Der Ingenieur

Wenn die Schweiz nicht mehr weiter weiss, schickt sie Michael Ambühl an die Verhandlungsfront. Das Magazin, 8. Januar 2011

Im Frühsommer 2009 drohten die USA mit einer Klage gegen die UBS, falls die Schweizer Bank nicht unverzüglich die Namen von 50 000 mutmasslichen amerikanischen Steuersündern offenlege. Das bedeutete höchste Alarmstufe in der Schweiz. Der Bundesrat hielt dagegen und wollte die geforderten Daten notfalls per «Blocking Order» vor dem US-Zugriff schützen, das heisst, der UBS verbieten, die Daten herauszugeben.

Jetzt war Michael Ambühl gefragt. Wieder einmal. Ambühl, damals noch Staatssekretär im Aussenministerium, sowie Michael Leupold, Direktor des Bundesamtes für Justiz, liefen am 22. Juni 2009 mehr oder weniger ungebeten ins Washingtoner Büro von Linda Stiff, der Nummer zwei des US-Steueramts. Ambühl überzeugte Linda Stiff, dass es für beide Parteien besser wäre zu verhandeln, statt zu streiten. Sieben Wochen später war der Konflikt beendet. Anstatt 50 000 Namen musste die Schweiz nur ein Zehntel davon offenlegen. Das war zwar immer noch eine Verletzung des Bankgeheimnisses, aber gleichwohl wurde Ambühls Vertrag als Schadensbegrenzung gewürdigt.

Schon bei den jahrelangen bilateralen Verhandlungen mit der Europäischen Union hatte Ambühl schwierige Situationen gemeistert, und in den vergangenen Monaten fand er mit Deutschland einen Kompromiss zum Thema Schwarzgeld auf Schweizer Bankkonten, auch wenn er die Details dazu noch mit den Deutschen wird aushandeln müssen.

In den letzten Jahren ist Michael Ambühl zum diplomatischen Krisenmanager und Chefunterhändler geworden, der für das Land die Kohlen aus dem Feuer holt. Was in den Kulissen läuft, wird hingegen kaum je publik, abgesehen von einzelnen Anekdoten wie jenem SMS seiner damaligen Chefin, Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, die ihm die Aufforderung «Ne lachez pas!» in die Schlussverhandlung nach Washington geschickt hatte, «Geben Sie nicht nach!».

Wer ist dieser Mann, der als unerschrockener Verhandler gilt? Ist der 59-jährige Chefbeamte tatsächlich so hartnäckig und smart, wie ihn der Bundesrat und auch die meisten Medien darstellen?

Ambühls Deals werden selten kritisch hinterfragt. Welche Konzessionen er für einen schnellen Abschluss macht und was seine Verträge für das Land wirklich bedeuten, geht meistens unter in der magistralen und medialen Erleichterung darüber, dass er die Schweiz wieder aus schwerer Notlage befreit hat. Dass der Bundesrat im März 2010 ein Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen, kurz SIF, geschaffen hat, war eine direkte Konsequenz aus diesen Notlagen. Und dass das SIF an der Spitze mit dem erfahrenen Verhandlungsführer Ambühl besetzt wurde, erschien folgerichtig.

In Ambühls mittelgrossem Büro im Bernerhof, dem Sitz des Finanzdepartements, steht ein abgewinkelter Arbeitstisch, Stil USM Haller, darauf zwei Bildschirme und ein Foto seines Sohnes in jungen Jahren an einem Laufwettbewerb. Kaum Papier. Eine Flasche russischer Likör am Rand des Pultes. Er will sie öffnen, sagt Ambühl, wenn das Deutschland-Abkommen definitiv steht.

Ambühl, eins achtzig gross, wirkt asketisch und sehr alert. Vor dem Gespräch liest er mit hellem Blick hinter randlosen Brillengläsern eine Nachricht auf seinem Klapp-Nokia, entschuldigt sich, eilt hinaus, kommt nach ein paar Minuten zurück, worauf sein Handy erneut vibriert und er die nächste Mitteilung liest. Worum es geht, verrät er nicht. Doch es herrscht Hektik im Staatssekretariat, am frühen Morgen berichtete Radio DRS an erster Stelle, dass der St. Galler Ständerat Eugen David das Kleingedruckte des Deals mit den Deutschen publik gemacht hatte. Demnach müssen die Schweizer Banken dem EU-Ausland eine minimale Abgeltungssumme auf unversteuerte Vermögen garantieren, damit sie einen Anreiz haben, ihren Schwarzgeld-Kunden nicht dabei zu helfen, in letzter Minute das hinterzogene Geld aus dem Land zu schaffen.

Auf die Frage, was das Besondere an seinem Job sei, sagt Ambühl: «Ein interessantes Problem im Sinne der Auftraggeber zu lösen, das reizt mich.» Es folgen lange Ausführungen zur Mediation im Armenien-Türkei-Konflikt, wo er peinlichst genau darauf geachtet habe, wem er zuerst das Wort erteilte. Hingegen gehe es bei den Verhandlungen mit Deutschland um reine Interessenpolitik. «Ist es nicht wie im Sport spannender, wenn das eigene Team gegen einen starken Gegner antreten muss? Wenn man merkt, hier steht Bedeutendes auf dem Spiel, und man spürt, dass man auch einen Beitrag leisten kann, dann legt man sich ganz anders ins Zeug.»

Echte Neugier

Ambühl, 1951 zur Welt gekommen, ist in Bern in einer Familie aufgewachsen, die mit Bundespolitik und -verwaltung vertraut war. Einer seiner Cousins machte Karriere im Aussendepartement; ein Onkel Ambühls, der Freisinnige Berner Hans Schaffner, war in den Sechzigerjahren gar Bundesrat gewesen. Nach der Matura studierte der junge Ambühl an der ETH Zürich Maschinenbau. Statt danach in die Wirtschaft zu gehen oder eine Dissertation anzupacken, wechselte er die Disziplin und heuerte als Assistent am Institut Operations Research der Universität Zürich an, das mit den Mitteln der Mathematik versuchte, Lösungen für die damals aufstrebende Informatik zu finden.

Institutsleiter war Professor Peter Kall, er wurde Ambühls Doktorvater. «In der Wissenschaft begegnet man oft Strebern mit unbändigem, manchmal auch skrupellosem Drang nach oben», sagt er. «So einer war Ambühl nie, bei ihm stand die Neugier im Zentrum, die Lust, sich in neue Themen einzuarbeiten. Mit welchem Engagement er dies tat und wie schnell er die Materie beherrschte, das war für mich beeindruckend.»

An Kalls Institut lernt Ambühl seine Frau kennen. Die ambitionierte Wissenschaftlerin spezialisierte sich auf Internetkriminalität. Dann kehrt Michael Ambühl nach Bern zurück, wo er als 31-Jähriger im EDA anheuert und gleich in den Kongo geschickt wird. Derweil jettet seine Partnerin im Auftrag von Schweizer Multis um den Globus, um dank ihren IT-Kenntnissen konzerninterne Betrüger zu überführen. Ambühls nächste Stationen sind Einsätze in der Berner Zentrale und auf der Wirtschaftsabteilung in Delhi. Das Paar heiratet und bekommt einen Sohn.

Die entscheidende Weichenstellung erfolgte 1992 mit dem Wechsel in die EU-Mission in Brüssel. Von da an war Michael Ambühl kein klassischer Diplomat mehr, sondern ein Verhandlungsführer. Er wurde Mitglied der Delegation für die ersten bilateralen Verträge mit der EU unter Jakob Kellenberger, dem heutigen IKRK-Präsidenten. 1999 folgte die Beförderung zum Chef des Integrationsbüros in Brüssel, 2001 übernahm er die Leitung der Verhandlungen für die Bilateralen II.

Der frühere Preisüberwacher Rudolf Strahm, damals SP-Nationalrat, erlebte Ambühl Ende der Neunzigerjahre aus nächster Nähe. Im Transitabkommen um die EU-40-Tönner seien die Fronten völlig verhärtet gewesen, erinnert sich der langjährige Berner Parlamentarier. «In dieser für die Schweiz ausweglos scheinenden Lage lief Ambühl zur Hochform auf. Er verhandelte mit Brüssel knallhart und schaffte es mit dem richtigen Mix aus Sturheit und Flexibilität, dass die Union auf die schweizerische Schwerverkehrsabgabe einschwenkte.»

Wenn sich das Gespräch um die Kunst des Verhandelns dreht, blüht Ambühl auf. Zuvor liess er alle Versuche, etwas über die aktuellen Gespräche mit Deutschland über das Bankgeheimnis zu erfahren, ins Leere laufen. «Wenn es schliesslich auf Ministerebene um die entscheidenden Zahlen geht, sind das ‹Controlled Negotiations›», schwärmt er. «Abgesteckter Rahmen, Ordnung ins Chaos gebracht, jetzt fehlt noch der entscheidende Durchbruch. Dann braucht es einen guten Riecher» er reibt die Finger und zieht laut die Luft durch die Nase , «wo die Schmerzgrenze des Gegenspielers liegen könnte. Da kommt dann das ganze Repertoire zum Einsatz, mit Auszeiten, Besprechungen im kleinsten Kreis, Rücksprachen mit der Zentrale und so weiter.»

Ambühls Leidenschaft ist nicht gespielt. Ein EDA-Mann, der ihn gut kennt, lobt dessen Hartnäckigkeit, gepaart mit einem ausgeprägten Sinn für Logik. Die Schattenseite dieses kaltblütigen Verhandlers sei aber der Zwang, jedes noch so kleine Detail kontrollieren zu wollen, sagt der Beamte, der nur anonym Auskunft geben will. «Ambühl ist extrem ehrgeizig, ungeduldig und kontrollsüchtig», sagt er. «Das treibt viele gute Leute in die Flucht.» In seiner Zeit als Staatssekretär, in dessen Funktion er allen Botschaftern und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) vorstand, habe sich Ambühl als jemand entpuppt, der kaum Freiräume zuliess.

Andere Gesprächspartner, die Ambühl aus der Position des Unterstellten erleben, zeichnen das Bild eines Workaholics, der nie ruht und keine anderen Interessen pflegt. «Manchmal meldet er sich ab, doch dann treffen wir ihn trotzdem am nächsten Morgen früh im Büro an», sagt ein enger Mitarbeiter. Wenn er schliesslich doch einmal nach Adelboden ins Berner Oberland verreist, wo er ein Ferienhaus besitzt und wandern geht, könne man Gift darauf nehmen, dass der Chef vorzeitig zurückkehre. Vollen Einsatz verlangt Ambühl von seinen Leuten im Team und geht ihnen zuweilen auf die Nerven mit seiner Ungeduld. «Manchmal stürmt er ins Büro und sagt, er brauche dies und dies, und zwar sofort», berichtet der Mitarbeiter. «Keine fünf Minuten später steht er erneut vor einem und fragt: ‹Und, erledigt?›»
Der Befehlsstil des Chefs führt zu Management by SMS. Während unseres Gespräch erhält er mehrere Handy-Meldungen. «Das muss ich schnell nehmen», sagt Ambühl einmal und macht sich eine Notiz auf ein Post-it-Zettelchen. Wichtige Botschaften beantwortet er sofort. Für seine Mitarbeiter bedeutet dies, jederzeit auf Empfang zu sein. «Er hasst es, wenn man auf seine Textnachrichten nicht gleich reagiert. Dann meint er ätzend: Wieder einer, der nicht im Natel-Kurs war.»

Der Rund-um-die-Uhr-Einsatz bei den Bilateralen I Ende der Neunzigerjahre machte sich für den Unterhändler des Verkehrsdossiers bezahlt. Ambühl wurde der Chefposten des Integrationsbüros anvertraut, in dieser Funktion wurde er Leiter der Bilateralen II. Nun koordinierte er die Arbeiten seiner Kollegen. Und hier ist es umstritten, ob Ambühls Ruf als hervorragender Verhandler tatsächlich gerechtfertigt ist.

Anfänglich stand bei den Bilateralen II das Bankgeheimnis im Fokus. Auf Druck der EU akzeptierte die Schweiz im Frühling 2003 die Zinsbesteuerung und erhielt als Gegenleistung die EU-interne Regelung bei grenzüberschreitenden Dividenden- und Lizenzzahlungen innerhalb von Konzernen zugestanden. Den Unterhändlern des Finanzdepartements schien das kein schlechter Deal zu sein. Doch die EDA-Diplomaten unter Führung des damaligen Staatssekretärs und Ambühl-Vorgängers Franz von Däniken wollten mehr. Sie betrachteten die Zinsbesteuerung als grosses Schweizer Entgegenkommen und pochten entsprechend auf mehr Entschädigung. Das setzte ein kompliziertes Räderwerk in Gang, das die Schweiz aus der angenehmen Position eines abwartenden Spielers in die nachteilige eines «Demandeurs» versetzte, also eines Spielers, der vom Gegenüber etwas wollte. Ausgetragen wurde das Gezerre in den Schengen/Dublin-Abkommen, die das EDA unbedingt übernehmen wollte. Doch weil der Schweiz damit der automatische Nachvollzug von EU-Gesetzesausweitungen drohte, hätten in Zukunft Bank-Kundendaten möglicherweise nicht mehr nur bei Betrug offengelegt werden müssen, sondern auch bei Steuerhinterziehung. Das Bankgeheimnis war also durch Schengen/Dublin in Gefahr geraten.

Einen Fuss im Heiligtum

Erst mehr als ein Jahr später, im Juni 2004, kam es zum Durchbruch. Die EU gestand der Schweiz ein sogenanntes Opting-out zu. Ihr wurde zugebilligt, nicht gleich die ganzen bilateralen Verträge kündigen zu müssen, wenn sie die Weiterentwicklung von EU-Recht im Bereich der direkten Steuern dereinst nicht nachvollziehen wollte. Das Bankgeheimnis blieb damit offiziell gewahrt. Doch das Entgegenkommen der Union hatte seinen Preis. Just das heilige Prinzip der doppelten Strafbarkeit bei den Steuern, wonach nur jene Delikte nicht durch das Bankgeheimnis geschützt waren, die auch in der Schweiz zur Daten-Offenlegung führten, wurde bei den indirekten Steuern und den Zöllen verletzt. Dort verpflichtete sich die Schweiz erstmals zu Auskünften gegenüber der EU auch bei reiner Hinterziehung.

Der Bundesrat und sein Chefunterhändler Michael Ambühl feierten das Ergebnis als Erfolg. Besonders strichen sie hervor, dass das Bankgeheimnis nun in einem Staatsvertrag festgehalten sei. Dabei war das Bankgeheimnis jetzt geritzt, die EU hatte einen Fuss in diese heilige helvetische Zone gestellt. Das war brisant, aber in der breiten Öffentlichkeit wurde es kaum bemerkt. Bern und dem Bankenplatz gelang es, durch eine PR-Offensive den Eindruck zu erwecken, man habe den automatischen Informationsaustausch erfolgreich abgewehrt.

Was niemand an die grosse Glocke hängte: Ein solcher stand gar nicht zur Debatte. «2003 und 2004, als wir die Zinsbesteuerung mit der EU aushandelten, war der automatische Informationsaustausch keine Forderung der EU», sagt heute Robert Waldburger, als Chef Internationales bei der Steuerverwaltung in jener Zeit zuständig für diesen Teil der Bilateralen. «Er kam zwar an einer Sitzung am Rande zur Sprache, doch ernsthaft gefordert haben ihn die EU-Vertreter damals nicht.»

Den Weg zum Deal unter diesen Vorzeichen hatte unfreiwillig Kaspar Villiger mit seinem Rücktritt ermöglicht. Der damalige Finanzminister habe sich in seiner Amtszeit erfolgreich gegen eine Aufweichung des Bankgeheimnisses gestemmt, sagt ein mit dem Dossier Vertrauter. Als nach Villigers Rücktritt Blocher und Merz in der Regierung sassen, liess insbesondere Blocher vermehrt in den heissen Europa-Dossiers innerhalb des Bundesrates abstimmen. Und plötzlich ging es schnell. Hatte Ambühl lange Zeit betont, lieber «keinen Vertrag als einen schlechten» mit der EU auszuhandeln, wie ein Berner Insider berichtet, schloss der Unterhändler nun zu den nachteiligen Konditionen ab.
Wie konnte das geschehen? Blocher, SVP-Kollege Samuel Schmid und FDP-Finanzminister Hans-Rudolf Merz waren gegen die Bilateralen II zum Preis einer Ritzung des Bankgeheimnisses. Aus damaligen Berner Insiderkreisen ist heute zu vernehmen, dass Merz in der entscheidenden Sitzung des Langen und Breiten die Hintertür-Problematik erläuterte, nur um zuletzt in einer spektakulären Volte den Bilateralen II zuzustimmen, mit der Begründung, dass er nicht das ganze Paket aufs Spiel setzen wolle. Mit dem Kippen des Finanzministers kam Ambühls Vertrag durch.

Ob Zufall oder nicht, im Jahr 2005 machte die EU-freundliche SP-Aussenministerin Calmy-Rey den parteilosen Ambühl zu ihrem Staatssekretär. Peter Hablützel, der ehemalige langjährige Personalchef des Bundes, betrachtet dies als Berner Anomalie. «Ambühl ist ein Exot unter den Diplomaten.» Von seinen 28 Jahren im EDA sei er die meiste Zeit Verhandler gewesen, zudem habe er nie eine Schweizer Botschaft im Ausland geführt. «Auch sein Werdegang ist speziell. Als begabter Ingenieur und Mathematiker versucht er, mit Rationalität die Irrationalität der Berner Politik zu bändigen. Ein interessantes Experiment mit ungewissen Erfolgsaussichten.»

Wut auf Calmy-Rey

Für Rudolf Strahm ist Ambühls Aufstieg hingegen keine Überraschung. Nicht nur Calmy-Rey habe dessen Arbeit für das EDA geschätzt, sondern der gesamte Bundesrat habe grossen Respekt vor der Leistung des Staatssekretärs. «Sie sehen in ihm den klassischen ‹Civil Servant›, den Staatsdiener, dem es nicht um die eigene Karriere geht, sondern um den Dienst am Land. So gesehen, ist Ambühl Republikaner durch und durch.»

Mit Calmy-Rey erlebte Ambühl seine schwierigste Zeit. Die Aussenministerin, die mit keinem ihrer Chefbeamten per Du ist, sei oft unberechenbar gewesen und habe sich nicht wie die Vorgänger leicht beeinflussen lassen, berichten EDA-Kaderleute. Als sich Calmy-Rey nach ihrem berüchtigten Fotoshooting im Iran, das die Schweizer Magistratin im Schleier zeigte, nicht an die mit Ambühl getroffene Abmachung gehalten habe, per sofort medial auf Tauchstation zu gehen, habe der sonst immer abgebrühte und zurückhaltende Spitzenbeamte offen seine Wut gezeigt. Kein Wunder, gibt es in Bern diverse Stimmen, die hinter Ambühls Wechsel ins Finanz-Staatssekretariat eine Flucht vor der sprunghaften Calmy-Rey sehen. Die Recherchen ergeben ein widersprüchliches Bild. Ein Kadermann berichtet von «Abnützungserscheinungen» und gutem Timing für den Wechsel ins Finanzdepartement. Dem widerspricht ein anderer EDA-Kadermann: «Calmy-Rey stärkte Ambühl immer den Rücken.» Ein Zerwürfnis habe es nicht gegeben.

Als Ambühl im vergangenen Frühling mit Deutschland eine Lösung im Schwarzgeld-Streit suchte, wurde vielerorts damit gerechnet, dass die Schweiz den automatischen EU-Informationsaustausch zu schlucken habe. Nicht so Ambühl. «Mit Diplomatic Engineering», antwortet Ambühl auf die Frage, wie er das Problem angepackt habe. Er greift sich ein leeres Papier und zeichnet drei Rechtecke. Ins erste malt er ein Wirrwarr. «Das hier ist die Realität: Chaos.» Im zweiten hat es erste Konturen. «Hier haben wir das Modell, eine Abstraktion der Realität. Der jetzige Zustand.» Das dritte füllt Ambühl mit eleganten Formen. «Zuletzt kommt die ministerielle Frage, die Nacht der langen Messer.» Und: «Während die technische Komplexität reduziert wird» Ambühl zieht einen Pfeil nach unten , «nimmt die politische Relevanz zu»; er zeichnet einen zweiten Pfeil nach oben.

Der Zürcher Finanzprofessor Martin Janssen, der mit Bankier Konrad Hummler und Christoph Ammann von der Basler Bank Sarasin inhaltlichen Input für Ambühls Strategie bei den jüngsten Verhandlungen mit Deutschland (und England) ums Schwarzgeld und die Zukunft der Schweizer Vermögensverwaltung geliefert hatte, spricht von meisterhafter Verhandlungsführung. «Erinnern wir uns an Finanzminister Steinbrück mit seiner Peitschen- und Kavallerie-Drohung», sagt Janssen. «Das liegt heute in weiter Ferne. Ich bin überzeugt, dass die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Position und das Verhandlungsgeschick von Ambühl wesentlich waren, um diese Situation grundlegend zu verändern.» Auch Jean-Daniel Gerber, zuständiger Staatssekretär für Wirtschaftsfragen (Seco), lobt ihn. «Herr Ambühl hat nach Lösungen suchen müssen, die der Quadratur des Zirkels gleichkommen. Er hat das Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben gefunden.»

Und wie geht es weiter mit Europa? Im Gespräch sagt Ambühl nicht mehr als das, was er in einem Interview im Sommer 2010 bereits in der NZZ gesagt hatte. Es war ein Loblied auf den bilateralen Weg als «gute und effiziente Lösung im Interesse der EU und der Schweiz». Der Diplomat, der das EU-Dossier kennt wie kein Zweiter, meinte weiter: «Es wird oft gesagt, dass der bilaterale Weg schwieriger geworden sei. Sicher ist, dass der bilaterale Weg noch nie einfach war und es die Mitgliedschaft wohl auch nicht wäre.» Das Problem der Weiterentwicklung in der EU wäre «wohl noch grösser, wenn wir EU-Mitglied wären».

Doch meint Ambühl wirklich, was er sagt? Oder ist sein Bekenntnis zu den Bilateralen und die damit verknüpfte Skepsis gegenüber dem EU-Beitritt nur vorgetäuscht? Ein langjähriger Berner Chefbeamter vermutet Letzteres. Der «super clevere» Profi-Verhandler Ambühl gebe doch nie Einblick in seine wahren Absichten und Ziele. «Doch Tatsache ist, dass jeder Abschluss die Schweiz näher an die EU heranführt», meint der Chefbeamte, was den Beitritt zuletzt zur besseren Option mache. «Ambühl strebt den kalten EU-Beitritt an.»

Kommentar

  1. Forschen sie mal nach Prof.Waldburger


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