Juristen auf der Bühne

Die einst so verschwiegenen Wirtschaftskanzleien gehen vermehrt in die Öffentlichkeit. Sie kämpfen um die besten Anwälte und neue Kunden. Handelszeitung, 19. Mai 2011

Homburger zeigt im August die wahre Grösse. Dann bezieht die Wirtschaftskanzlei mit ihren über 100 Juristen acht Stockwerke im Primetower, dem grün verglasten, 36-stöckigen Hochhaus in Zürichs boomendem West-End. Die gut 30 Partner müssen sich dann die Fragen stellen: Blick auf den glitzernden Zürichsee und die verzuckerten Glarner Alpen oder auf die Limmattaler Industrielandschaft mit dem SBB-Schienennetz?

Der Umzug passt zum neuen Gebaren einer Branche, die einst bekannt war für ihre Verschwiegenheit, heute aber erstaunlich forsch um Aufmerksamkeit und Ansehen buhlt. «Edipress goes private», schrieb kürzlich Lenz & Staehelin, die grösste Wirtschaftskanzlei des Landes, auf ihrer Webseite, wo wie bei vielen Konkurrenten nur auf Englisch kommuniziert wird. Die Anwälte gaben ihre Beratung für das Westschweizer Medienunternehmen bei einer anstehenden Kapitalmarkt-Transaktion bekannt. Auch die Zürcher Advokatur Pestalozzi hielt öffentlich fest: «Pestalozzi advises Glencore in IPO preparations.»

Mandate berühmter Unternehmen werden an die öffentliche Glocke gehängt mit dem Ziel, den eigenen Glanz zu polieren und neue Aufträge an Land zu ziehen. Es herrscht harter Wettbewerb um die zahlungskräftige Kundschaft – nicht nur unter den Platzhirschen (siehe Tabelle), sondern auch zwischen den grossen Büros und den sogenannten Boutiquen, die vom bekannten Namen ihres Aushängeschilds leben.

Für die Medienarbeit werden nicht mehr nur die eigenen Partner eingespannt. Entweder stehen eigene Kommunikationsleute auf der Lohnliste oder es werden externe Berater beauftragt, einen heissen Draht in die Medien zu spannen. Im Auftrag von CMS von Erlach Henrici, einer mittelgrossen Wirtschaftskanzlei, fragt beispielsweise die PR-Agentur Farner Consulting bei Zeitungen nach «Interesse» an einem Artikel über die Kanzlei.

Vertreter der Branche verfolgen die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. «PR ist ein zweischneidiges Schwert», sagt Urs Schenker von Baker & McKenzie. «Kommen die Kunden, weil eine Kanzlei in der Zeitung ist, oder gerade nicht?» Schenker, der die Anwaltskanzlei in der Schweiz innerhalb von zwei Jahrzehnten zu stolzer Grösse mit über 100 Anwälten gebracht hat, verweist als Beispiel auf eine der unbestrittenen Koryphäen des Landes. «Peter Böckli, der beste Anwalt der Schweiz, hat in seinem ganzen Leben nie Werbung gemacht.»

Interessant ist die Wandlung von Homburger, einer Art McKinsey der Schweizer Anwaltsszene, der immer noch etwas Elitäres anhaftet und wo die Berufung zum Partner als besondere Auszeichnung gilt. Homburger operierte lange im Verborgenen. Dann diktierte Ex-Homburger-Anwalt Peter Kurer im Herbst 2001 als neuer UBS-Konzernanwalt der Swissair harte Bedingungen, es kam zum Grounding und die bis dahin diskrete Homburger stand über Nacht im medialen Scheinwerferlicht. Die öffentliche Image-Korrektur gelang dank harter Analyse der Sonova-Insider-Vorfälle. Das Gutachten der Homburger-Anwälte kostete kürzlich dem Konzern- und dem Finanzchef von Sonova den Kopf. Auch rund um neue US-Vorstösse gegen die frühere Offshore-Praxis der Schweizer Banken soll Homburger wichtigen Finanzplayern beistehen, heisst es aus Insider-Kreisen.

Den neuen Glamour verfolgt die Kanzlei mit Skepsis. «Wir Wirtschaftsanwälte sind sicherlich wichtige Stellschrauben, bei Firmentransaktionen, in Krisen, auch im Tagesgeschäft unserer Kunden», sagt Partner Daniel Daeniker. «Aber wir sollten unseren Beitrag nicht überschätzen. Zuletzt sind es die Unternehmen und ihre Verantwortlichen, die bei Erfolg und Misserfolg hinstehen.»

Eine Wahl haben Homburger und Co. nicht, Abseitsstehen ist keine Option mehr. Die Schweiz mit ihren zahlreichen Multis, dem ausgebauten Finanzplatz und den gut ausgebildeten Anwälten ist für die grossen Wirtschaftskanzleien zum hart umkämpften Pflaster geworden. Zudem wird immer wieder eine bevorstehende Invasion aus dem Ausland in den rentablen Schweizer Markt prophezeit. Für Rolf Watter ist diese Sorge unbegründet. «Seit über 15 Jahren ist immer wieder die Rede von grossen ausländischen Wirtschaftskanzleien, die den Schweizer Markt aufmischen würden», sagt das Aushängeschild von Bär & Karrer, der Nummer zwei der hiesigen Wirtschaftskanzleien, die alle eine grosse Präsenz in Zürich haben. «Passiert», so Watter, «ist bisher nichts.»

Zusammenarbeit mit London und New York

Jedes Recht ist lokal. Das hat zur Folge, dass selbst die grössten Schweizer Kanzleien ausschliesslich im Inland präsent sind. Um die wichtigen Multis bei globalen Fragestellungen unterstützen zu können, pflegen sie den Kontakt zu potenten Kanzleien in den wichtigsten Wirtschaftszentren. Die Strategie fusst auf dem Prinzip von Geben und Nehmen. Die Schweizer kommen im Auftrag der englischen oder amerikanischen Partner ebenso zum Zug wie umgekehrt.

Trotz der Eigenart will Rolf Watter nicht ausschliessen, dass sich ausländische Konkurrenten in nächster Zeit bei uns niederlassen werden. «Sie könnten Schweizer Kanzleien übernehmen oder – vielleicht wahrscheinlicher – ganze Teams abwerben», sagt der Multi-Verwaltungsrat und Spezialist für Übernahmen und Fusionen. Doch selbst das werde kaum im grossen Stil geschehen, «denn die Angelsachsen, die dafür vor allem in Frage kommen, sind im Vergleich zu den Schweizern zu teuer und verlangen Honorare, die hierzulande nicht bezahlt werden».

Schon die Schweizer Top-Kanzleien schreiben gesalzene Rechnungen. Die Beratungsstunde eines Partners kostet bei den führenden Kanzleien rund 800 Franken, in besonders eiligen oder schwierigen Fällen steigt der Ansatz auf 1000 Franken. Das führt zu üppig gefüllten Lohntüten. Üblicherweise erhält ein Partner seinen vollen Umsatz abzüglich Kosten, hinzu kommt ein Anteil am Gewinn der übrigen Anwälte, die noch nicht den Partner-Status haben.

Eigene Kultur in den Grosskanzleien

Bei jährlicher Vollauslastung können Schweizer Wirtschafts-Top-Anwälte damit auf ein jährliches Einkommen von 2 Millionen Franken oder darüber kommen. Damit verdienen sie oft mehr als ihre wichtigsten Ansprechpartner auf Kundenseite, die Firmenchefs und VR-Präsidenten.

Das wirkt wie ein Magnet auf die Top-Leute der juristischen Fakultäten. Baker & McKenzie, ein weltweites Netzwerk lokaler Anwaltskanzleien mit Ursprung in Chicago und Rechtskleid eines Schweizer Vereins, positioniert sich im «War for Talent» mit vordefiniertem Karriereplan. Nach vier Jahren erhält ein Anwalt von den Partnern Bescheid, ob er den Sprung ins oberste Gremium schaffen dürfte. Wenn nicht, so Baker-Mann Schenker, erfolge meist die Trennung. «Up or out» heisst das bei McKinsey. Dies gilt offenbar auch bei den grossen Wirtschaftskanzleien.

Was für viele darwinistisch klingt, hat sich laut Schenker bewährt. «Unser Vorteil ist die Kultur: Jeder weiss von Beginn weg genau, wie sein Karriereweg und die Verdienstmöglichkeiten aussehen», sagt der Zürcher. Am Montag haben Schenker und sein Baker-Team in Zürich den halben Seminartag «Wachstum durch M&A-Transaktionen – rechtliche und steuerliche Aspekte» durchgeführt. Rund 250 Leute, darunter Treuhänder, Banker, Berater, Kleinunternehmer und Steuerexperten, folgten den Ausführungen der Baker-Spezialisten. Solche Gratis-Events bringen Bekanntheit und neue Kunden, als Geschenk erhalten die Gäste einen dicken Wälzer aus der Feder von Urs Schenker, den der Workaholic zusätzlich zu seinen 2000 Beratungsstunden noch schreibt.

Trotz ihrer Macht stehen die Grosskanzleien im Wettbewerb mit einer ganz anderen Kategorie von Kanzleien. Die Rede ist von kleinen Boutiquen, deren Renommee vom jeweiligen Gründer und Aushängeschild herrührt. Neben dem Basler Böckli zählen die Zürcher Peter Forstmoser, Hans Caspar von der Crone und Peter Nobel zu dieser Kategorie. Ihr grosser Vorteil ist die Vernetzung in der universitären Welt. «Da genügt meistens ein Telefonanruf, um rasch an wertvolle Informationen heranzukommen», sagt Nobel (siehe «Nachgefragt»).

Eine vielversprechende Zukunft haben beide, die grosse Wirtschaftskanzlei und die kleine Boutique mit ihrem bekannten Kopf. «Die Schweiz», sagt Rolf Watter, «ist ein spannender Platz, mit vielen Multis, einer kompetitiven Börse, guter Infrastruktur und hervorragend ausgebildeten Juristen.»

Stundenansätze von bis zu 1000 Franken

In der Schweiz gibt es über 8400 Anwälte – Tendenz steigend. In den letzten zehn Jahren lagen die jährlichen Zuwachsraten zwischen 2,6 und 4,3 Prozent. Vor allem die Wirtschaftskanzleien können optimistisch in die Zukunft blicken. Ob Hochkonjunktur oder Krise – für sie gibt es immer viel zu tun. Waren es in den fetten Jahren vor allem Übernahme- und Fusionsaufträge, so brachten in der Krise Konkurs- und Schadenersatzfälle gutes Geld. Entsprechend diesem Zyklus sind die meisten Kanzleien breit aufgestellt, um die Abhängigkeit zu reduzieren.

Die Anwaltsbranche blüht. Sie besteht aus Kleinstkanzleien mit einem oder zwei Juristen bis zu weltweit tätigen Wirtschafts-Partnerschaften mit über 100 spezialisierten Anwälten. Die Grösse hängt vor allem vom Fachgebiet und von der damit verknüpften Aufgabenstellung ab. So sind Strafverteidiger im Auftrag eines vom Staat angeklagten Individuums typischerweise Einzelkämpfer, während viele Wirtschaftskanzleien die kritische Grösse nach oben treiben, um fit zu bleiben für Aufträge von globalen Konzernen. Ebenfalls beliebt unter Wirtschaftskanzleien ist das Modell der Boutique, bei dem einer oder zwei Anwälte dank Bekanntheit und Können mit den Grossen in Einzelgebieten mithalten können. Aushängeschilder sind Bankenexperte Peter Nobel (siehe Interview), die Aktienrechtler Peter Forstmoser und Peter Böckli und der Zürcher Universitätsprofessor Hans Caspar von der Crone.

Der typische Stundenansatz von Anwälten von 200 bis 300 Franken kann bei Partnern renommierter Wirtschaftskanzleien auf bis 1000 Franken steigen. Pro Jahr liegen so über 2 Millionen Jahreseinkommen drin. Die stolzen Saläre und vielseitigen Aufgaben ziehen die Top-Absolventen der Unis an. Sie werden von den grossen Wirtschaftskanzleien umworben. Der Einstieg erfolgt als Substitut und mit einem Lohn von bis zu 100 000 Franken. Nach bestandener Anwaltsprüfung steigt der Lohn schnell auf 200 000 Franken und mehr. Bei einer guten Leistung wird ein Mitarbeiter nach ein paar Jahren Partner der Kanzlei. Dann hat er finanziell ausgesorgt.
«Gut gelöste Rechtsfälle sind wie ein Klavierkonzert»

Der Zürcher Wirtschaftsanwalt Peter Nobel über seine Boutique- Kanzlei, die Grossen der Branche und seine Karriere.
Warum machten Sie aus Ihrem Anwaltsbüro nie eine Wirtschaftsgrosskanzlei?

Peter Nobel: Weil ich einen relativ individualistischen Boutique-Ansatz verfolge. Zweimal hatte ich die Chance zum grossen Sprung, beide Male lehnte ich ab. Mir gefällt das Zweigleisige, mit viel Lehre an der Uni und meiner Anwaltstätigkeit.

Warum sträuben Sie sich gegen Grösse?

Nobel: Die grossen Wirtschaftskanzleien sind hochspezialisierte Apparate mit viel Bürokratie. Interne Konflikte zwischen den Partnern sind programmiert, das ist fast eine naturgesetzliche Entwicklung. Ich baute mir hingegen eine schlanke Bürostruktur auf, die zu meinen Mandaten passte, und nutze mein Uni-Netzwerk mit Professoren rund um den Globus. Da genügt ein Telefonanruf, um rasch an wertvolle Informationen heranzukommen.

Ohne Sie hat Ihre Kanzlei keine Zukunft.

Nobel: Nicht unbedingt. Erstens bin ich noch nicht tot, zweitens konnten sich bei mir gute Leute entwickeln. In veränderter Form könnten sie die Kanzlei weiterführen. Vor allem auch Frauen sind bei uns top, die machen immer etwa die Hälfte der Belegschaft aus. In letzter Zeit schnappten mir die CS, die Zürich, die Börse und die Beraterin Accenture Gute weg.

Was zeichnet Anwältinnen aus?

Nobel: Sie verbessern das Klima. Bei ihnen geht es um die Sache, nicht um die Karriere und andere Interna. Sie sind auf die Klienten fokussiert, nicht auf sich.

Wie kommt Ihre Kanzlei an grosse, spannende und einträgliche Fälle ran?

Nobel: Die Grossen sind meine Freunde und Auftraggeber für Gutachten, Schiedsgerichte, Second Opinions etc. Daneben spielen halt die Beziehungen. Ein Chef oder VR-Präsident mit Bedarf nach Rechtsberatung sucht nicht in erster Linie ein grosses Büro, sondern einen Anwalt, der ihm auf gleicher Augenhöhe begegnet. Klar, wenn eine Due Diligence einer komplexen Firma innert weniger Tage nötig ist, kommen dafür nur Kanzleien mit entsprechender Manpower in Frage. Aber auch bei den Grossen wird jede Einzelfrage von wenigen Leuten beantwortet.

Was braucht es für eine grosse Anwalts-karriere, wie Sie sie gemacht haben?

Nobel: Leidenschaft und Glück. Sie müssen sich intensiv mit der Materie beschäftigen, dann erkennen Sie, dass das Recht nicht etwas Trockenes ist, sondern einen hochgradig gestalterischen und flexiblen Umgang zulässt. Spannende, gut gelöste Rechtsfälle sind wie ein Klavierkonzert: Sie sind in sich stimmig. Um an diesen Punkt zu gelangen, braucht es neben Können viel Einsatz. Man muss publizieren, auftreten, sich einen Namen machen.

Und wo hatten Sie Glück?

Nobel: Ich hatte drei grosse Förderer. Der erste war Arthur Meier-Hayoz. Ich weiss noch genau, wie er mich, einen Absolventen von Sankt-Gallen, zu seinem Assistenten an der Uni Zürich machte. «Wollen Sie zu mir kommen?», fragte er nach einem Seminar in Einsiedeln. Der zweite war Leo Schürmann. Der liebte mich heiss. Schürmann war nicht nur SNB- und SRG-Direktor, sondern auch Rechtsprofessor in Freiburg. Und schliesslich spielte Heinrich Oswald von Ringier eine entscheidende Rolle für meine Selbstständigkeit. Als ich das Medienunternehmen verliess, um meine eigene Kanzlei aufzubauen, sagte er mir zum Abschied: «Ich verspreche Ihnen alle unsere Rechtsaufträge, solange ich am Ruder bin.»

Kommentar

  1. „Mein Plan ist es, mich zu beeilen, vergangen zu sein.“ – Letzte Worte, 3. September 1658


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