Dipl. Indust. Fust

Walter Fust – Der Ingenieur und einstige Küchengerätehändler wird dank seinen Beteiligungen bei Tornos und StarragHeckert zum einflussreichen Industriekapitän. Handelszeitung, 15. Dezember 2010

Es klingt nach Weihnachtsmärchen. Ein studierter Sankt-Galler Maschineningenieur baut ein Küchengeräte- und Elektronik-Ladennetz auf, kriegt ein Burnout, verkauft sein Lebenswerk, kehrt als Nothelfer zurück, verkauft das Grossunternehmen einem deutschen Financier. Kurz vor Heiligabend 2010 kehrt er fit und sprühend vor Ideen zurück auf die Wirtschaftsbühne und sorgt für Gesprächsstoff an der Börse.

Das Märchen wahr gemacht hat Walter Fust, 69, bekannt geworden unter seinem Markenzeichen «Dipl. Ing. Fust». Der Titel ist verdient, Fust hat einen ETH-Abschluss als Maschineningenieur in der Tasche (siehe Kasten). Doch wofür der Unternehmer bis anhin stand, hatte wenig mit Technologien und Ingenieurskunst zu tun, sondern basierte auf simplen Grundsätzen: Günstig einkaufen, kleine Marge draufschlagen, Umsatz bolzen.

Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit fand Fust im Pensionsalter zu seiner eigentlichen Leidenschaft zurück, der Industrie, konkret: zum traditionsreichen, spezialisierten und innovativen Werkzeugmaschinenbau der Schweiz. Ab 2008, mitten in der grossen Krise, kaufte er sukzessive Tornos-Aktien. Heute besitzt er über 15 Prozent am Unternehmen mit Sitz in Moutier im Berner Jura, das Maschinen für die Uhren- und Autoindustrie herstellt. Mit den modernen Drehbänken können die Käufer kleinste Teile wie Federn, Schrauben und Ventile in grosser Stückzahl fertigen.

So gross wie eine Turnhalle

Das ist nicht alles. Fust hält über 50 Prozent an StarragHeckert, einem Werkzeugmaschinenbauer mit Zentrale im sankt-gallischen Rorschacherberg. Dessen Produktelinie beginnt dort, wo jene von Tornos aufhört. Die grösste StarragHeckert-Maschine füllt eine ganze Turnhalle und produziert komplexe Teile aus Titan und anderen Materialien hauptsächlich für die Luft- und Raumfahrt sowie für das Militär.

Das Engagement von Fust, der gemäss «Bilanz» über 500 Millionen Franken Vermögen besitzt, löste Spekulationen über einen möglichen Schulterschluss aus. Die Titel von Tornos schossen seit Sommer um fast 50 Prozent in die Höhe, bei StarragHeckert ist es ein Plus von gegen 20 Prozent. Was hat Fust mit den Industriefirmen vor? «Tornos muss Tornos bleiben, und zwar als Schweizer Firma», antwortet Fust ist seiner ungeschminkten, offenen Art. «Das ist ihr Qualitätslabel, das macht das Unternehmen stark.» Er kenne die Firma seit seiner Studienzeit und wisse, dass sie «auf höchstem Niveau industrielle Spitzenleistungen» vollbringe, die für «die ganze Region lebenswichtig» seien.

Fust treibt das Gedeihen des Schweizer Werkplatzes um. «Kann die Schweizer Exportindustrie, die unter dem starken Franken ächzt, ihre Kräfte bündeln und nach aussen geeint auftreten, mit Einkaufskooperationen im Euro-Raum beispielsweise?», sinniert er laut und doppelt nach: «Wenn nicht, bleiben wir Schweizer die ‹Lappis›, die von den Konkurrenten im EU-Raum über den Tisch gezogen werden.» Ausländische Grosskonzerne würden den Teileverkauf an Tornos und andere exklusiv via Niederlassung in der Schweiz betreiben, zu Preisen weit über EU-Niveau.

Noch machten die Schwierigkeiten keinen Schulterschluss von StarragHeckert und Tornos nötig. Dass aber über eine Industrieholding mit den beiden Firmen «und wem auch immer noch» spekuliert werde, sei selbstverständlich keine Überraschung. «Doch das ist vorerst kein Thema, abgesehen von ein paar Backoffice-Zusammenlegungen, die wir prüfen.» In Aussendienststationen in Fernost könnten Buchhaltung und Ersatzteillager aus einer Hand kommen, um Kosten zu sparen. Servicemonteure aber brauche jedes Unternehmen eigene.

Redet Fust Kooperationspläne bewusst tief, um den Tornos-Aktienkurs nicht anzuheizen? Auf die Frage, ob er wie einst bei StarragHeckert weiter Papiere zukaufe, wird der leutselige Fust auffallend wortkarg und sagt nur: «Vorläufig sicher nicht. Die 15 Prozent sind ausgewiesen, das reicht.» Ein Dementi klingt anders.

Bleiben Fusts weitere Pläne bei Tornos notgedrungen im Ungewissen, so passt dessen Aussage, dass eine Fusion auf absehbare Zeit nicht aufs Tapet komme, ins Bild von Vontobel-Analyst Fabian Häcki. «Eine Starrag-Tornos-Fusion hat keine industrielle Logik, zu verschieden sind die beiden Firmen aufgestellt», meint er.

Bei Tornos selbst reagiert das Management betont gelassen auf den 15-Prozent-Aktienaufbau des Ostschweizer Industrie-Tycoons, und dies, obwohl sich der Umsatz 2009 auf noch 114 Millionen Franken mehr als halbierte. «Walter Fust ist kein feindlicher Angreifer, wir kennen uns, wir schätzen uns», sagt Tornos-Finanzchef Philippe Maquelin. Fust sehe sich als «Langfrist-Finanzinvestor mit ein paar Ideen für Kooperationen». Das sei «ganz in unserem Sinn».

Maquelin, der von Fust als bestimmende Figur im Tornos-Management gelobt wird und der für 2011 bessere Zahlen verspricht, verschliesst sich Zusammenschlüssen nicht grundsätzlich. «Entscheidend für jede Zusammenarbeit ist die geschäftliche Logik – sei es als Kooperation, als Allianz oder auch in Form einer Fusion», meint der Romand.

Gerüchteweise war zuletzt von chinesischen Konkurrenten zu hören, die ein Auge auf Tornos geworfen hätten. Das wird von mehreren Seiten als unwahrscheinlich abgetan. «Von chinesischen oder anderen Übernahmeversuchen weiss ich nichts», sagt Fust. Sein Konzernchef StarragHeckert, der bald im Verwaltungsrat von Tornos Einsitz nehmen wird, wird noch expliziter. «Die Gerüchte um einen Tornos-Kauf durch Chinesen halte ich für Humbug», sagt Frank Brinken.

Dass sich chinesische Firmen mit ihren unlimitierten Finanzmitteln Europas Technologie-Know-how und Marken einkaufen würden, sei offensichtlich, meint der langjährige Industriemanager, der Fusts Starrag seit 2005 operativ leitet. Das hätten kürzlich erfolgte Übernahmen von deutschen und französischen Werkzeugmaschinenbauern gezeigt. Doch dabei handelt es sich laut Bringken meist um Firmen, die «in Not» geraten seien. «Für uns Schweizer Unternehmen heisst das: Fit bleiben, die Werkzeugmaschine ist die alles entscheidende Schlüsseltechnologie für eine erfolgreiche Volkswirtschaft.»

Schöne Bräute gibts durchaus

Brinkens Prognose ist einfach. Der Anteil am Weltmarktabsatz verschiebt sich bis 2015 grösstenteils nach Asien. Kommen der Mittlere und Ferne Osten heute auf rund 40 Prozent, würden es bis in fünf Jahren mindestens 60 Prozent sein. In Europa dürfte der Absatz bei rund 30 Prozent stagnieren, während er in den USA auf noch gut 5 Prozent sinkt.

Harter Wettbewerb, hohe Aufbaukosten in Fernost, eine fragmentierte Branche mit vielen kleinen und mittelgrossen Anbietern: Die Schweizer Werkzeugmaschinenindustrie wäre theoretisch ein klarer Fall für Übernahmen und Fusionen im grossen Stil. Doch Starrag-Chef Brinken zeigt sich skeptisch gegenüber einer raschen Flurbereinigung. Die Grossen wie GF AgieCharmilles, Tornos, die etwas kleinere und anders positionierte Mikron und StarragHeckert würden sich gut kennen und über Partnerschaften austauschen. Hinzu kämen über Europa verteilte, meist patronal geführte und höchst innovative Nischenplayer mit 40 bis 60 Millionen Franken Umsatz. «Schöne Bräute wären also da», meint Brinken. «Ob sie allerdings zu vernünftigen Preisen heiratswillig sind, müssen wir abwarten.»

Eine eigene Firma als Emanzipation vom Vater

Jugend Walter Fust, 69, wuchs in der Ostschweiz auf. Sein Vater betrieb eine kleine Handelsgesellschaft für Waschmaschinen. Der junge Fust studierte Maschineningenieur an der ETH und schloss mit der Note 5,3 ab. Danach stand er vor der Wahl, bei einem grossen Industriekonzern wie der damaligen BBC (heute ABB) anzuheuern oder sich als Unternehmer zu versuchen. Fusts Abneigung gegen Hierarchien und Grossunternehmen trieben den Studienabgänger mit besten Karriereaussichten in die Selbstständigkeit.

Dipl. Ing. Fust Fust gründete seine eigene Firma mit Ladenlokal in Bern und machte das Gleiche wie sein Vater: Er wurde Küchengerätehändler. Vermutlich als Emanzipations- und Ablösungsprozess, sagt er auf die Frage, warum er die gleiche Branche wie sein Vater wählte und nicht gleich ins väterliche Unternehmen eingestiegen sei. Wenige Jahre nach dem Start übernahm Fust junior den Handelsbetrieb seines Vaters und verschmolz die beiden Unternehmen zur Dipl. Ing. Fust.

Der Aufschwung Der Zusatz «Dipl. Ing.» wurde zum Markenzeichen und trug wesentlich zum Erfolg des aufstrebenden Geschäfts bei. In den ersten acht Jahren nach der Gründung 1966 wurde aus einem winzigen Handelsgeschäft eine Firma mit über 50 Millionen Franken Umsatz und 120 Mitarbeitern. Fust baute ein zweites Zentrallager und wurde en passant zum grossen Immobilienbesitzer, weil er wenn immer möglich die Lokalitäten erwarb, in der die Fust-Läden eingemietet waren.

Der Finanzmann Fust entdeckte sein Flair für die Börse mit 19, als er Aktien des italienischen Bürogeräteherstellers Olivetti kaufte. Fust überredete seinen Vater, ebenfalls in Olivetti-Aktien zu investieren. Beide verloren einige Hundert Franken, worauf Fust senior vom Filius Schadenersatz forderte. Fust blieb Investor und entwickelte ein ausgeprägtes Gefühl für das Auf und Ab an den Finanzmärkten. Im Gespräch betont er, dass er ausschliesslich auf Firmen setze, deren Geschäftsmodell er auch verstehe.

Das Grossunternehmen Fust stieg 1979 in den Küchenbau ein und zeigte 1987 sein Händchen für die Börse. Ein halbes Jahr vor dem Crash brachte er seine «Dipl. Ing. Fust» an die Börse. Innert Kürze schoss der Kurs von 2700 auf 4000 Franken hoch, aus dem kleinen Laden in Bern war ein stolzes Handelsunternehmen mit einem Börsenwert von über 300 Millionen Franken geworden.

Das Burnout 1994 war Fust ausgebrannt. Er selbst spricht heute von Burnout. Weil keines seiner drei Kinder Interesse zeigte, verkaufte er seinen Anteil an der inzwischen börsenkotierten Firma an Jelmoli und wurde im Gegenzug Grossaktionär des Warenhauskonzerns. Doch Jelmoli stand finanziell schlecht da, es kam zu Umschuldungsverhandlungen mit den Banken. 1996 wurde Fust zum Nothelfer und übernahm die Gruppe für 270 Millionen in bar. Unter ihm fand Jelmoli mit dem grossen Immobilienbestand wieder Tritt. Fust selbst bekam gesundheitliche Probleme und verkaufte seinen Anteile ab 2002 schrittweise an Georg von Opel.

Die Aufspaltung 2007 verkaufte Jelmoli die «Dipl. Ing. Fust» für 990 Millionen an Coop. Fust blieb im Jelmoli-Verwaltungsrat und überwarf sich mit Mehrheitsaktionär von Opel über die Aufteilung und Börsenkotierung der Jelmoli-Einzelteile.


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