Staatsrechtler zerpflückt Widmer-Schlumpfs Steuerdeal

Laut Rainer Schweizer würden «Zehntausende von Bankkunden» zu Verbrechern gestempelt. SonntagsZeitung, 23. Oktober 2011

Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf erhält einen prominenten Widersacher bei der Bewältigung des US-Steuerkriegs. «Die diskutierten pauschalen Gruppenanfragen stellen eine Rasterfahndung dar, die rechtlich keine Grundlage hat», sagt der renommierte Staatsrechtler Rainer Schweizer von der Universität St. Gallen.

Solche «pauschalen Gruppenanfragen» waren das Thema einer Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats am Dienstag in Bern. Es geht um Widmer-Schlumpfs Absicht, denUSA die Daten von Steuerhinterziehern auszuhändigen, ohne dass diese namentlich bekannt sind.

Ständeräte wollten von Schweizer Bestätigung

Schweizer war am Dienstag als Experte nach Bern geladen. Die Ständeräte erhofften sich vom Juristen eine Antwort auf die zentrale Frage, wie die Schweiz den USA verdächtige Steuerhinterzieher aushändigen könne, ohne geltendes Recht zu verletzen. Der Staatsrechtler jedoch machte klar, dass die 1996 und 2009 mit den USA ausgehandelten Doppelbesteuerungsabkommen keine ausreichende Rechtsbasis wären. Auf diesen beruhtWidmer-Schlumpfs Plan.

Schweizer schreckte mit seinen Ausführungen die Politiker auf. Erstmals wurde klar, was Widmer-Schlumpfs Offenlegung bedeutet: «Zehntausende von Bankkunden werden alle in schwerste Steuerstrafverfahren geschickt, die häufig zum völligen Ruin dieser Personen führen», sagtSchweizer. Betroffene würden gebüsst und bis zu 70 Prozent ihres Vermögens verlieren.

«Wir teilen die Interpretation von Professor Schweizer nicht», hält Mario Tuor dagegen, Sprecher von Widmer-Schlumpfs Finanzsekretariat. Weitere Details wollte Tuor nicht preisgeben.

Die von Widmer-Schlumpf geplante Offenlegung würde jene des UBS-Staatsvertrags in den Schatten stellen. 2009 versprach die Schweiz den USA 4450 Namen und deren Bankdaten. Weil die Richter den Vertrag nicht akzeptierten, musste im Juni 2010 das Parlament grünes Licht geben. Eine solche Neuauflage will die Finanzministerin verhindern und versucht, die Gruppenanfragen ohne expliziten Gesetzesbeschluss durchs Parlament zu schleusen. Die Ständeratskommission entscheidet am 10. November.

Die Kriminalisierung langjähriger Kunden sei gefährlich, sagt Staatsrechtler Schweizer. Es stünden grundsätzliche Werte auf dem Spiel. «Wenn dann Russland oder Italien auch solche pauschalen Anfragen stellen, wird die Schweiz kaum Nein sagen können.»

Wie weit die geplante Offenlegung geht, zeigen zwei Kriterien, die bei Gruppenauskünften beide erfüllt sein müssten. Ein Partner der Zürcher Rechtskanzlei Homburger, der für betroffene Banken aktiv ist, hat sie aufgezeichnet. Das erste betrifft «Verhaltensmuster, die auf mangelnde Steuerehrlichkeit» beim US-Kunden schliessen lassen. Dazu gehören etwa «regelmässiger Bezug von Geld ab dem Konto der Schweizer Bank knapp unter 10 000 Dollar», «Telefonieren mit dem Prepaid-Handy, das die Bank zur Verfügung stellt» oder auch ein Kontoeigentümer, der sich «keine Bankauszüge zustellen» lasse.

Das Interesse der USA an der Abgeltungssteuer ist gleich null

Das zweite Kriterium verlangt eine Mitschuld auf Bankseite. Es genügt bereits, wenn das Institut verzichtet hatte, ein früheres Steuerabkommen der USA zu unterzeichnen oder wenn Berater der Bank Anlageempfehlungen auf US-Boden abgegeben hatten. Dazu zählt nach US-Recht auch Beratung am Telefon.

Die beiden Kriterien sind viel weiter gefasst als jene im UBS-Vertrag. Dort galt «schwere» Steuerhinterziehung als Grundsatz für eine Offenlegung. Dafür waren mindestens 1 Million Franken Vermögen in der Schweiz nötig. Diesmal gelten als Untergrenze 50 000 Dollar.

Die betroffenen Banken erhielten Ende Woche an einer Sitzung mit Bern einen Statusbericht. «Es wurde klar, dass die USA null Interesse an der vorgeschlagenen Abgeltungssteuer haben», sagt ein beteiligter Banker. Diese hatte die Schweiz als Gegenstrategie ins Spiel gebracht.


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