Bradley Birkenfeld reizte sein Blatt aus – und verlor

Der ehemalige Vermögensverwalter der UBS hat der US-Staatsanwaltschaft geholfen, das Schweizer Bankgeheimnis aus den Angeln zu heben. Dennoch muss er morgen Freitag ins Gefängnis. Der Richter sieht in ihm keinen Whistleblower, sondern einen Kriminellen. Tages-Anzeiger, 7. Januar 2010

Am Sonntag hat Bradley C. Birkenfeld ein letztes Feuerwerk gezündet. In der Sendung «60 Minutes» auf CBS berichtete der ehemalige UBS-Vermögensverwalter in allen Details, wie er das 75 Jahre alte Schweizer Bankgeheimnis ausgehebelt hatte. Ob jemals zuvor ein «Swiss banker» Ähnliches vollbracht habe, wollte der TV-Moderator wissen. «Das gab es noch nie», antwortete der dünnlippige 44-Jährige mit ernster Miene, reckte das Kinn in die Höhe und fuhr nach bedeutungsschwerer Pause fort: «Ich bin der Erste.»

Doch für Richter William Zloch (65) ist Birkenfeld weder eine historische Figur noch ein Held. Er sieht in ihm einen kriminellen Komplizen von US-Bürgern, die keine Vermögenssteuern bezahlen wollten. Zloch, in jungen Jahren American Footballer und strammer Navy-Leutnant, lehnte am Montag den Eilantrag auf eine Verschiebung des Haftantritts ab. Im August hatte er Birkenfeld zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt – 10 Monate mehr, als der Staatsanwalt gefordert hatte. Der Banker muss nun also morgen Mittag ins Gefängnis einrücken. Bei guter Führung kommt er Anfang 2013 wieder frei.

Ein Mann des Profits

Birkenfeld ist der einzige Akteur im UBS-Steuerdrama, der eine langjährige Haftstrafe absitzen muss. Doch das hat sich der Sohn eines Hirnchirurgen aus Boston selber zuzuschreiben. Bei seinen obskuren Geschäften war ihm nichts und niemand heilig. Was für ihn zählte, war einzig sein eigener finanzieller Profit. Lange sah es so aus, als ob er unbeschadet aus der Affäre herauskommen könnte. Doch letztlich hat er sein Blatt überreizt und die Rechnung ohne die amerikanische Justiz gemacht.

Ende 2001 hatte Birkenfeld bei der UBS angeklopft, im Schlepptau einen Kunden mit 200 Millionen Dollar Vermögen: den aus Russland in die USA emigrierten Immobilientycoon Igor Olenicoff, welcher ihm vertraute. Die Bank war scharf aufs Geld und stellte Birkenfeld als Vermögensverwalter ein. Auch akzeptierte sie seine Forderungen nach einem fixen Gehalt von rund 250 000 Franken und einem Jahresbonus von einer halben Million. Zuvor hatte der 1,90-Meter-Hüne für die Credit Suisse und die englische Barclays Bank gearbeitet.

Bei der UBS gab Birkenfeld die Kontrolle über die Olenicoff-Millionen nie aus der Hand. Mithilfe seines Geschäftspartners Mario Staggl, einem liechtensteinischen Treuhänder, versteckte er das Vermögen in ausländischen Scheingesellschaften. Birkenfeld wusste um die Illegalität seines Tuns, während sich die UBS über die zusätzlichen Gewinne freute. Drei Jahre lang herrschte beiderseits Zufriedenheit, bis Birkenfelds Chefs merkten, dass ihr neuer Berater ausser dem Russen keine weiteren Superreichen zur Bank lotste wie versprochen, ja nicht einmal kleinere Fische. Deshalb drohten sie, ihm den Bonus zu kürzen.

Das liess sich Birkenfeld nicht gefallen. Am 12. Juni 2005 beschloss er mit Staggl und Olenicoff, dessen Vermögen nach Vaduz zu transferieren. Fünf Tage später folgte Phase zwei des Exit-Plans: Birkenfeld empörte sich UBS-intern über die unlauteren Geschäftsmethoden der Bank. Im Intranet hatte er ein Dokument aufgestöbert, das alles verbot, was im Alltag gang und gäbe war. Er erwarte Vorschläge, wie die Legalität sichergestellt werden könne, forderte er. Das habe «sofortige und oberste Priorität, nicht nur für mich, sondern für alle meine Kollegen».

Die staunten ein wenig und sahen dann mit an, wie Birkenfeld im Oktober 2005 kündigte. Zuvor hatte er die 200 Millionen seines russischen Privatkunden erneut verschoben, diesmal nach Genf zu einer Finanzboutique, wo er selber bald Partner werden sollte. Die UBS erinnerte ihn an seine Pflichten als Geheimnisträger und drohte ihm für den Fall der Missachtung mit einer Strafanzeige. Vor allem aber strich sie ihm den Bonus für 2005. Damit geriet sie allerdings an den Falschen. Birkenfeld zerrte die UBS vors Arbeitsgericht. Wenig später setzte er noch einen drauf: Er schrieb dem UBS-Chefjuristen Peter Kurer einen scharfen Brief und bezeichnete sich offiziell als Whistleblower. Er werde die «unfaire und betrügerische Praxis» der Bank im Geschäftsalltag öffentlich anprangern, nicht zuletzt deshalb, weil niemand auf seine wiederholten Beschwerden reagiert habe.

Die UBS ging in die Knie

Die Drohung wirkte. Die UBS versprach, die bestehenden Regeln zu verschärfen und die Kontrollen der Kundenberater zu verbessern. Vor allem aber zahlte sie Birkenfeld den gestrichenen Bonus nach. Die Bank glaubte wohl, das Problem sei damit erledigt.

Da irrte sie sich gründlich. Schon im Januar 2007 war Birkenfeld zurück. Überraschend tauchte er am jährlichen Treffen der US- und Lateinamerika-Kundenberater der UBS im Hotel Palace in Montreux auf. «Ich kriege euch!», habe er in die Runde gerufen. Martin Liechti, der Verantwortliche für Nord- und Südamerika, musste das Programm für einige Zeit unterbrechen.

Birkenfeld ging daran, seine Drohung wahr zu machen. Über seine Anwälte stand er bereits damals im Kontakt mit dem US-Justizministerium (DOJ). Auch dort stellte er Forderungen: Nur wenn man ihm Immunität vor Strafverfolgung zusichere, lege er sein Insiderwissen offen. Den Staatsanwälten schien der Deal suspekt. «Einer der simplen Grundsätze für Strafverfolger ist, dass man nie die Katze im Sack kauft», sagte der stellvertretende US-Staatsanwalt Thomas Perrelli auf CBS.

Überraschend, aber wahr: Birkenfeld packte dennoch aus. Weil er sich an der UBS rächen wollte? Oder aus Geldgier? Tatsache ist, dass Whistleblower in den USA seit Ende 2006 ein gesetzliches Anrecht auf eine Prämie haben. Sie können bis zu 30 Prozent der durch Insiderwissen eingespielten Steuererträge kassieren. Möglicherweise witterte Birkenfeld ein grosses Geschäft.

Jedenfalls legte der Banker den Staatsanwälten im Juni 2007 explosives Material auf den Tisch: interne Weisungen der UBS, Tipps über geheime Geschäftsreisen, Berichte über chiffrierte Laptops, Namen von Kundenberatern und Vorgesetzten. Er verriet den Staatsanwälten viel – aber nicht alles. Über das, was Birkenfeld für seinen Grosskunden Igor Olenicoff getan hatte, dessen 200-Millionen-Vermögen er nach wie vor verwaltete, erfuhren sie nichts. Offensichtlich wollte der Banker das Maximum: den Russen als Kunden behalten und obendrein die Whistleblower-Prämie von der US-Staatsanwaltschaft kassieren. «Hätte Birkenfeld damals alles gesagt, was er wusste, hätten wir ihn vermutlich nicht belangt», sagte DOJ-Mann Perrelli im US-Fernsehen.

Nun, da sein Mandant ausgepackt hatte, bemühte sich Birkenfelds Anwalt im August 2007 erneut um die Zusicherung von Immunität. Sein Klient sei ein paar Tage in den Staaten und würde das Thema «gerne gelöst» haben, um «mit der Offenlegung von Informationen» fortfahren zu können, schrieb er der Staatsanwaltschaft. Die stellte sich abermals quer, worauf Birkenfeld die Zusammenarbeit aufkündigte.

Das war wohl der Moment, in welchem ihm die Kontrolle über die Ereignisse entglitt. Denn zur gleichen Zeit hatte sich hinter seinem Rücken sein Superkunde Olenicoff mit dem DOJ darauf verständigt, reinen Tisch zu machen. Er erklärte sich schuldig, lieferte 52 Millionen Dollar Straf- und Nachsteuern ab, holte sein Geld in die USA zurück – und liess Birkenfeld fallen.

Der Poker ging nicht auf

Erst in dieser Phase wurde der Banker geständig. Er beichtete aber nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern bei einer Anhörung vor dem Senat und bei den Ermittlern der Börsenorganisation SEC. Offenbar wähnte er sich noch immer in einer starken Verhandlungsposition gegenüber den Strafverfolgern. Doch diese Einschätzung erwies sich als fataler Irrtum. Die Staatsanwälte deckten seine Machenschaften Schritt für Schritt auf. Am 10. April 2008 klagten sie Birkenfeld und Staggl an, hielten die Anklage aber vorerst unter Verschluss.

Vier Wochen später wurde Birkenfeld am Flughafen in Boston verhaftet. Zwar hatte ihn sein Anwalt gewarnt, aber der Banker reiste trotzdem in die USA. Immerhin hatte die Staatsanwaltschaft zwei Wochen zuvor den UBS-Topshot Martin Liechti in Miami festsetzen können – letztlich dank seinen Hinweisen. Birkenfeld, völlig überrumpelt, schwieg noch einige Zeit, dann wurde ihm alles zu viel. Wenig später verkaufte er sein Chalet in Zermatt, sein Vermögen wurde gesperrt, die Familie hinterlegte einen Millionenbetrag als Kaution, und Birkenfeld, angetan mit einer elektronischen Fussfessel, musste sich fortan täglich um 22 Uhr bei seinem Bruder südlich von Boston einfinden, um bei ihm die Nacht zu verbringen.

Am 19. August 2009 erklärte die Schweiz 4450 Amerikaner zu schweren Steuerdelinquenten. Zwei Tage später stand Birkenfeld vor Gericht. Der Ankläger räumte ein, ohne den Kronzeugen hätte man «den gigantischen Betrug» der UBS kaum aufdecken können. Anderseits hätten die Untersuchungen eine Menge übler Machenschaften zutage gefördert, die Birkenfeld habe geheim halten wollen.

Gegen das harte Verdikt von 40 Monaten Gefängnis hat Birkenfeld Anfang Woche erfolglos rekurriert. Der Mann, der in Diensten der UBS stand und dem Schweizer Bankgeheimnis das Grab geschaufelt hat, muss definitiv für seine Geldgier büssen.


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