweiz Recht zurecht.

Preussen packen ihre Chance

Begründet wird das weitreichende Schweizer Entgegenkommen ans Ausland mit dem Ziel, der Abgeltungssteuer zum Durchbruch zu verhelfen. Sonst, so die Warner, kommt der gefürchtete automatische Informationsaustausch.

Das Konzept mit der Abgeltung stammt vom bekannten Sankt-Galler Privatbankier Konrad Hummler, der im Nebenamt seit kurzem die «NZZ»-Gruppe präsidiert. Hummler, ein genialer Kopf, trifft mit seinen wortreichen Analysen oft den Nagel frühzeitig auf den Kopf.

Mit der Abgeltung aber greift Hummler daneben. Im Gespräch mit 20 Minuten Online meinte er, das Geniale am Konzept sei das Wort «Abgeltung». Der Deutsche würde durch Bezahlung von seiner Steuerschuld in der Heimat befreit und könne ohne Angst vor Strafverfolgung über seine Schweizer Gelder verfügen.

So weit, so gut. Doch Hummler rechnete offensichtlich nicht mit den deutschen Steuerbürokraten. Sie erkannten im Angebot des Schweizers die Chance, auf einen Schlag zwei Fliegen zu erledigen.

Viel Geld für fast nichts

Deutschland erhält nicht nur viel Geld, damit es die Steuer-Vergangenheit ruhen lässt. Sondern es werden auch viele Daten deutscher Steuerzahler nach Berlin fliessen.Die Rede ist hier von der sogenannten erweiterten Amtshilfe, auch sie wie die zuvor geschilderte Vorauszahlung ein neudeutscher Begriff, der die Schweizer Kapitulation schönfärbt.

Das geht wie folgt: Jedes Jahr haben deutsche Steuerfahnder Anrecht auf Offenlegung einer bestimmten Anzahl deutscher Bürger mit Vermögen auf Schweizer Bankkonten. Die einst verpönten «Fishing Expeditions» werden zum Courant normal.Das Gleiche passiert global. Die Wirtschaftsorganisation OECD, die der Steuerflucht den Krieg erklärt hat, weicht die Kritierien für Amtshilfe immer stärker auf.

Letzte Woche musste die Schweiz den neuen «Fishing expeditions»-Standard der OECD akzeptieren. Sie muss ihre Bankgeheimnis auch dann lüften, wenn kein konkreter Name eines Bankkunden vorliegt, sondern nur ein Verdacht auf ein Muster von Hinterziehungshandlungen einer unbekannten Anzahl Kunden. UBS-Staatsvertrag lässt grüssen.

Ja zum Info-Austausch

Ist diese ungünstige Entwicklung die Schuld intelligenter Leute wie Konrad Hummler? Nein, es ist eine Gezeitenwende. Hätten Hummler und seine Mitstreiter cleverer handeln können? Ja. Sie hätten den grossen Befreiungsschlag für den Finanzplatz wagen sollen. Die Schweiz akzeptiert für die Zukunft den automatischen Informationsaustausch, im Gegenzug lässt das Ausland die Vergangenheit ruhen.

Die Folge dieses Deals wäre gewesen: kein Ablasshandel, keine Milliarden-Garantie, keine Kundenenteignung, sondern einfach ein Schnitt in der Geschichte. Die alte Welt mit dem Bankgeheimnis geht zu Ende, die neue heisst Transparenz und Wettbewerb. Das wollten Hummler&Co. nicht. Sie brachten die Schweiz stattdessen auf Abgeltungskurs, was keine echte Alternative zum Informationsaustausch ist, dafür aber eine Stange Geld kostet.

Zweifel am Abgeltungsmodell

Hummler sagt, er sehe grosse Chancen für das Schweizer Abgeltungsmodell, weil viele Kunden ihr Geld aus anderen Gründen als wegen Steuerhinterziehung ins Land bringen würden. Andere Experten wie Martin Janssen, ein Finanzprofessor von Zürich und Mitstreiter Hummlers zu Beginn der Abgeltungssteuer, zeigen sich kritischer.

Wenn die Schweizer Banken als Entgeld nicht einmal einen echten Marktzutritt in Deutschland erhalten würde, würde sich der gigantische Aufwand für den Systemwechsel nicht lohnen, meinte Janssen unlängst in einem Gespräch. Dann wäre es gescheiter, gleich den grossen Schritt zu wagen und auf den EU-Standard des automatischen Informationsaustausches umzustellen.


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