Einflüsterer der Promi-Angeklagten

Kein Schweizer Strafverteidiger ist derzeit prominenter als Lorenz Erni, Verteidiger von Viktor Vekselberg. Zuvor stand er in den Diensten von Philippe Bruggisser oder Roman Polanski. Ernis grösste Stärke: Stilles und präzises Arbeiten. Handelszeitung, 29. September 2010

Wieder steht mit Ex-Swiss-Life-Finanzchef Dominique Morax in diesen Tagen ein bekannter Wirtschaftsmann vor Gerichtsschranken. Und wieder heisst der Verteidiger Lorenz Erni, 60.

Schon letzte Woche kämpfte der Zürcher für einen prominenten Wirtschaftsangeklagten. Am Bundesstrafgericht in Bellinzona erzielte Erni einen Freispruch für Viktor Vekselberg, Milliardär und Grossaktionär der Industriefirmen OC Oerlikon und Sulzer.

Gefragt, warum viele Fälle von öffentlichem Interesse bei ihm landen würden, lacht Erni. Dann meint er in hellem Zürichdeutsch mit angenehmem Bariton: «Das müssten Sie meine Klienten fragen. Aber gut, ich bin seit 30 Jahren als Strafverteidiger tätig, davon 15 mit Schwergewicht Wirtschaftsstrafverfahren. Irgendwann hat man halt einen Namen.»

Sein Name ist einer der besten. Warum Erni oft erste Wahl für beschuldigte Wirtschaftsführer ist und warum er bei deren Verteidigung grosse Erfolge erzielt, begründete «Die Zeit» in einem Porträt im Juni. «Weil keiner so hartnäckig ist wie Lorenz Erni. Weil wohl niemand so konsequent und auch sorgsam den Erfolg sucht.»Thomas Borer, Ex-Botschafter und Vekselberg-Berater, der Erni aus verschiedenen Verfahren kennt, sagt: «Staranwälte entwickeln oft einen eitlen Habitus. Nicht so Erni, der ist die Bescheidenheit in Person geblieben.» Borer kriegte Anschauungsunterricht von Ernis Methoden, als er mit diesem in den letzten Monaten den Vekselberg-Prozess vorbereitete. «Er kümmert sich um die Details, und zwar bis in die hintersten Winkel», so Borer. «Zuletzt kennt er den Fall besser als der Beschuldigte selbst.»

Erni fand Lücken im Abkommen

Bekannter Erni-Klient vor Vekselberg war der polnisch-französische Filmregisseur Roman Polanski, der in den USA vor über 30 Jahren wegen Vergewaltigung einer 13-Jährigen angeklagt worden war und flüchtete, als er eine härtere Gefängnisstrafe befürchtete als mit dem Staatsanwalt abgemacht. Nach Polanskis überraschender Verhaftung in Zürich im Spätsommer 2009 forderten die USA eine rasche Auslieferung des Filmemachers. Erni kniete sich tief ins US-Justizrecht und fand Lücken im Abkommen mit der Schweiz. Im Juli erzielte er Polanskis bedingungslose Freilassung.

Sein Erfolgsrezept? «Ich habe keines», meint Erni. Wichtig sei bei jeder Verteidigung, den Sachverhalt genau zu kennen. Dann komme die zentrale Frage: «Mit welchen Argumenten kann ich das Gericht am besten überzeugen?»
Überzeugt hat Erni die Richter im Swissair-Prozess Anfang 2007. Sein Klient war nicht Mario Corti, der grosse Sympathien in der Öffentlichkeit genoss, sondern der langjährige CEO Philippe Bruggisser, der als stur, abgehoben und als Vater des Misserfolgs galt. Erni zerpflückte die Anklage der Zürcher Staatsanwaltschaft. Diese würde Behauptungen aufstellen, die «verfehlt» seien, und Interpretationen, die «völlig falsch» wären. Typisch Erni folgten präzise Fakten zu Sitzungen der obersten Swissair-Führung und ihrer missglückten Expansionsstrategie.

Der Zürcher Strafverteidiger Thomas Fingerhuth weiss um den Respekt, den Erni in der Branche geniesst. «Wenn Erni plädiert, hören die Richter zu», sagt Fingerhuth, mit 47 Jahren ein aufstrebender Anwalt der nächsten Generation.

Die Geschichten dahinter

Nach dem Jus-Studium in Zürich, der Dissertation in Hamburg und Praktikumsjahren hatte Erni vor 30 Jahren mit einem Kollegen eine Anwaltskanzlei eröffnet. Ein bewusster Richtungsentscheid sei damals der Fokus aufs Strafrecht gewesen. «Bei Kampfscheidungen beispielsweise ist man oft hin und her gerissen. Nicht so im Strafrecht, dort ist die Rollenverteilung eindeutig: Der Staatsanwalt klagt an, der Verteidiger verteidigt», sagt Erni. Das sage ihm zu, sagt der Staranwalt und bestätigt mit dem nächsten Satz die von Dritten beschriebene Bescheidenheit: «Es mag banal klingen, aber mich haben vor allem die Geschichten hinter den Schicksalen der Angeklagten immer besonders interessiert.»


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