Vom König verstossen

Der langjährige Chef von Scor in der Schweiz wurde abserviert. Er fiel offenbar beim charismatischen Konzernchef des französischen Rückversicherers in Ungnade. Handelszeitung, 19. April 2012

Die Absetzung kam überraschend. Jahrelang stand Paolo Varisco im Solde von Scor und kletterte beim Rückversicherer bis nach ganz oben. Am Ende leitete er den Hub Zürich. Er stellte den beiden operativen Scor-Einheiten Leben-und Sachversicherung Personaldienste, Informatik, Büros und weitere interne Serviceleistungen zur Verfügung.

Vor wenigen Wochen wurde Varisco still und leise auf die Strasse gestellt. Nach aussen kommuniziert wurde das nicht. Erst auf Nachfrage sagt Nachfolger Christian Felderer :“Wir bestätigen, dass der bisherige Hub-Leiter Schweiz von Scor nicht mehr im Amt ist und die Aufgabe neu von mir wahrgenommen wird.“ Er trägt nun den offiziellen Titel „CEO Hub Zurich &Hub General Counsel“. Zu den Gründen der überraschenden Absetzung will er sich nicht äussern. Auch Varisco selbst schweigt.

Kein Federlesen

Der 46-jährige Varisco trug einige Verantwortung im französischen Konzern. Denn der Hub Zürich nimmt eine wichtige Stellung ein. Entstanden ist er aus dem Rückversicherungsbereich der Zurich Insurance. Ende der 1990er-Jahre bündelte das Assekuranzhaus seine Aktivitäten im Rückversicherungsgeschäft unter dem Namen Zurich Re. 2001 lagerte es das ganze Geschäft in die neu gegründete Converium aus und brachte diese im Dezember an die Börse. Drei Jahre später geriet Converium im Zuge von Altlasten im US-Haftpflichtgeschäft in die Krise. Sie zahlte die Rechnung für in der Vergangenheit unterschätzte Risiken und musste zusätzliche Reserven von rund 400 Millionen Dollar aufbringen. Die Aktie stürzte in den Keller, aus einem starken Rating A wurde ein mässigeres Triple B.

Trotz dem späteren Verkauf des US-Geschäfts an eine Versicherungsgruppe des Milliardärs Warren Buffett und der Rückkehr zu einem A-Rating erholte sich Converium nie mehr richtig. Als Anfang 2007 der Investor Martin Ebner ein Aktienpaket schnürte, schlug Scor-Chef Denis Kessler zu. Im Frühling 2007 brachte er die Gesellschaft unter seine Kontrolle, Chefin Inga Beale musste in ihrem Kampf um die Unabhängigkeit die Waffen strecken. Sie ging kurz darauf von Bord.

Nach gewonnener Schlacht machte Kessler kurzen Prozess. Er integrierte die Converium in sein weltumspannendes Rückversicherungsreich und trug damit die eigenständige Firma nach nur gut fünfjähriger Lebenszeit zu Grabe. Befürchtungen, dass in Zürich bald kein Gras mehr wachsen würde, bewahrheiteten sich nicht. Zürich und Köln entwickelten sich unter Kesslers Regentschaft zu zwei wichtigen Standorten ausserhalb Paris, wo Scor ihren Hauptsitz hat.

Varisco bekam im erweiterten Konzern immer wichtigere Aufgaben. In den letzten zwei Jahren amtete er nicht nur als Hub-Chef Zürich, sondern in einer Doppelfunktion auch als oberster Personalchef des ganzen Konzerns. In dieser Funktion war er in Personalbelangen mit der Integration des im Sommer übernommenen amerikanischen Rückversicherers Transamerica Re beschäftigt. Das exponierte ihn bei Scor-Chef Denis Kessler.

Freund von François Hollande

Kessler ist der alleinige starke Mann im Konzern. Seit zehn Jahren steht er als König an der Spitze des Traditionshauses. Die graue Eminenz der Branche brachte es zur Nummer fünf der weltweiten Rückversicherungsindustrie. Kessler gilt in Frankreich als einer der Grandseigneurs der Wirtschaft. Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf ist er gern gesehener Gast und Interviewpartner in Fernsehsendungen und Zeitungen, weil er kein Blatt vor den Mund nimmt. Statt Polit-Hahnenkämpfen fordert er die Ausmerzung des französischen Staatsdefizits. Und er vertritt dabei auch mal gerne das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Kessler studierte mit dem sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande und trifft diesen auch regelmässig.

Doch so sozial er gesellschaftlich auftritt, so hart greift er im Geschäftsleben durch. Der Schweizer Hub-Chef Varisco spürte das nun am eigenen Leib. Er fiel beim Scor-Chef offenbar in Ungnade.

Dabei läuft das Geschäft, obwohl Scor nicht zu den ersten drei der Branche zählt. 2011 erzielte die Gruppe auf ein Prämienvolumen von knapp 8 Milliarden Euro einen Reingewinn von 330 Millionen Euro. Das entspricht einer Eigenkapitalrendite von 7,7 Prozent, wie die Franzosen stolz hervorheben. Damit bleiben sie zwar hinter der Swiss Re zurück, schlagen aber den Branchenriesen Munich Re klar.

Scor-Chef Kessler blies kürzlich zur Offensive. Man will nach Umsetzung eines weiteren Steigerungsplans bald 10 Milliarden Euro Jahresumsatz erzielen. Der Rendite könne das Wachstum nichts anhaben, trotz Umweltkatastrophen „beispiellosen Ausmasses“ vor allem in Asien sei Scor 2011 rentabel geblieben. „Und für einen Rückversicherer ist Solvabilität das höchste Gut“, skizzierte der alte Fuchs sein Erfolgsgeheimnis. „Denn ein Kunde überträgt seine Grossrisiken nur dann an einen Rückversicherer, wenn er sicher sein kann, dass er diesen Risiken unter jeglichen Umständen die Stirn bieten kann.“


Einen Kommentar schreiben