Sarasin-Chef in den USA während Ferien verhört – Bank vertuschte alles

Die Basler Privatbank leugnete die Festsetzung des Sarasin-CEO – die Medien wurden systematisch belogen. Der Sonntag, 8. April 2012

Der Schwindel flog diese Woche auf. Monatelang stritt die Führung der Bank Sarasin ab, dass ihr Chef Joachim Strähle in den USA im vergangenen Sommer zum heiklen grenzüberschreitenden Geschäft aussagen musste. «Der Sonntag» hatte letzten November erstmals konkrete Hinweise für die Aktion der Amerikaner erhalten. Doch die Sarasin-Führung stritt alles ab, ja sie drohte dem «Sonntag» sogar rechtliche Schritte an, falls dennoch ein Artikel erscheinen sollte.

Jetzt kracht das Lügengebäude zusammen. Die Bank gibt jetzt zu, dass Strähle sich während mehrerer Tage nicht mehr frei bewegen konnte und sich den Fragen von Beamten des US-Justizministeriums stellen musste. Damit endet eine für Schweizer Verhältnisse beispiellose Vertuschungsaktion, in die der Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung, die Kommunikationsabteilung sowie externe PR-Profis involviert waren. Der E-Mail-Verkehr mit der Bank belegt die dreiste Lüge der Bank.

Das ist im vergangenen Sommer vorgefallen: Sarasin-CEO Joachim Strähle reiste mit seiner Tochter in die USA in die Ferien. Er nahm sich eine Auszeit, bevor er am 28. Juli in der Schweiz den Halbjahresbericht präsentieren sollte. Joachim Strähle (54) – die meisten nennen ihn Joe – ist bestens vertraut mit den amerikanischen Verhältnissen.

Bis ins Jahr 1999 war er als Niederlassungsleiter für die Privatbank Julius Bär in den USA tätig. Danach wechselte er zur Grossbank Credit Suisse, wo er zuerst Chef der CS Trust Gruppe war und ab 2003 als Chef Private Banking International die weltweite grenzüberschreitende Vermögensverwaltung für vermögende Kunden leitete. Im Herbst 2006 wechselte er als CEO zu Sarasin, wo er im letzten Jahr 3,8 Millionen Franken verdiente. Damit war er einer der bestbezahlten Schweizer Banker.

Mit Strähle ging den US-Behörden ein dicker Fisch ins Netz, der über intime Kenntnisse des Offshore-Geschäfts verfügt, das in der Vergangenheit vor allem in der Entgegennahme von unversteuerten Geldern bestand. Strähle war besonders wertvoll, da er nicht nur die Geschäftspraktiken seiner aktuellen Bank Sarasin kannte, sondern auch diejenigen der Credit Suisse und Julius Bär – jener beiden Banken also, die weit oben auf der Fahndungsliste der Amerikaner stehen. Strähle zu packen und ihn zum Schwarzgeld-Geschäft auszuquetschen, musste das Nonplusultra für die Amerikaner gewesen sein. Noch nie konnten sie einen derart bedeutenden Schweizer Privatbanker verhören.

Dass er sich bei seiner privaten Reise freiwillig den Amerikanern ans Messer lieferte, musste die US-Ermittler in helles Entzücken versetzt haben. Die meisten Schweizer Privatbanken-Chefs trauten sich seit Monaten nicht mehr, in die USA zu reisen. Auch weniger hohe Chargen machten einen grossen Bogen um amerikanisches Territorium. Sarasin selbst verhängte eine drastische interne Reisesperre. Gegenüber dem «Sonntag» sagte Sprecher Benedikt Gratzl am 24. Juli: «Seit zwei Wochen gilt eine Genehmigungspflicht für alle Privat- und Geschäftsreisen nach den USA.» Ausnahmen müssten von CEO Strähle oder dem Finanzchef gewährt werden. Der Sprecher betonte zu einem Zeitpunkt, als sein Boss Strähle bereits von den USA zurückgehalten worden war, dass keine Ermittlungen am Laufen seien.

Die Jagd der US-Fahnder nach Strähle glich einem Krimi: Bei der Einreise löste sein Name Alarm in Washington aus. Sofort nahmen die Ermittler des US-Justizministeriums die Fährte auf. Sie schlugen morgens um sieben in Strähles Hotel zu. Sie klopften an seine Tür und schoben einen Brief des Justizministeriums unter der Tür durch. Bis auf Weiteres habe er sich für Gespräche rund um den Steuerkonflikt zur Verfügung zu halten. Erstmals detailliert beschrieben wurden die Vorgänge diese Woche auf dem Bankenblog «Inside Paradeplatz».

Strähle meldete seine Festsetzung sofort seinem Präsidenten Christoph Ammann. Weil die USA auch an Strähles Zeit bei der CS interessiert waren, wurde auch CS-Rechtschef Romeo Cerutti informiert. Ins Bild gesetzt wurden sodann auch die Finma und Michael Ambühl vom Staatssekretariat. Die US-Behörden liessen Strähle bis zu seiner Einvernahme eine Woche lang schmoren. Am Tag des Verhörs sass der Schweizer Privatbanker einer Truppe spezialisierter Beamter des US-Justizministeriums und der US-Steuerbehörden gegenüber.

Anwesend war kein Geringerer als Kevin Downing. Downing ist jener Justizbeamte der Grossmacht, der seit Sommer 2007 die Schweiz mit ihrem Steuer-Altlastenproblem in die Knie zwingt. Damals war UBS-Whistleblower Bradley Birkenfeld zu Downing ins Büro gelaufen und brachte geheimes UBS-Material über illegale Akquisitions-Methoden für amerikanische Superreiche mit. Seither gilt der Chefermittler als Feind Nummer 1 des Schweizer Finanzplatzes.

Was Stähle den Amerikanern erzählte, ist nicht bekannt. Dass er nach kurzer Zeit die USA wieder verlassen durfte und wie geplant in der Schweiz die Halbjahreszahlen präsentieren konnte, könnte darauf hindeuten, dass er Belastendes auspackte. Oder aber er war keine ergiebige Quelle, wie aus Sarasin-Kreisen kolportiert wird.

Fakt ist: Nur einen Monat nach Strähles Befragung eskalierte der Steuerstreit mit den USA. In einem dreiseitigen Brief an den Schweizer Unterhändler Michael Ambühl kündigte James Cole, die Nummer 2 des US-Justizministeriums, detailliert die nächsten Zwangsmassnahmen gegen betroffene Schweizer Banken an. Falls nicht sofort statistische Daten über das Offshore-Modell mit vermögenden US-Kunden offengelegt würden, «befürchte ich, dass uns kaum eine andere Wahl bleibt, als andere Mittel anzuwenden, die uns zur Verfügung stehen», drohte Cole am 31. August 2011 dem Schweizer Staatssekretär Ambühl. Die Frage, wie sehr das forsche Vorgehen der USA eine Folge von Strähles intensiver Befragung im Vormonat war, ist offen.

Die Festhaltung des Sarasin-CEO kam zum dümmsten Zeitpunkt. Die Bank stand damals zum Verkauf und wurde von der Zürcher Bank Julius Bär heftig umworben. Doch Strähle sträubte sich gegen den Deal, weil er damit seinen hoch dotierten Job verloren hätte. Ein Monate dauernder Abwehrkampf entbrannte. Strähle erklärte die Suche nach einem alternativen Käufer zur Chefsache.

Der Interessenkonflikt war evident: Während Strähle um sein eigenes Überleben kämpfte, musste es der Sarasin Grossaktionärin Rabobank, eine holländische Genossenschaftsbank, und dem Verwaltungsrat darum gehen, die bestmögliche Lösung für alle Aktionäre zu finden. Die Suche nach einem Weissen Ritter konnte nur gelingen, wenn Strähle uneingeschränkt handlungsfähig war. Schlagzeilen um die Einvernahme in den USA hätte die Glaubwürdigkeit des Chefs im Kampf gegen Julius Bär vernichtet.

In diesem aufgeheizten Klima erhielt «Der Sonntag» von zwei unabhängigen Quellen konkrete Informationen zur Befragung in den USA. Mehrfach konfrontierte die Zeitung die Kommunikationsstelle der Bank. Mehrfach wurde die Information als haltlose Spekulation zurückgewiesen. Bei Sarasin einigte man sich offensichtlich darauf, so lange zu dementieren, so lange niemand präzis danach fragen würde. Offenbar haben Journalisten, welche ebenfalls Tipps erhalten hatten, gefragt, ob Strähle «verhaftet» worden sei. In diesem Fall konnte die Bank «mit gutem Gewissen dementieren», sagt ein mit der Sache Vertrauter. Im Verwaltungsrat reifte zudem die Meinung heran, dass die Öffentlichkeit nicht alles angehe.

Nach mehreren Telefonaten stellte «Der Sonntag» am 18. November schriftlich folgende Frage: «Gemäss unseren Informationen wurde Herr Strähle bei einer Reise in die USA von US-Behörden zum grenzüberschreitenden Geschäft befragt. Können Sie dies bestätigen?» Das Antwortmail von Sprecherin Franziska Gumpfer war unmissverständlich: «Nein, das ist falsch.» Eine glatte Lüge, wie sich jetzt herausstellt. Die Sprecherin nimmt heute keine Stellung dazu.

Statt die Zwangsmassnahmen zuzugeben oder eine Stellungnahme abzulehnen, bedrohte die Privatbank den «Sonntag» mit rechtlichen Schritten, falls ein Artikel mit solchem Inhalt veröffentlicht würde. VR-Präsident Christoph Ammann lehnte gestern eine Stellungnahme ab zum Vorwurf, dass die Bank die Festsetzung Strähles gegenüber den Medien bewusst abgestritten und damit die Öffentlichkeit vorsätzlich in die Irre geführt hätte.

Strähle erreichte schliesslich sein Ziel, und Sarasin wurde nicht an Julius Bär, sondern an die brasilianische Finanzgruppe Safra verkauft. Ein Sarasin-Kenner beurteilt die Vertuschungsaktion als gravierend. Joachim Strähle dürfte sich kaum mehr lange halten können. Ebenfalls eng dürfte es für den Verwaltungsratspräsidenten Ammann und andere Verwaltungsräte werden.


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