Zürcher Pistenkreuz: Ruhig Blut nach Fast-Katastrophe

20minuten.ch (5. Juni 2011) – Es hätte die grösste Schweizer Flugkatastrophe werden können. Dennoch sehen die Behörden nach dem Fast-Zusammenstoss zweier A320 auf dem Flughafen Kloten vorerst keinen Handlungsbedarf.

Am 15. März um die Mittagszeit wurde in Zürich-Kloten der Crash zweier vollgetankter Swiss-Jets mit je rund 150 Personen an Bord um Haaresbreite abgewendet. Weil der Zusammenstoss in letzter Sekunde ausblieb, ist das öffentliche Aufsehen rasch abgekühlt.

Das ändert aber nichts an der Bedeutung dieses Falls. Denn das potenzielle Ausmass der nur knapp abgewendeten Katastrophe ist zu gross, als dass den dafür verantwortlichen Gründen nicht rasch nachzugehen und erste Erkenntnisse nicht sofort in Form von Massnahmen umzusetzen wären.

Zwei Berichte

Genau das scheint nicht zu passieren. Statt am Flughafen Zürich-Kloten nach dem Rechten zu sehen, sind im Mai planmässig zwei Berichte fertiggestellt und der Berner Flugaufsicht BAZL zugestellt worden. Das viele Papier wartet nun darauf, irgendeinen Zweck zu erfüllen.

Die Verantwortung für den unbefriedigenden Zustand weisen die Involvierten von sich. Daniel Knecht, Vizechef des zuständigen Flugunfallbüros (BFU), sagt gegenüber 20 Minuten Online: «Wir haben unseren Zwischenbericht innerhalb der üblichen zwei Monate dem BAZL überreicht. Damit ist die Sichtung und Auflistung der Fakten zu Ende. Bis Ende Jahr vertiefen wir unsere Untersuchung, um nach insgesamt rund 12 Monaten termingerecht den Schlussbericht vorlegen zu können.»

Erst dieser Schlussbericht müsse zwingend veröffentlicht werden, während die Publikation von Zwischenberichten Sache des BAZL sei. Laut Knecht ist das BFU allein für die lückenlose Herleitung des Fast-Unglücks zuständig. Allenfalls nötige Sofortmassnahmen müsse das Luftamt beschliessen.

Auch Skyguide untersucht

Im Fokus der Untersuchung steht die Schweizer Flugsicherung Skyguide. Einer ihrer Lotsen hatte an jenem Dienstag Mittag in Zürich zwei Jets der Swiss die Starterlaubnis erteilt, obwohl er Sicht auf die ganze Pistenanlage hatte und sofort hätte erkennen müssen, dass die beiden Flugzeuge wegen der Kreuzung der beiden Startpisten 16 und 28 auf Kollisionskurs geraten könnten.

Nun hat auch Skyguide einen Bericht erstellt. «Wir haben den März-Zwischenfall intern unter die Lupe genommen und der Berner Aufsicht einen Zwischenbericht geschickt», bestätigt Raimund Fridrich, Sprecher der Schweizer Flugsicherung. Das BAZL müsse nun entscheiden, «ob bei uns Sofortmassnahmen nötig» wären.

Warten, warten, warten

Die beiden Berichten liegen seit etwa Mitte Mai in Bern, und die Faktenlage scheint zumindest von aussen betrachtet relativ einfach und klar zu sein. Ein Skyguide-Lotse begeht einen Fehler, ein Swiss-Pilot verhindert mittels Vollbremsung Schlimmeres. Trotz dieser vermeintlich einfachen Ursachenkette ist das BAZL immer noch am Klären, ob Sofortmassnahmen nötig sind.

«Wir haben vom BFU einen Zwischenbericht erhalten. Das BAZL wird die Empfehlungen prüfen und die nötigen Massnahmen treffen. Auch Skyguide hat dem Amt bereits einen ersten Bericht abgeliefert. Die entsprechenden Informationen werden ebenfalls in die Abklärungen einfliessen», sagt Bazl-Sprecherin Mireille Fleury.

Die Skyguide nutzt die Wartezeit, die mögliche Verantwortung eines Lotsen zulasten der Komplexität des Gesamtsystems in den Hintergrund zu schieben. Ihr Sprecher verweist auf eine eigene Untersuchung, die nach dem Zwischenfall am Pistenkreuz vorangetrieben würde. «Die vorgezogene Analyse der Prozesse im Tower liegt im Sommer vor», sagt Fridrich. «Im Vordergrund stehen allfällige Systemmängel und nicht die Frage, ob ein einzelner Lotse Fehler macht».

Kommentar

  1. Als Betroffener google ich regelmässig nach einem abschliessenden Bericht des BFU betreffend dieses Beinahezusammenstosses. Eins hat der Fastunfall bei mir bewirkt: Vor diesem Zwischenfall hatte ich Flugangst und inzwischen ist diese gewichen und Fatalismus hat sich bei mir eingestellt. Trotzdem würde ich nach einem solchen Vorfall nochmals wieder aussteigen und hoffe eine solche Vollbremsung nie mehr erleben zu müssen – denn mit mir hatten ein paar andere Passagier ebensolchen existentiellen Stress in der Situation. Und diesen Stress habe ich nicht vergessen …


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