Das Protokoll des Versagens

Was wussten die UBS-Chefs vom US-Steuerbetrug? Die Indizienkette. SonntagsZeitung, 13. Juni 2010

Der Bericht der Geschäftsprüfungskommission lässt die Frage offen, ob die UBS-Konzernspitze wusste, dass Mitarbeiter amerikanisches Recht verletzen. Dass es Indizien dafür gibt, zeigt die chronologische Aufarbeitung des Falls auf.

Mittwoch, 22. Februar 2006: Am UBS-Hauptsitz an der Bahnhofstrasse 45 empfiehlt das zuständige US-Management keine harten Massnahmen wie Reiseverbote für Berater, um gesetzeskonform zu werden. UBS-Konzernanwalt Peter Kurer ist damit einverstanden. Von diesem Moment an nimmt Kurer, Wirtschaftsanwalt mit Zusatzabschluss an der Universität Chicago, Gesetzesverstösse in den USA in Kauf. Zur gleichen Zeit empfiehlt Kurers US-Anwalt Marc Cohen von der Kanzlei Mayer Brown, das «Geschäft mit unversteuerten US-Vermögen zu verkaufen».

17. März: Whistleblower Bradley Birkenfeld schreibt Konzernanwalt Peter Kurer mit Kopie an Amerika-Chef Martin Liechti, dass UBS-Vorschriften für das US-Offshoregeschäft «den tatsächlichen Praktiken (…) komplett widersprechen».

21. März: Kurer antwortet Birkenfeld mit Kopie an Marcel Rohner und weitere Kader, den Vorwürfen nachzugehen.

28. März: Kurers rechte Hand lädt Birkenfeld zu einem Meeting für den 30. März, um ein «sehr präzises Verständnis» von den «aufgeworfenen Punkten» zu erhalten.

24. Mai: Kurer schreibt Birkenfeld mit Verweis auf die «unabhängige Untersuchung» von «angepassten Richtlinien» und «intensivierten Schulungen und Kontrollen». Im späteren Deal mit den USA gibt die UBS zu, dass eine «Untersuchung US-Rechtsverstösse» gezeigt hätte.

8. Juni: Kurer, Rohner und Offshorechef Raoul Weil besprechen, wie sie die Rechtmässigkeit im US-Geschäft sicherstellen wollen. Die Massnahmen treten erst ein Jahr später in Kraft.

Sommer 2006: Rohner und Weil lehnen «aus Profitgründen» einen Verkauf des US-Offshoregeschäfts ab, obwohl sie, wie sie später zugeben, um die Gesetzesverstösse wissen.

August 2007: Rohner und Weil beschliessen, das US-Offshoregeschäft nicht weiter auszubauen.

21. April 2008: Die USA halten Generaldirektor Martin Liechti als «wichtigen Zeugen» zurück. Er legt ein Geständnis ab.

6. Juni: UBS-Präsident Kurer will US-Ermittler in der Schweiz geschützte Kundendaten prüfen lassen. Bern lehnt mit Verweis aufs Spionageverbot ab.

12. November: Die USA klagen Raoul Weil, Nummer drei der Bank, an. «Weil und seine Co-Konspiratoren taten sich auf illegale Weise, willentlich und wissentlich zusammen, verschworen sich und kamen überein, die Vereinigten Staaten zu betrügen.»

14. November: Chefbeamter Karrer schreibt Finanzverwaltungschef Peter Siegenthaler und Finanzminister Hans-Rudolf Merz, es stelle sich die «Gewährsfrage in Bezug auf die UBS-Spitze».

8. Dezember: US-Chefermittler Kevin Downing signalisiert UBS-Konzernanwalt Markus Diethelm einen Globaldeal, falls die Schweiz rasch Steuersünder offenlege. Laut Diethelm droht sonst eine Anklage gegen «zusätzliche Kader» und «als Ultima Ratio» gegen die Bank.

27. Dezember: Die US-Steuerbehörde IRS lässt die Verhandlungen platzen. Trotzdem lässt die Bankenaufsicht Finma die UBS mit dem Justizministerium einen Deal ausarbeiten.

4. Februar 2009: Chefbeamter Karrer empfiehlt, die UBS solle die Kundendaten selbst herausgeben, da «der Schaden für die Bank in diesem Fall nicht grösser, für den Finanzplatz und den Staat dagegen weitaus geringer» wäre.

5. Februar: UBS-Vizepräsident Sergio Marchionne bittet Merz, Finma-Präsident Eugen Haltiner und Nationalbank-Präsident Jean-Pierre Roth, den Deal zu unterstützen und anzuerkennen, dass die Frage des drohenden Zivilprozesses «ungelöst» bleibe.

10. Februar: Jürg Giraudi, Chef Amtshilfe in der Eidgenössischen Steuerverwaltung, spricht von «Landesverrat» durch UBS-Diethelm, der eine Anklage gegen die Bank ausgeschlossen habe, «da die USA eine derartige Destabilisierung der Finanzwelt nicht verschulden wollten».

18. Februar 2009: Die Finma legt den USA rund 250 US-Kundennamen unter Missachtung des Bankgeheimnisses offen. Ein «Mitwissertum» von Rohner und Kurer fehle, sagt die Finma, ohne offenzulegen, dass sie sich auf die UBS-Kanzlei Wachtell abstützt.

15. Dezember: Die Zürcher Staatsanwaltschaft schubladisiert die Akte, ohne das Liechti-Geständnis anzufordern.

31. Mai 2010: Die Geschäftsprüfungskommissionen sprechen von «substanzieller Abhängigkeit» der Finma und finden deren Aussage, «es seien keine Hinweise auf ein ?aktives? Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer gefunden worden», nicht überzeugend.


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