Geister der Vergangenheit

Neue Dokumente zeigen: Die UBS-Spitze unter Marcel Ospel schlug frühe Warnungen vor Problemen im USA-Geschäft in den Wind. Handelszeitung, 17. März 2011

Plötzlich stand A.S.* auf der Strasse. Der frühere Chef der Vermögensverwaltung Nord- und Südamerika der UBS war 2001 durch Martin Liechti ersetzt worden. Der Newcomer war Ziehsohn von Georges Gagnebin, dem damals obersten Private Banker der UBS. Für A.S. ging es bei seiner Absetzung um Mobbing, für die Schweizer Grossbank war es eine «einvernehmliche» Trennung.

Heute fordert A.S. die Spitzen der neuen UBS und des Finanzplatzes heraus – aus Enttäuschung über seinen Fall und als Staatsbürger, wie er selbst sagt. Er sei überzeugt, dass ein echter Neuanfang der Branche nur mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit zu erreichen sei. Als Topmann der damaligen UBS kennt er den Ursprung des Steuerstreits mit den USA aus dem Effeff. Er ist der erste hochrangige UBS-Kadermann, der interne Unterlagen offenlegt und so die Ex-Verantwortlichen bedrängt. Deren Beschlüsse führten später zum Ende des Bankgeheimnisses.

Die neuen Dokumente belegen, dass sich die obersten Chargen der UBS bereits Ende der 1990er-Jahre intensiv mit den Risiken und Chancen im Offshore-Geschäft auf dem amerikanischen Kontinent beschäftigten. Sie stellten fundamentale Weichen hin zu mehr Onshore-Präsenz, indem eigene Ableger mit den nötigen Lizenzen angestrebt wurden. Doch ausgerechnet im juristisch besonders heissen US-Markt schoben die obersten UBS-Private-Banker das auf die lange Bank. A.S. hatte damals vorgeschlagen, auch in den USA vorsichtiger zu werden.

Gehrig und Villiger winken ab

Mit den Dokumenten klopfte A.S. bei der heutigen UBS-Führung, der Bankenaufsicht Finma und den Zürcher Strafbehörden an. Sie empfingen ihn freundlich und schauten sich die Unterlagen an. Passiert ist nichts.

A.S. kontaktierte Ende 2008 Bruno Gehrig, damals frisch gewählter UBS-Verwaltungsrat und ein Bekannter aus gemeinsamen UBS-Tagen. Es kam zu regem Austausch. «Deine Bemühungen finde ich sehr gut», liess Gehrig im April 2010 A.S. per Mail wissen. «Im Wealth Management sind einige gravierende Schritte notwendig!» Gehrig wollte sich nicht selber um die Aufarbeitung kümmern, sondern schickte seinen alten Kollegen auf Empfehlung von Bankpräsident Kaspar Villiger zum obersten UBS-Juristen.

Auf Anfrage wollte Gehrig keine Stellung beziehen. «Da fragen Sie doch am besten die UBS selbst. Ich bin da nicht zureichend informiert», antwortet er der «Handelszeitung». Die UBS-Pressestelle, die bereits zuvor kontaktiert worden war, liess bis Redaktionsschluss nichts von sich hören. Auch der ebenfalls ins Bild gesetzte oberste Rechtsverantwortliche wollte sich nicht zum Thema äussern.

Die Rede ist von Markus Diethelm. Er ist jener oberste Jurist der neuen Leitung der UBS, der die Lösung im Steuerbetrugsfall in den USA handhabte und vor zwei Jahren mit den US-Behörden einen Deal über ein Schuldeingeständnis und eine Rekordbusse von 780 Millionen Dollar aushandelte. Diethelm ist Mitglied der obersten Führung. Er empfing A.S. letzten Mai am Hauptsitz an der Bahnhofstrasse. A.S. zeigte Diethelm Unterlagen, es kam zu Korrespondenz. Das Resultat: keines. Am 11. Januar dieses Jahres teilte Diethelm dem Ex-UBS-Manager mit, dass die Bank auf dessen Forderungen nach Schadenersatz für das Mobbing vor einem Jahrzehnt nicht eingehen könne. An der Sache würden die neuen Informationen von A.S. nichts ändern, sagte Diethelm freundlich. «Wir teilen die Meinung der Strafverfolgungsbehörden, dass keine genügenden Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegen, selbst unter Berücksichtigung der von Ihnen behaupteten Tatsachen», lautete Diethelms Verdikt.

A.S. verschaffte seiner Enttäuschung Luft und schickte zwei Tage später ein Mail an Diethelm mit Kopien an Konzernchef Oswald Grübel und Präsident Kaspar Villiger: «Es ist beeindruckend mitzuerleben, wie viele Chancen Sie und Ihre Vorgänger seit 2008 ausgelassen haben, das Offshore-Debakel korrekt zu verarbeiten», schrieb er. Und weiter: Es sei verletzend, die «Darstellungen als Behauptungen abzutun».

Begonnen hat die Geschichte am 15. September 1998. A.S. zeichnete in einem Memorandum an seinen Vorgesetzten, ihm unterstellte Kaderleute sowie weitere hohe UBS-Chefs aus anderen Bereichen ein Bild der zukünftigen Offshore-Vermögensverwaltungsstrategie für Nord- und Südamerika. «Striktes, buchstabengetreues Einhalten der regulatorischen Einschränkungen ist die einzige Option», schrieb er. Selbst mit diesen Einschränkungen gebe es immer noch «unzählige Gelegenheiten» für die UBS. Die Grossbank war damals die weltgrösste Vermögensverwalterin und wollte ihre Stellung mittels einer Wachstumsstrategie zementieren und ausbauen.

A.S. machte in seinem Dokument vom Herbst 1998 deutlich, dass einzig eine Null-Toleranz-Politik akzeptabel sei. «Sofortmassnahme: Die ‹Job-Beschreibungen› müssen den regulatorischen Vorgaben nach erarbeitet und an sie angepasst werden», hielt er fest. «Kundenberater sind keine ‹wandelnden Treuhänder›!» Damit spielte er auf die Möglichkeit an, dass Offshore-Banker aus der Schweiz heraus ausländische Kunden bei einem Besuch in deren Heimat Verträge unterzeichnen liessen. Das war illegal, da diese Kundenberater nicht über die nötigen Lizenzen verfügten. «Wo liegt das Gleichgewicht zwischen akzeptierbarem Risiko für die Bank und herausragender Betreuung der Kunden?», brachte A.S. die Kernproblematik des gesamten Offshore-Geschäfts schon 1998 auf den Punkt.

Zwei Optionen für die Zukunft

In einem weiteren Memo vom 4. März 1999, das wiederum an den direkten Vorgesetzten und ausgewählte Kaderleute und Mitarbeiter seines Bereichs ging, verfeinerte A.S. den Businessplan für Nord- und Südamerika. Das Papier fokussierte auf Lateinamerika mit einer Umwandlung von Repräsentanzen in echte Beratungszentren, um steuerlich motivierte Vermögende «innerhalb der regulatorischen Grenzen» bedienen zu können. A.S. skizzierte zwei Optionen. Die erste umfasste die Produkte- und Beratungspalette, wie sie Bankkonkurrenten vor Ort offerieren konnten; die zweite beschränkte sich auf das traditionelle internationale Private Banking. Dieses lebte hauptsächlich von unversteuerten Vermögen. Unter Punkt «4.2. U.S.A. / Kanada International» hielt A.S. fest, dass das Wachstumspotenzial der UBS «direkt vom Zugang zu inländisch vergleichbaren Dienstleistungen» abhänge, während «Option 2 zunehmend schwieriger würde und damit die von der Bank geforderten Wachstumsziele nicht zu erreichen» seien.

Dass die Offshore-Strategie mit Kundenbesuchen aus der Schweiz heraus zu riskant würde, kam auch bei einem «Truppenbesuch» des obersten Chefs der Bank zum Ausdruck. Mit Blick auf den bevorstehenden Anlass mit Marcel Ospel vom 14. April 1999 im vierten Stock des UBS-Hauptsitzes schickte A.S. dem Konzernchef, allen Teilnehmern und weiteren Kaderleuten ein Memo mit den wichtigsten Details. Unter «Gefahren» stand «zunehmend mächtige Regulierung (neue Steuervorschriften IRS 2000)». Gemeint waren die Regeln der US-Steuerbehörde IRS für Qualified Intermediaries – Finanzinstitute, die im US-Finanzmarkt aktiv sein wollten und neue Offenlegungsvorschriften akzeptieren mussten. Die systematische Verletzung dieser Regeln führten Anfang 2009 zum Schuldeingeständnis der UBS.

Zusätzlich monierte A.S. «Lücken im IT-Support». Wie er in einem späteren Memo festhielt, fehlten «die nötigen Werkzeuge für eine Strategie, um steuerlich transparente Offshore-Kapitalflüsse zu fördern». Der erfolgversprechende Weg führe unter anderem über die «Registrierung unserer Kundenberater in den USA/Kanada». Ein solcher Schritt, der das spätere Debakel verhindert hätte.

Im Frühherbst 1999 stand das «Executive Summary» von A.S. für die Offshore-Klientel in Nord- und Südamerika. Es war Teil des «Business Plan 2000–2002». Das Dokument schickte er an seinen direkten Vorgesetzten Carlo Grigioni aus der obersten Private-Banking-Leitung sowie an weitere Entscheidungsträger. Mit Bleistift sind entscheidende Massnahmen, die eine Beschränkung des Offshoregeschäfts für USA/Kanada betreffen, in Klammern gesetzt oder durchgestrichen. Laut A.S. stammen die Korrekturen von Grigioni.

In Klammern gesetzt ist etwa die folgende Forderung von A.S.: «Das Anbieten von US-Crossborder-Services muss überprüft und den Anforderungen des Markts und des Regulators angepasst werden.» Durchgestrichen ist der Aufruf von A.S. nach «erfolgreichen Alternativ-Diensten/Produkten» mit Blick auf die anstehenden Verschärfungen der IRS. Grigioni, der heute für die UBS in Singapur tätig ist, war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Behörden handeln nicht

Die Dokumente sind Beleg dafür, dass die oberste Führung des Private Banking der UBS Ende 1999 die Gefahren des US-Offshore-Geschäfts kannte. Der weitere Verlauf der Geschichte legt nahe, dass höchste UBS-Manager diese Warnungen zu wenig ernst nahmen.

Auch die Finanzmarktaufsicht sah keinen Handlungsbedarf. «Mit Bezug auf die Verantwortlichkeit einzelner Individuen müsste man diesen nachweisen können, dass sie davon gewusst hätten, dass die UBS aktiv US-Personen bei der Errichtung von Scheingesellschaften behilflich war», hält sie in einer Notiz zum Gespräch mit A.S. im Mai 2010 fest. «Über Belege, die Letzteres nachweisen, verfügt AS nicht.» Auf Fragen der «Handelszeitung» reagierte die Behörde nicht.

Bereits am 11. April hatte der Chef der Zürcher Wirtschafts-Staatsanwaltschaft sein Urteil gefällt. «Soweit Ihre Sachverhaltsdarstellungen für die genannte Thematik und verwandte Fragestellungen von Bedeutung sind, waren sie uns bereits weitestgehend bekannt», schrieb Peter Pellegrini. «Entsprechend fanden sie Eingang in unseren Entscheid, kein Strafverfahren einzuleiten.» Auch die Staatsanwaltschaft reagierte auf Anfragen nicht.

* Name der Redaktion bekannt

Vom Mauerfall zur Kapitulation

Die UBS-Steueraffäre war der Anfang vom Ende des Bankgeheimnisses – und damit auch eines lange Zeit für unzerstörbar gehaltenen Geschäftsmodells mit lukrativen Margen. Ohne den Fall UBS hätten die USA die Schweiz nicht derart bedrängen können und auch die neue Offensive gegen die CS und andere Banken wäre kaum möglich.

In der Chronologie sticht der Tag heraus, an dem die Schweiz rund 250 Datensätze von amerikanischen UBS-Kunden mit unversteuerten Vermögen und speziellen Steuer-Finanzkonstrukten den US-Straf- und -Steuerbehörden auslieferte. Die Schweiz erlebte ihren Mauerfall. Drei Wochen später musste der Bundesrat den weltweiten Standard bei der Steuerfahndung schlucken. Die helvetische Unterscheidung zwischen Kavaliersdelikt Steuerhinterziehung und schwerem Steuerbetrug war Geschichte.

Ein halbes Jahr später machte die Schweiz aus 4500 langjährigen UBS-Kunden schwere US-Steuersünder. Die Absicht dahinter: Ein dauerhaftes «Friedensabkommen» (Micheline Calmy-Rey) mit den USA. Der Vertragspassus, der ähnliche Betrugssysteme wie bei der UBS von diesem Stillhalteabkommen ausschloss, wurde kleingeredet. Nun zeigt sich, dass die USA bereits die CS und weitere Banken ins Visier nehmen.


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