Präsident in Not

Grabenkämpfe und Indiskretionen prägen die Suche nach dem neuen UBS-Chef. Verwaltungsratschef Villiger entgleitet die Kontrolle. Handelszeitung, 10. November 2011

Kaspar Villiger macht oft, was er am besten kann. Er erklärt. „Wir wollen den Prozess nicht unnötig verlängern, aber wir lassen uns auch nicht zu einem Entscheid drängen“, sagte der UBS-Präsident am Dienstag an der Universität Zürich zur Suche nach dem neuen Chef der Grossbank. Alles unter Kontrolle, lautete die Botschaft des Präsidenten. Tatsächlich ist Villiger, 70, alt Bundesrat und seit zweieinhalb Jahren UBS-Präsident, ein Getriebener. Bei der Suche nach einem Nachfolger für den ausgeschiedenen Konzernchef Oswald Grübel glänzt der Ex-Magistrat mit Führungsschwäche. „Villiger entpuppt sich als Innerschweizer Kleinunternehmer“, urteilt ein Zürcher Headhunter. Die „Dysfunktionalität des Verwaltungsrats“ sei das grosse Problem, nicht die CEO-Frage. In Villigers Verwaltungsrat ziehen verschiedene Fraktionen die Fäden. Da spannen hohe Manager mit Mitgliedern zusammen, um unliebsame Kandidaten vorzeitig abzuschiessen. Da sickern Indiskretionen um die Wahl des neuen Konzernchefs viel zu früh in die Öffentlichkeit. „Dass sich in einem Verwaltungsrat bei der sachlichen Meinungsbildung verschiedene Lager bilden, ist ok“, urteilt Silvan Felder von der Verwaltungsrat Management AG. „Dass aber die unterschiedlichen Positionen an die Öffentlichkeit dringen, ist ein unhaltbarer Zustand. Das darf schlicht nicht passieren.“ Der Präsident sei angezählt, meint der Spezialist. Weil Villiger selbst zur Disposition stehe, stelle sich die Frage, „wie frei er bei seinen Entscheiden noch ist“.

Baldige Ernennung des neuen Chefs

Der Angeschossene versucht einen letzten Befreiungsschlag. Das von ihm geführte Nominierungskomitee hat sich letzte Woche offenbar für Interims-CEO Sergio Ermotti ausgesprochen, wie Recherchen der „Handelszeitung“ zeigen. Das Reputationsrisiko wegen privater Mandate und Geschäfte sei geprüft worden, es werde jedoch durch Pluspunkte mehr als aufgewogen. Die Wahl soll nächste Woche erfolgen. „He is a shoo-in for the new job“, sagt ein Headhunter mit Sitz in Zürich, Ermotti sei also der sichere Gewinner. Trifft das zu, könnte der Tessiner schon nächsten Donnerstag am Investorentag gestärkt die neue Strategie der Bank vorstellen. Ein Sprecher der Bank wollte dazu keine Stellung nehmen.

Die Suche von Headhunter Egon Zehnder International nach externen Kandidaten blieb freilich nicht ergebnislos. Ursprünglich war der Prozess auf sechs Monate angelegt, wurde dann aber vor ungefähr einem Monat beschleunigt. Involviert war ein ganzes Team von Headhuntern. Es sollen bis zu fünf Chefs von amerikanischen, asiatischen und europäischen Banken sowie ein Divisionschef einer renommierten Bank angesprochen worden sein. Unter den Kandidaten gab es wohl einen Schweizer. Mindestens zwei Kandidaten traf Villiger persönlich, wie Recherchen ergaben. In Londoner Headhunter-Kreisen kursieren unter anderem die Namen von Michael Klein, einem Ex-Top-Mann der US-Citibank, und Andrea Orcel, Kadermann bei der Bank of America Merrill Lynch.

Die beschleunigte Wahl des UBS-Chefs ändert an Villigers Überforderung allerdings wenig. Mit dem 2-Milliarden-Verlust durch einen Händler in London vom September und der folgenden Führungskrise ist der UBS-Tanker erneut in Schieflage geraten. Die Bank hätte einen Präsidenten benötigt, der mit ruhiger Hand das Schiff durch den Sturm steuert und die Kräfte im Verwaltungsrat bündelt.

Villiger gelang das nicht. In der Krise rächte sich, dass sich der Ex-Politiker von Anfang an hinter dem breiten Rücken von Urgestein Grübel versteckte, statt eigenständige Positionen zu entwickeln. „Villiger ist belesen und breit interessiert“, staunt Peter Hablützel, Ex-Personalchef des Bundes und jahrelanger Kadermann unter Finanzminister Villiger. Dessen Tiefgang hätte es ermöglicht, eine „nachhaltig sichere UBS“ als Chance zu erkennen. „Stattdessen verfiel auch Villiger dem Wahn nach Grösse und Risiko.“

Splittergruppen im Verwaltungsrat

Mit dem Weggang von Grübel kam eine zerstrittene VR-Truppe zum Vorschein, deren Splittergruppen eigene Agendas verfolgten. Als unkontrollierbar entpuppte sich das Trio mit den hochkarätigen Angelsachsen David Sidwell, Leiter des Risikoausschusses, William Parrett, Leiter des Prüfungsausschusses, und Ann Godbehere, Leiterin des Vergütungsausschusses.

Wie stark der Angelsachsen-Trupp ausschert, zeigt die Tatsache, dass die drei Verwaltungsräte dem vermeintlich unbestrittenen Grübel ins operative Tagesgeschäft hineingefunkt hatten. „Das hat Grübel zunehmend genervt“, sagt ein hoher UBS-Manager, „in Grübels Augen verstanden alle Mitglieder des Verwaltungsrates wenig bis nichts vom Geschäft.“

Ein Zürcher Berater mit Verbindungen in die Londoner City erklärt sich die Sololäufe von „Senior Independent Director“ Sidwell und seinen Verbündeten mit eigenen, ungestillten Ambitionen. Sidwell, 58, ein US-britischer Doppelbürger mit Studium an der Elite-Uni Cambridge, stieg bei den US-Banken JP Morgan und Morgan Stanley nur bis zum Finanzchef auf. 2007 ging er von Bord und beschränkt sich seither auf Mandate.

Die Karriere von Grübel-Widersacher William Parrett ist beschränkt auf die Revisions-und Beratungsgesellschaft Deloitte. Zuletzt war der Amerikaner Geschäftsführer des Mutterhauses mit beschränkten Befugnissen gegenüber den Ländergesellschaften. Parrett ging ebenfalls 2007 frühzeitig in Pension und sitzt heute in verschiedenen Verwaltungsräten.

Die dritte im Angelsachsen-Bund, Ann Godbehere, stieg beim Versicherungskonzern Swiss Re auf, bevor sie 2008 die bankrotte englische Bank Northern Rock ein Jahr lang führte. Mit 53 gab die englischkanadische Doppelbürgerin die operative Verantwortung ab und ist heute Multi-Verwaltungsrätin.

Das Trio beharrte nach Grübels Abgang auf der Fortsetzung des eingeleiteten Suchprozesses nach einem Nachfolger. Ihr Ziel war, einen externen Superkandidaten zu gewinnen. Das scheint nicht gelungen zu sein. Doch für Villiger war die Ehrenrunde eine Niederlage. Er wollte seinen Mann Ermotti sofort inthronisieren, musste aber klein beigeben. Nicht helfen konnte ihm offenbar der Klub der „Swissies“, bestehend aus Bruno Gehrig, ehemaliger UBS-und Nationalbank-Spitzenmann, sowie Rainer-Marc Frey, schwerreicher Ex-Hedgefonds-Manager. Während Gehrig einen guten Draht ins Management hat, soll Frey Ex-Chef Grübel öfters gepiesackt haben, sagt ein Grübel-Vertrauter.

Den Branchenfremden kommen offenbar eher Statistenrollen zu. Es sind Lufthansa-Präsident Wolfgang Mayrhuber, Ex-BMW-Chef Helmut Panke und ABB-Finanzchef Michel Demaré aus Belgien.

Lehmann als Geheimfavorit

Zwei Einzelfiguren könnten hingegen einen zentralen Part spielen. Axel Lehmann, Risikochef der Zurich Versicherung, gilt als unabhängiger, gescheiter und kritischer Schweizer. Einige handeln ihn als Geheimfavoriten für die anstehende CEO-Wahl bei der UBS. Joseph Yam ist das Bindeglied zum Singapurer Staatsfonds GIC, der über 6 Prozent an der UBS besitzt.

Die Irrungen und Wirrungen rund um die Chefwahl könnten Villigers auf 2013 geplanten Rücktritt beschleunigen. „Ein schneller Wechsel im VR-Präsidium drängt sich meiner Meinung nach aus Glaubwürdigkeits-und Reputationsgründen auf“, sagt jedenfalls VR-Spezialist Felder. Mit dem deutschen Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber steht Villigers Nachfolger längst in den Startlöchern.


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