Chefsache Adoboli

UBS Ex-Derivatehändler Kweku Adoboli steht nun vor Gericht. Das rückt auch die Risikokultur der Grossbank wieder in den Fokus. Handelszeitung, 6. September 2012

Ein muffiger Saal in Londons Southwark Crown Court, ein strenger Richter mit weisser Perücke, zwölf zufällig ausgewählte Geschworene, volle Zuschauerränge, angriffige Ankläger: Am nächsten Montag beginnen die acht schwersten Wochen im Leben des Kweku Adoboli. Der Ex-Derivatehändler bescherte seiner früheren Arbeitgeberin UBS einen Verlust von über 2 Milliarden Dollar. Nun beginnt der Prozess gegen ihn.

Auch UBS-Chef Sergio Ermotti blickt bange in Richtung Southwark Crown Court. Man sei zwar nicht Partei. „Angesichts der Tragweite des Vorfalls müssen wir jedoch davon ausgehen, dass im Prozessverlauf auch die Kultur und Praktiken der UBS zur Sprache kommen“, stimmte der Konzernchef seine 63000 Mitarbeiter diese Woche auf eine schwere Zeit ein.

Mit dem Strafprozess wegen behaupteter illegaler und nicht autorisierter Wetten erreichen Ereignisse ihren Höhepunkt, die vor einem Jahr die Öffentlichkeit erschütterten. Damals schlug Adoboli, ein erst 31 Jahre alter Händler eines Teams namens Delta One in der Londoner Investmentbank, den UBS-Tanker leck. Er hatte einen Milliardenberg an Exchange Traded Funds aufgetürmt. Vermutlich belief sich das Gesamt-Investment auf gegen 10 Milliarden Dollar. Wie üblich sollte es mit Hedges abgesichert sein. Das tat Adoboli aber nur dem Schein nach. Als seine Position ins Rutschen geriet und sich die Verluste nicht mehr verbergen liessen, kriegte der Sohn eines UNO-Diplomaten aus Ghana mit britischem Uni-Abschluss Panik. Er gestand.

Die Folge war ein Erdbeben, wie es die UBS selten erlebt hatte. Die Nachricht vom Zwei-Milliarden-Crash raste um den Erdball. Bei Bloomberg, jener News-Agentur, die am schnellsten reagiert, war sie der meistgelesene aller Zeiten.

Sofort war klar: Nach über 50 Milliarden Dollar Subprime-Verlusten und Steuerhinterziehung im US-Offshore-Geschäft hatte der Skandal das Potenzial, das Vertrauen in die Bank endgültig zu zerstören. Entsprechend heftig fielen erste Massnahmen aus. Der damalige Konzernchef Oswald Grübel trat innert zehn Tagen zurück, sein Nachfolger Ermotti gab schnell den Tarif durch. „Solches Fehlverhalten ist nicht tolerierbar“, las er den Mitarbeitern drei Wochen später die Leviten.

Ergebnisse unter Verschluss

Es begann eine lange Phase der Aufarbeitung. Diese sollte längst abgeschlossen sein. Doch nach aussen dringt nichts. Wer die Schuldigen sind, welches Versagen ihnen vorgeworfen wird und wer im oberen Management eine Mitverantwortung trägt – all das bleibt unter Verschluss.

Die UBS begründet ihr Schweigen mit strengen Auflagen der britischen Strafprozessordnung. Damit die Geschworenen nicht beeinflusst werden, darf nur berichtet werden, was im Gerichtssaal gesagt wurde. Entsprechend vage bleibt Ermotti in seiner E-Mail ans Personal. „Wir ergriffen geeignete Disziplinarmassnahmen gegen Mitarbeitende, deren Verhalten nicht den von uns geforderten hohen Standards entsprach“, schreibt er. „Zudem behoben wir die Schwachstellen bei unserem internen Kontrollsystem für das Financial Reporting“, so der UBS-Chef weiter.

Das bekannte Köpferollen wirkt nur auf den ersten Blick eindrücklich. Neben Grübel, der mit seinem Rücktritt symbolisch die Verantwortung übernahm, gingen nur zweitrangige und wenig gewichtige Manager von Bord, darunter zwei Co-Leiter des Aktiengeschäfts. Dort war das Delta-One-Team angesiedelt.

Zusätzlich beschloss die UBS, sich aus dem Eigenhandel mit Aktien und weiteren Bereichen im Zinsengeschäft zurückzuziehen. Das hätte sie wohl auch ohne Adoboli-Verlust getan. Die Anpassung der Investmentbank-Strategie, die nur noch Kunden und Vermögensverwaltung dienen, aber keine Eigendeals mehr zulassen soll, war Folge der schwachen Resultate.

Somit bleibt offen, ob UBS-Chef Ermotti wirklich gewillt ist durchzugreifen. Dabei zeichnen die bisher bekannten Mängel ein gravierendes Bild in der UBS-Risikokontrolle. Im Frühling gab die Bank bedeutende Schwächen („material weakness“) im internen Kontrollprozess zu, die sie nun ausgemerzt habe. Ebenfalls auf schweres Versagen deuten Aufsichtsverfahren der Finanzbehörden in der Schweiz und Grossbritannien hin. Laut einem Finma-Sprecher ist noch offen, wann die Resultate bekannt werden. Dies dürfte erst nach dem Adoboli-Prozess der Fall sein.

Zweifel an Ermottis Härte nähren dessen eigene Aussagen im Mitarbeiter-Schreiben. „Wir zeigten grosse Entschlossenheit, aus diesem Vorfall zu lernen (…)“, meint Ermotti dort und betont, dass die im Gerichtsverfahren auftauchenden Details „einen Zustand der Vergangenheit“ beschreiben würden. „Nun sollten wir den Blick nach vorn richten“, fordert der UBS-Chef seine Leute auf.

Dann aber kämen wichtige UBS-Chefs, die an entscheidender Stelle sassen, als Adoboli seine Milliardenposition aufbaute, ungeschoren davon. Die Zeche würde vor allem Maureen Miskovic als Chief Risk Officer zahlen, die Ende 2011 gerade mal elf Monate bei der UBS war und in dieser Zeit kaum in der Lage war, dem Treiben auf die Spur zu kommen.

Verschont würden hingegen zwei Schlüsselleute mit langer Geschichte im Management der Risiken der Schweizer Grossbank. Zum einen ist das Philip Lofts, der von 2008 bis 2010 das Risk-Management der UBS leitete, bis ihn Grübel als Chef des Amerika-Geschäfts auf ein Karriere-Abstellgleis stellte. Kaum war Grübel weg, holte ihn Ermotti als Ersatz für die abgesetzte Miskovic zurück auf den Stuhl des Chief Risk Officer in die Konzernzentrale in Zürich.

Problematische Zeit

Warum dies Ermotti tat, bleibt nach wie vor ein Rätsel. UBS-Einflüsterer gaben Ende 2011 medialen Begleitschutz, indem sie hinter den Kulissen Lofts, Qualitäten als Risikomanager lobten. Die Aufsichtsbehörden seien froh, dass nach dem Adoboli-Vorfall ein wirklicher Experte das Steuer übernehmen würde. Problematisch ist, dass der Aufbau von Adobolis Risiken in Lofts, erste Zeit als oberster Risikochef fällt. Zudem war Lofts bereits ein hoher Risikomanager der UBS-Investmentbank, als diese ab der Jahrtausendwende begann, Milliarden von risikoreichen amerikanischen Subprime-Wertpapieren auf die Bilanz zu nehmen.

Die zweite umstrittene Risiko-Figur im Adoboli-Drama ist Andrew Wright, Finanzchef der UBS-Investmentbank. Auch er hätte den Aufbau der riesigen Risiken von Adoboli allenfalls frühzeitig bemerken müssen. Wright fiel bei der alten UBS bereits einmal in Zusammenhang mit einem Milliardenfall auf. Mitte der 1990erJahre war er bei der damaligen Bankgesellschaft Controller im Aktienbereich und dort zuständig für die damals neuartigen Derivate. Der Ausflug in die Welt der „finanziellen Massenvernichtungswaffen“, wie sie Warren Buffett einst nannte, endete 1998 mit einem Milliardenverlust und Köpferollen.

Laut einem UBS-Insider hätten sowohl Lofts als auch Wright dem Treiben von Derivatehändler Adoboli frühzeitig einen Riegel schieben müssen. Dass sie es nicht taten, sei Grund genug für eine Trennung. Die Bank will sich nicht zu einzelnen Managern und deren Verantwortung äussern.

FALL ADOBOLI

Zwei Milliarden Am 14. September 2011 klingelte Oswald Grübels Handy. Am Draht UBS-Investmentbank-Chef Carsten Kengeter. „Wir haben einen Fall“, sagt er. „Mehr als eine Milliarde?“, fragt Grübel. „Zwei“, meint Kengeter. „Shit“, entfährt es Grübel. 18 Stunden später meldet die UBS, dass sie durch Trades eines Aktienhändlers einen Verlust von über 2 Milliarden Dollar erleidet. Der betroffene Kweku Adoboli wird verhaftet und kommt in U-Haft. Am 10. September beginnt der Prozess.


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