Ultimatum aus Übersee

Die USA fordern, dass Bern die Zahl aller amerikanischen Steuersünder offenlegt. Sie sind jetzt schon bestens über die Schweizer Banken im Bild. Handelszeitung, 8. September 2011

Kundendaten oder Klage-so lautet das Ultimatum der USA im Steuerstreit mit der Schweiz. Die wichtigsten Druckmittel der Amerikaner sind dabei zwei Dokumente, die der „Handelszeitung“ vorliegen. Sie sind mit „U. S. Request for Data from 10 Swiss Banks“ überschrieben und drehen sich um die US-Datenanfrage bei zehn Schweizer Banken. Bern soll detailliert Auskunft über Umfang und Art der Bankenhilfe bei der Steuerhinterziehung amerikanischer Bürger geben. Die beiden Papiere sind genug, um die gesamte Schweizer Verhandlungsstrategie über den Haufen zu werfen. Denn genau diese Daten wollten Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und ihr Staatssekretär Michael Ambühl als entscheidende Trumpfkarte in der Hinterhand behalten. Die Auskunft über Art und Ausmass der Beihilfe zur Steuerhinterziehung war als entscheidendes Entgegenkommen der Schweiz gedacht. Bern hoffte, dass die USA vor den Verhandlungen über eine Offenlegung konkreter US-Namen Eckwerte eines globalen Deals akzeptieren würden. Teil davon wäre die Zusicherung von Straffreiheit für Banker gewesen. Nun dürfte die Schweiz das geforderte Mengengerüst grösstenteils ohne Entgegenkommen herausrücken. Sonst drohen die USA, eine oder mehrere Banken strafrechtlich anzugreifen.

Über Praxis der Banken informiert

Die beiden Dokumente unterscheiden sich nur im Detaillierungsgrad des angeforderten Materials. Es gibt eine „umfassende“ Version mit 31 Seiten und eine „vorläufige“ mit 22 Seiten. Die ausführliche Version soll sich dabei laut einer in die Verhandlungen involvierten Quelle an die Credit Suisse (CS) richten, die kürzere an die neun übrigen Banken. Bisherige US-Anklagen und Aussagen eines Insiders lassen hinter dieser Zahl die Basler Kantonalbank vermuten, die Privatbanken Julius Bär und Wegelin, die untergegangene Neue Zürcher Bank, die Auslandtöchter der englischen HSBC und der beiden israelischen Banken Leumi und Hapoalim sowie zwei weitere Auslandbanken. Ausserdem wird die Zürcher Kantonalbank von vielen US-und Schweizer Medien genannt.

US-Vize-Justizminister James Cole schrieb letzte Woche Staatssekretär Ambühl, die Herausgabe des vollen Mengengerüsts der US-Kunden bei der CS bis Dienstag sei „crucial“, also entscheidend. Die beiden Dokumente machen erstmals deutlich, wie systematisch die US-Verhandlungsführer vorgehen, um das Schweizer Bankgeheimnis auszuhebeln. Die Unterteilung in sehr präzise Kategorien legt die Vermutung nahe, dass die USA über fast alle Praktiken der hiesigen Banken in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung Bescheid wissen-Praktiken, die auch von Steuerhinterziehern benutzt wurden. Mit ihremUltimatum fordern die USA nun Mengenangaben bezüglich dreier Hauptkategorien und jeweils mehrerer Subkategorien.

Verhaltensmuster genügt

Kategorie 1 umfasst alle Steuersünder, die nach dem neuen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) vom 23. September 2009 offengelegt werden können. Neu genügt dafür der Tatbestand der Steuerhinterziehung. Um auf eine grössere Zahl zu kommen, will der Bundesrat zusätzlich „Gruppenanfragen“ zulassen. Das ist eine Umschreibung der verpönten „fishing expeditions“, bei denen Jagd auf namentlich nicht bekannte Steuersünder gemacht wird.

Ob und wie viele US-Bankkunden mittels des aufgepeppten DBA rechtlich einwandfrei ausgehändigt werden können, ist ungewiss. Der Bundesrat hofft, vom Parlament in der anstehenden Session grünes Licht für die Gruppenanfragen zu erhalten. Eine Kaderperson des Bundesamts für Justiz sagt, dass das Parlament den Passus wie geplant nur zur Kenntnis nehmen müsse, damit ein Gericht den legislativen Akt höher gewichtet als den konkreten Wortlaut des Steuerabkommens. Ein Mitglied der vorberatenden Aussenpolitischen Kommission sagt hingegen, dass das Parlament nur zum konkreten Text des DBA seine Zustimmung geben wird. Der Rest sei Interpretation der Regierung. Unbestritten ist die Offenlegung von Daten der zweiten Kategorie. Betroffen sind Betrugsfälle und vergleichbare Delikte, in Englisch „tax fraud or the like“. Es handelt sich um Taten, die von beiden Ländern als Strafdelikt eingeschätzt werden, was eine Offenlegung nach geltendem DBA von 1996 ermöglicht. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in einem Pilotentscheid im März 2009 den Weg für eine Offenlegung ohne konkrete Namen geebnet. Ein Verhaltensmuster genüge, meinten die Richter. Eine Offenlegung von Kunden dieser Kategorie sollte somit kein Problem sein, doch auf eine grosse Zahl kommt man damit nicht.

Der Hauptharst der US-Kunden fällt denn auch in die dritte Kategorie. Es ist die entscheidende Gruppe. Je nach Definition und Härte der USA könnten wie im Fall der UBS erneut Tausende von US-Kunden offengelegt-oder wie immer mehr Beobachter finden-„verraten“ werden.

Hier geht es um die Frage, wie viele US-Kunden rückwirkend zu „schweren Steuersündern“ gemacht werden können. Gefordert sind die Namen aller US-Kunden mit Geldern auf Schweizer Bankkonten in der Zeit von Ende 2002 bis zum 23. September 2009-dem Datum der Unterzeichnung des neuen DBA-,die sich nicht automatisch bei den US-Steuerbehörden melden liessen. Die USA fordern eine Mengenaufschlüsselung nach Vermögen von 50000 bis 100000 Dollar, von 100000 bis 500000 Dollar, von 500000 bis 1 Million Dollar sowie von Geldern über 1 Million Dollar.

Zur Erinnerung: Mit dem UBS-Staatsvertrag händigte die Schweiz auf diese Weise die Namen von rund 4000 US-Steuerhinterziehern aus. Das entsprach rund einem Viertel aller Amerikaner, die bei der grössten Schweizer Bank ein Konto unterhalten hatten.

Unverhohlene Drohung

Wie viele es bei der CS und den übrigen neun Banken wären, ist nicht bekannt. Ebenso ungewiss ist, ob sich die USA wie bei der UBS erneut nur mit einem Teil der gesuchten Steuersünder zufriedengeben werden. Vize-Justizminister Cole liess Bern letzte Woche wissen, dass „grand jury subpoena“ und „John Doe summons“-gerichtliche Zwangsmassnahmen zur Erzwingung von Datenherausgaben-geplant seien.

Diese würden zurückgezogen, sobald die USA mittels Amtshilfe eine „spezifische Anzahl von Konten zu spezifischen Deadlines“ erhalten würden. Ansonsten, so die unverhohlene Drohung der Nummer zwei im US-Justizapparat, sei zu befürchten, dass „kaum eine andere Wahl bleibt, als andere Mittel anzuwenden, die uns zur Verfügung stehen“.


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