Bundesrätin in Rücklage

Offenlegung von 10 000 Banker-Namen im US-Steuerstreit bringt Widmer-Schlumpf in Bedrängnis. Der Sonntag, 29. Juli 2012

Mit ihrer Bewilligung zuhanden der Banken, den USA Mitarbeiternamen auszuhändigen, verstiessen Finanzministerin und Bundesrat gegen frühere Entscheide. «Der Sonntag» kennt den Wortlaut des heiklen Briefes.

Für Eveline Widmer-Schlumpf könnte die umfassende Namensoffenlegung von Tausenden von Schweizer Bankangestellten zum politischen Pulverfass werden. Dass Widmer-Schlumpf entscheidend war für den einzigartigen Kniefall des helvetischen Finanzplatzes im US-Steuerkrieg, schlägt auf die Bundespräsidentin zurück.

Diese Woche reichten mehrere Banker der Credit Suisse in Zürich Zivilklagen gegen ihre Arbeitgeberin ein. Schon zuvor gingen Angestellte der CS und der HSBC in Genf zivilrechtlich auf ihre Firmen los. Alle klagen auf eine umfassende Offenlegung sämtlicher sie betreffender Unterlagen, welche ihre Banken den US-Behörden ausgehändigt hatten.

Den problematischen Beschluss fällte der Bundesrat an seiner Mittwochssitzung vom 4. April. Die Regierung kam knapp zehn Banken entgegen, die wegen Mithilfe zu Steuerhinterziehung von US-Bürgern damit rechnen mussten, vor ein US-Strafgericht gezerrt zu werden.

Auf Antrag von Finanzministerin Widmer-Schlumpf gestattete die Regierung den Banken, aktuelle und ehemalige Angestellte ans Messer zu liefern. Noch am gleichen Tag verschickte Christoph Schelling, Leiter der Abteilung Steuern des Staatssekretariates für internationale Finanzfragen (SIF), den Finanzfirmen einen entsprechenden Brief.

«Der Bundesrat hat am 4. April 2012 den folgenden Beschluss gefasst», begann Schelling sein Schreiben. «Den in einem Verfahren mit den US-Be hörden stehenden Schweizer Banken wird eine Bewilligung nach Art. 271 Ziff. 1 des StGB zur Wahrung ihrer Interessen, insbesondere zur Darlegung ihres Geschäftsgebarens – einschliesslich (soweit erforderlich) damit zusammenhängender Daten über Bankmitarbeitende und Dritte, nicht aber Kundendaten – im grenzüberschreitenden US-Geschäft erteilt.»

Zum Schluss seines Zweiseiters wies der Chefbeamte die Banken auf eigene Fürsorge- und Datenschutz-Pflichten hin. «Die Abwägung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit bleibt Sache jeder Bank», schrieb Schelling.

Mit dem Verweis auf Artikel 271 des Strafgesetzes könnten sich Bundesrat und die federführende Eveline Widmer-Schlumpf als Chefin des Finanzdepartements in juristische Nesseln gesetzt haben. In einem vergleichbaren Fall hatte der Bundesrat die Handhabung des Spionageabwehr-Artikels 271 eng ausgelegt.

1997 wollten zwei Banken einem US-Richter auf dessen Anordnung hin geschützte Daten über den einstigen Diktator der Philippinen, Ferdinand Marcos, aushändigen. Entsprechend verlangten sie vom Bundesrat, sie «in Anwendung von Art. 271 (…) gegenüber dem amerikanischen ‹US District Court for the District of Hawaii› zur Herausgabe bestimmter Dokumente» zu ermächtigen.

Ausserdem forderten sie eine Garantie, dass «die Herausgabe der Do kumente zu keiner Strafverfolgung wegen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (Art. 273 StGB)» führen würde, und dass die Regierung die Offenlegung als «keine Verletzung des Bankgeheimnisses» festhalte.

Der Bundesrat ging nicht auf das Ansinnen der Banken ein. Zuerst müssten die ordentlichen bilateralen Möglichkeiten zur juristischen Kooperation zwischen der Schweiz und den USA ausgeschöpft werden. Es könne, so der Bundesrat, «nicht behauptet werden, dass der Rechtshilfeweg zum Vornherein aussichtslos» wäre. Es gelte eine «betont zurückhaltende Praxis». 15 Jahre später verhalten sich Bundesrat und Finanzministerin genau umgekehrt. Ohne auf Rechtshilfe zu pochen, machen die obersten Landesväter den Weg frei für eine weitere Ausnahme.

Der neuerliche Kniefall passt zur Schweizer Appeasement-Politik im endlosen Steuerkrieg. Seit Ausbruch des Konflikts im 2008 gab die Regierung auf Druck der USA stets nach. Im Bestreben, nicht andauernd Notrecht anwenden zu müssen, strapazierte die Regierung wiederholt Gesetze.

Douglas Hornung, der Genfer Anwalt der klagenden Banker, meint denn auch, der Bundesrat hätte die Offenlegung «entweder verbieten» oder dann «ein weiteres Mal Notrecht anwenden» müssen. Widmer-Schlumpf weiss offenbar um das dünne juristische Eis. Jedenfalls schob sie im Westschweizer Radio den schwarzen Peter den Finanzhäusern zu. «Es liegt allein in der Verantwortung der Banken, zu entscheiden, welche Informationen sie herausgeben und welche nicht», sagteWidmer-Schlumpf Mitte Woche.

Ihre Schuldzuweisung an die Banken betrifft jedoch nur die zivilrechtliche Seite. Strafrechtlich stehen die Verletzung des Bankgeheimnisses und des Spionageverbots zur Debatte. Da bleiben der Bundesrat und seine aktuelle Präsidentin in der Schusslinie.


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