Die Lehman-Pleite auf griechisch

Selbst der herkulische Effort der Schweizer Nationalbank von 30 Mrd. Fr. stützte den Euro nicht. SonntagsZeitung, 9. Mai 2010

Das griechische Virus hat auch die Banken befallen. Ablesen lässt sich auch das am Preis, der bezahlt werden muss, um sich gegen den vollständigen und teilweisen Ausfall von Staatsanleihen zu versichern. «Der Markt hat inzwischen mehr Stress für die Banken eingepreist als zu Zeiten der Lehman-Pleite», sagt Stefan Kolek, Analyst bei Unicredit. Alarmiert ist auch EU-Währungskommissar Olli Rehn: Die Folgen des griechischen Desasters seien so unabsehbar wie im Herbst 2008 beim Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers. Das Finanzsystem schrammte damals knapp an einer Kernschmelze vorbei.

Vermögende Griechen sollen ihr Geld in die Schweiz bringen

Der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Philipp Hildebrand, kämpft wie Herkules gegen die Aufwertung des Frankens. Allein vom letzten Montag bis zum Donnerstagmorgen hat die SNB für 30 Milliarden Franken Euro gekauft, berichten verschiedene Devisenhändler übereinstimmend. Zum Vergleich: Im ersten Quartal hat die SNB 56 Milliarden Euro in ihren Büchern angehäuft. Als am Donnerstag an den Finanzmärkten alles drunter und drüber ging, zog sich die SNB aus dem Markt zurück. Der Euro-Franken-Kurs fiel auf 1,4004 und schloss am Freitag bei 1,4118.

Mitunter wurde das als «Kapitulation» verstanden. «Wir waren überrascht, dass die Nationalbank ihre Interventionen stoppte, ohne gleichzeitig eine Erklärung abzugeben», sagt UBS-Währungsstratege Giovanni Staunovo.
SNB-Sprecher Werner Abegg unterstreicht, dass sich an der Politik der Nationalbank nichts geändert habe. «Wir werden nicht zulassen, dass sich über eine Aufwertung in der Schweiz ein Deflationsrisiko realisiert», hatte SNB-Präsident Philipp Hildebrand im Januar gegenüber der SonntagsZeitung erklärt. Gemäss IMD-Professor Stéphane Garelli wäre es für die Nationalbank ein Albtraum, wenn sich der Franken zur Fluchtwährung entwickelt. Hildebrand drückt sich so aus: Wenn sich der Franken in seiner Funktion als «sicherer Hafen» stark aufwerten sollte, hätte dies zwangsläufig negative Auswirkungen auf die Schweiz. In Bankierskreisen heisst es, vermögende Griechen würden vermehrt ihr Geld in die Schweiz bringen.

Die Finanzmärkte hatten gehofft, dass die Europäische Zentralbank (EZB) zu einer potenten Waffe zur Eindämmung der Schuldenkrise greifen würde: zum Ankauf von Staatsanleihen. Stattdessen zog EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am Donnerstag gegen die «perfiden» Banken und Spekulanten vom Leder. Vornehmlich angelsächsische Beobachter schreiben, Trichet habe damit die Ausbreitung des Flächenbrandes gefördert.

Prompt gerieten die Bankenaktien unter massiven Druck. Die UBS-Aktie sank von 18.60 Franken Mitte April auf 15.10 am Freitag, die Credit Suisse von über 56 auf 44.50 Franken. Dabei sind die Schweizer Grossbanken angeblich nur minimal engagiert in Griechenland. In einer Fragestunde des Parlaments bezifferte die Regierung die Engagements von UBS und Credit Suisse auf jeweils unter zwei Milliarden Franken. UBS-Finanzchef John Cryan sagte diese Woche, Iberien-Kredite lägen im normalen Rahmen, bei Griechenland war der offizielle Wortlaut von CS und UBS noch «unerheblich».

«The Economist»: «Ein Run auf griechische Bank ist möglich»

Alle von der SonntagsZeitung befragten Währungsexperten rechnen damit, dass wegen der Ansteckungsgefahr der Druck auf den Euro anhalten wird. «Es wird Zeit brauchen, bis die Märkte davon überzeugt werden können, dass die finanzielle Sanierung Griechenlands gelingt und ein Auseinanderbrechen der Währungsunion abgewendet werden kann», sagt Sarasin-Währungsstrategin Ursina Kubli.

Am Dienstag warnte die Ratingagentur Moodys, dass der Flächenbrand auf Länder wie Portugal, Spanien, Italien, Irland und Grossbritannien übergreifen könnte. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz orakelt gar: «Die griechische Finanzkrise hat die Existenz des Euro selbst aufs Spiel gesetzt.» Pessimistisch ist auch Konrad Hummler von der Privatbank Wegelin : «Die Hilfestellung für Griechenland schafft das Potenzial zur Vernichtung des Euro.» Sollten auch für die anderen problematische Euro-Staaten Hilfspakete nötig werden, schätzt er den Bedarf auf 1 Billion Euro.

Die Banken sehen sich nicht nur mit dem Risiko konfrontiert, dass Staatsanleihen ausfallen, gefährdet sind auch Kredite, die sie Firmen wie Privatkunden gegeben haben. In Griechenland droht den Finanzinstituten gar, dass ihnen die liquiden Mitteln ausgehen. Das Interbank-Geschäft ist zum Erliegen gekommen. Die EZB musste einspringen und griechische Ramschanleihen als «Sicherheit» für Liquidität akzeptieren. «Ein Run auf griechische Banken ist möglich», schrieb der «Economist».

Als letzten Ausweg sieht Simon Johnson, Professor in Boston und Autor des Buchs «13 Bankers», eine konzertierte Euro-Abwertung. Nur mit einem Exportboom dank schwacher Währung könnten sich die maroden EU-Staaten noch aus dem Sumpf ziehen. Für Niklaus Blattner, Ex-Vize der SNB, ist das kein Weg. «Den Euro herunterreden, das klingt gut, ist aber ‹Woodoo›-Ökonomie.» Der Wechselkurs sei flexibel und gehe derzeit sowieso runter.


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