Grosser Durst

Mit einem Kauf der Vermögensverwaltung der Bank of America könnte Julius-Bär-Chef Boris Collardi die Konkurrenz abhängen. Er pokert hoch. Handelszeitung, 21. Juni 2012

Es wäre der Deal des Jahres und für Boris Collardi das Husarenstück. Der 38-Jährige verhandelt mit der Bank of America über den Kauf des Vermögensverwaltungsgeschäfts der Tochter Merrill Lynch mit Kunden ausserhalb des Heimmarktes. Das ist die grosse Stunde für den jungen Chef der Privatbank.Julius Bär könnte massiv an Masse zulegen und würde sich vor die direkten Konkurrenten Pictet, Safra/Sarasin, Lombard Odier und HSBC Schweiz schieben. Die heute rund 170 Milliarden Franken an Kundenvermögen würden auf bis zu 260 Milliarden emporschnellen. „Einer der grössten Deals im Private Banking“, griff die „Financial Times“ zum Superlativ.

Ob Collardi wirklich zuschlägt und zu welchem Preis, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Die Bank hält sich bedeckt und bestätigte Anfang Woche lediglich ihr Interesse, nachdem Gerüchte über die Kaufabsichten von Bär konkret geworden sind. Collardi, der Banker der leisen Töne, wolle nur jene Aktiva von MerrillLynch erwerben, die perfekt zum bisherigen Ensemble passten, sagt eine interne Quelle – sprich möglichst keine mit tiefen Margen und von Kunden, die man bereits selbst hat.

Deutlich weniger Erträge

Selbst wenn es aber keine À-la-carte-Lösung geben sollte, applaudieren Branchenvertreter auf Vorrat. „Der Deal passt“, sagt der Schweizer Chef einer ausländischen Universalbank auf dem Platz Zürich. „Bär und Merrill Lynch sind ein strategischer Fit der Extraklasse.“

In einer Präsentation gewährte Merrill-Mutter Bank of America vor Jahresfrist erstmals einen Blick hinter die Kulissen. Inklusive des amerikanischen Heimgeschäfts erzielteMerrill Lynch Global Wealth & Investment Management, wie die Sparte offiziell heisst, einen Vorsteuergewinn für 2010 von 1,3 Milliarden Dollar. Ein grosser Teil davon stammte allerdings aus dem US-Geschäft, das nicht zum Verkauf steht.

Angesichts der Grösse war das nicht berauschend. Gemäss den präsentierten Zahlen spielte jeder Kundenberater rund 850000 Dollar Erträge ein. Bei der UBS kommt ein Vermögensverwalter auf rund das Doppelte. Der Grund sind tiefere verwaltete Vermögen pro Kopf. Das hänge vor allem mit dem Brokerage-Modell zusammen, meint Analyst Christian Stark vom Zürcher Ableger von Cheuvreux, einer französischen Investmentbank. „Brokerage ist in der Betreuung intensiver, da kann man nicht so viele Aktiva managen wie im klassischen Private Banking“, sagt Stark. Das würde sich unter Julius Bär zwar nicht unbedingt zum Besseren wenden. Aber: „Bär würde versuchen, mehr Fondsprodukte und Mandate zu verkaufen.“

Für den Bankenspezialisten ändern die mageren Leistungswerte der Merrill-Lynch-Berater nichts an der positiven Einschätzung eines allfälligen Deals. „Merrill Lynch ist stark in Lateinamerika, dort würde Bär zulegen“, begründet Stark. „In Asien und Europa, wo beide Banken gross sind, gäbe es Synergien mit entsprechendem Sparpotenzial.“

Merrill-Verkäuferin Bank of America könnte auf einen Preis um die 2 Milliarden Dollar hoffen. Das würde die freien Mittel von Bär um etwa das Doppelte übersteigen. „Ohne Kapitalerhöhung könnte Bär den Deal nicht stemmen“, meint Cheuvreux-Banker Stark. „Aber wenn der Kauf passt, dann lässt sich das nötige Kapital bestimmt auftreiben.“

Die Alternativen zu Sarasin

Collardis Kaufinteresse zeigt, dass es für seine Julius Bär Alternativen zur verpatzten Akquisition von Sarasin gibt. Dort hätte Bär vor allem Schweizer On- und Offshore-Kundenvermögen erworben, um diese mit deutlich weniger Personal zu bewirtschaften. „Sarasin wäre ein Kostenspiel gewesen, Merrill würde ein Wachstumsspiel“, sagt eine Bär-Quelle. Beim Basler Haus kam letzten Herbst die brasilianische Safra zum Handkuss.

Ein Merrill-Deal würde zum Gesellenstück für Bär-Chef Collardi. Er war zwar vor fünf Jahren als operativer Chef massgeblich an der Integration von drei UBS-Privatbanken beteiligt. Und unter seiner Führung erwarb Bär auch das Schweizer Private-Banking-Geschäft der holländischen ING. Aber beide Integrationsübungen waren vergleichsweise klein. Ganz anders würde sich die Ausgangslage bei einer Transaktion mit der Bank of America präsentieren. Collardi müsste beweisen, dass er die kulturellen und technischen Anforderungen einer solchen Akquisition bewältigen kann.

Schwieriger als die Kulturfrage, die sich bei jeder Fusion und insbesondere bei einer zwischen zwei Unternehmen aus unterschiedlichen Weltregionen stellt, könnten Antworten auf die operationellen Herausforderungen ausfallen. Vor allem die Informatik ist bei Julius Bär ein Thema. Als ab 2006 die Integration der verschiedenen, unterschiedlich grossen UBS-Privatbanken anstand, verzichtete Bär auf die bereits fest eingeplante Umstellung auf das Avaloq-Bankensystem, um sich nicht zu viel aufs Mal aufzuhalsen. Mehrere Dutzend Millionen Franken Investitionen in die Informatik wurden damals abgeschrieben, die Avaloq-Software-Lizenz verschwand in der Schublade.

Nun fragt sich, ob die Integration einer Bank, die halb so gross wäre wie das Mutterhaus, auf der ältlichen Bär-Hard- und -Software überhaupt möglich wäre. Insider berichten von Alarmsignalen. Es komme vor, dass Mitarbeiter am Morgen warten müssten, bis das System einsatzbereit sei. Und eine einfache Transaktion wie Futures könne das Bär-System erst seit kurzem auf vernünftige Weise abwickeln.

Ein Sprecher verweist auf frühere Stellungnahmen. Die Technik von Julius Bär sei für die kurz- und mittelfristige Zukunft leistungsfähig genug, erst mittel- bis langfristig stelle sich die Frage nach einem neuen System. Ein Kauf des Geschäfts von MerrillLynch könnte den gemütlichen Fahrplan gefährden.


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