«The Economist» empfiehlt Obama

20minuten.ch (31. Oktober 2008) – Laut dem einflussreichen englischen Wirtschaftsmagazin sei eine Präsidentschaft des Demokraten ein «Wagnis», doch Barack Obama würde dieses verdienen. Vor acht Jahren waren die Journalisten des Economist noch für McCain.

Die Empfehlung des Economist war mit Spannung erwartet worden. Die Wochenzeitung hat einen grossen Einfluss auf die «Opinion leaders» der Welt. Viele Meinungsführer in Politik und Wirtschaft der westlichen und östlichen Mächte lesen ihre Artikel und bilden sich eigene Ansichten aufgrund der Kommentare ihrer Journalisten.

Die Zeit ist reif

Nun hat die Redaktion einen Entscheid gefällt. «It’s time», schreibt sie auf ihrem aktuellen Titelblatt, und zeigt den US-Präsidentschaftskandidaten der Demokraten Barack Obama, 47, in schwarzem Anzug und roter Kravatte, wie er in bestimmtem Gang, gleichzeitig locker mit der linken Hand in der Hosentasche und Blick nachdenklich auf den Boden gerichtet, dem Leser entgegen schreitet. «Der Economist hat keine Stimme, wenn er aber eine hätte, würde er sie Mister Obama geben», schreibt die Zeitung in ihrem Editorial.

Aufgrund Obamas Leistungen im Wahlkampf ist die Empfehlung nicht überraschend. Doch für den Economist ist der Entscheid ein grosser Schritt. Vor acht Jahren hat das Blatt den Kandidaten der Republikaner, John McCain, dem späteren Sieger George Bush vorgezogen. McCain sei nun aber im Wahlkampf Antworten auf die schweren Probleme von heute schuldig geblieben und habe seine früheren Überzeugungen geopfert, um sich den strammen Rechtswählern seiner Partei anzubiedern.

Lascher McCain

Der neue Präsident müsse die amerikanische Wirtschaft und den internationalen Ruf des Landes «reparieren», schreibt das Wirtschaftmagazin. «Sein Selbstvertrauen und seine Werte stehen unter Beschuss.» In der Finanzkrise habe aber McCain «Panik und Unentschiedenheit» ausgestrahlt. Seine Wahl von Sarah Palin zur Vizepräsidentschaftskandidatin stehe stellvertretend für die «Laschheit» seiner Entscheide, da er diesen wichtigen Entscheid «nach nur zwei Treffen» mit ihr gefällt habe.

Die Zeitung gilt in vielen Kreisen als rechts und konservativ, was eine Empfehlung McCains naheliegend machte. Selbst bezeichnet sich der Economist, der weltweit jede Woche über eine Million Exemplare verkauft und in Amerika in den letzten Jahren stark zulegen konnte, als konservativ in Finanz- und Fiskalfragen und liberal in Gesellschaftsthemen. So ist die Zeitung für das Recht auf Abtreibung und für die gleichgeschlechtliche Ehe.

Lernfähiger Obama

Bei Obama sei seine Unerfahrenheit das grosse Wagnis. Das spielte bei vielen Interessierten der US-Wahlen von nächstem Dienstag keine Rolle. In der weltweit durchgeführten Umfrage der letzten Wochen auf der Economist-Homepage habe der schwarze Demokrat einen «Erdrutschsieg» errungen. Im Wahlkampf habe Obama an Statur zugelegt und «zwei der mächtigsten Polit-Maschinen in die Knie gezwungen – jene der Clintons und jene der republikanischen Partei».

«Er hört zu, lernt rasch und führt gut, lobt» der Economist das politische Talent Obamas. Zudem umgebe er sich mit fähigen Beratern, die ihn bei der Bewältigung der Finanzkrise unterstützen würden. Seine Absicht, selbst mit dem Präsidenten Irans über ein Atombombenverbot zu sprechen, würde für Obama sprechen, solange ein Treffen unter bestimmten Bedingungen stattfinden würde.

Zu linkslastiger Präsident Obama?

Sein Talent und seine Lernfähigkeit genügten jedoch nicht, schreibt der Economist. Der Demokrat habe einen schlechten Leistungsausweis in Auseinandersetzungen mit der eigenen Klientel. Vor allem die Gewerkschaften habe er bisher schonend behandelt. Die grösste Gefahr sei deshalb, dass Obama in den wichtigen ökonomischen Fragen in die Mitte seiner Partei rücken würde und «nicht in die Mitte des Landes».

Die Wahl sei aus diesen Gründen ein Wagnis, zieht der Economist das Fazit. Das gelte aber auch bei McCain. Und Obama habe in den zwei Jahren der Kampagne eine bessere Figur abgegeben. Ob er sein riesiges Potenzial nutzen werde, müsse sich noch zeigen. «But Mr Obama deserves the presidency», schliesst der Economist.


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