Reise ins Risiko

Die Bank braucht ihr ganzes Können, um die Vermögensverwaltung von Merrill Lynch erfolgreich zu integrieren. Handelszeitung, 16. August 2012

Das hatte sich Boris Collardi anders ausgemalt. Kaum lag seine Übernahme der Vermögensverwaltung von Merrill Lynch auf dem Tisch, hagelte es Kritik. „Zu teuer“, „zu ungewiss“, „zu verwässernd“, lautete das vernichtende Urteil der Analysten. Minus 7 Prozent am Montag und minus 3 Prozent am Dienstag – so liest sich das Verdikt der Investoren.

Beinahe 1,5 Milliarden Franken seien eine stolze Summe für ein „momentan Verlust schreibendes Geschäft“, brachte der Experte der deutschen Bank MainFirst das Unbehagen auf den Punkt. Vor allem, wenn dazu noch 1 Milliarde neues Kapital benötigt werde. Beides zusammen führe dazu, dass die Anleger fürs Erste nicht gewillt seien, auf Collardis Übernahmeofferte einzusteigen. Die Planung des Bär-Chefs sieht vor, dass sich der Einsatz durch mehr Gewinn ab 2015 mehr als auszahlt. Investiere heute, gewinne morgen, ruft Collardi dem Markt zu.

Enttäuschendes „pure play“

Seit der 38-Jährige bei Bär eine Führungsposition innehat, kommt die Bank nicht zur Ruhe. Zuerst wurden drei kleinere Privatbanken von der UBS integriert, dann die damals ebenfalls übernommene Assetmanagerin GAM abgetrennt und an die Börse gebracht, schliesslich verleibte sich Bär die kleine ING Schweiz ein.

Für den Investor ging die Rechnung nicht auf. Die Bär-Aktie verlor seit 2009 rund 17 Prozent. Zwar gab es Dividenden, doch die waren ein schwacher Trost für das eingegangene Risiko.

„Viel besser als UBS und Credit Suisse“, könnte Collardi entgegnen. Doch das greift zu kurz. Der Bär-Chef spricht gerne von seinem „pure play“, dass er seine Bank als reinrassigen Vermögensverwalter positioniert habe. Das sollte zu stabilen Erträgen bei kontrollierten Kosten führen. Doch mit Collardi am Steuer ist das Gegenteil eingetreten. Das Verhältnis von Kosten zu Erträgen stieg und stieg, im 1. Halbjahr 2012 auf über 74 Prozent. Für einen reinen Schweizer Vermögensverwalter ist dies ein unbefriedigender Wert.

Mit der beschlossenen Merrill-Akquisition geht die Reise fürs Erste in die gleiche Richtung weiter. Erneut kommen ausserordentliche Kosten für die Integration hinzu, genauso wie damals ab 2006 mit den UBS-Banken und 2010 mit der ING-Übernahme. Diesmal stellt Collardi die horrende Summe von 400 Millionen Franken zurück, was den unschönen Effekt nach sich zieht, dass der Bär-Gewinn im laufenden Jahr einbrechen dürfte.

Die Investitionen in die Zukunft scheinen nicht abzubrechen. An zwölf Orten verteilt über den Erdball sind Julius Bär und Merrill Lynch doppelt vertreten, dort wird das Geschäft in den nächsten zweieinhalb Jahren zusammengelegt. In acht weiteren Grossstädten ist die bisherige Tochter der Bank of America allein vertreten und wird inBär integriert. Einzig die USA werden zum grossen weissen Fleck.

In der Realität meint diese Herkules-Übung: Kundenberater von Merrill mit attraktiven Konditionen gewinnen, Computersysteme für die Übernahme der Kundengelder flottmachen, Filialen ausbauen, andere schliessen, nicht mehr gebrauchte Verwaltungsmitarbeiter entlassen. Kurz: Zähe, langwierige Knochenarbeit ist angesagt.

Bei der Zürcher Privatbank weiss man selbstverständlich, was es mit dem grossen Deal geschlagen hat. „Die Investoren fürchten, dass wir das Merrill-Geschäft nicht richtig in den Griff kriegen“, geht Julius-Bär-Sprecher Jan Vonder Mühll auf die Kritik im Markt ein. „Es ist an uns zu zeigen, dass das gelingen wird.“

Kostspielig wird die Übernahme dort, wo Julius Bär und Merrill Lynch gemeinsam gross sind. In Europa sind das London, Paris, Monaco, Genf und Mailand, im Nahen Osten Tel Aviv und Dubai, in Asien Hongkong und Singapur, in Lateinamerika Santiago de Chile, Montevideo und in der Karibik die Cayman-Inseln.

Gleichzeitig liegt für Collardi an diesen Standorten das grösste Synergiepotenzial. Er muss die Kosten maximal reduzieren, ohne die Kunden von Merrill zu vergraulen. „Springen zu viele Kunden ab, dann geht die Rechnung nicht auf“, sagt Christopher Wheeler von der italienischen Mediobanca in London.

Eine Carte blanche

Wheeler ist eine bekannte Stimme unter den Finanzanalysten im britischen Finanzzentrum. Er traut Collardi die Meisterprüfung zu. „Alles steht und fällt mit der Umsetzung, sie ist die grosse Herausforderung dieses Deals“, sagt er. Mehr als 10 Prozent der rund 80 Milliarden Kundenvermögen von Merrill Lynch dürfe Julius Bärnicht verlieren, sonst gehe die Rechnung nicht mehr auf. Für Experte Wheeler ist die Akquisition „eine der anspruchsvollsten Integrationsübungen der letzten Jahrzehnte“.

Collardi, der Banker mit der wohl steilsten Karriere der Bahnhofstrasse, lässt sich nicht in die Karten blicken. Als er den Deal ankündigte, wollte eine Bloomberg-TV-Moderatorin das Ausmass des Stellenabbaus wissen. Darauf gab Collardi ebenso wenig Konkretes preis wie auf andere Fragen. Noch kann es sich Collardi leisten, zu schweigen und auszuweichen. Abgerechnet wird in zwei Jahren. Der Vorteil für den jungen Konzernchef: Bis dann hat er Carte blanche.


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