«Natürlich wussten alle, was wir tun»

Zwei ehemalige UBS-Banker erzählen erstmals, wie sie mit verschlüsselten Computern in die USA einreisten, um reiche Amerikaner zu beraten. Auch sie sind sauer auf die UBS. Tages-Anzeiger, 8. Juni 2010

Der eine war kritisch und kündigte, als das Business noch boomte. Der andere blieb loyal bis zum bitteren Ende – und verlor seinen Job, als die US-Justiz gegen die UBS vorging. Zwei der ehemaligen Kundenberater der Amerika-Abteilung, die bisher geschwiegen haben, reden jetzt über das Geschäft mit dem vorwiegend unversteuerten Geld vermögender Amerikaner – allerdings nur unter Zusicherung strikter Anonymität.

«Natürlich wussten alle bis ganz oben, was wir tun», sagt der erste der beiden Banker. Er kann gar nicht glauben, dass irgendwer überhaupt daran zweifeln kann. «Growth, growth, growth, Wachstum über alles, nur das zählte im Vermögensverwaltungsgeschäft der UBS», erzählt er. Der um die 40 Jahre alte Banker ist ein gesprächiger Typ, hat nichts Affektiertes an sich und sagt, er habe schon damals seine Kritik am Geschäft nicht für sich behalten. Die UBS verliess er, weil nur noch die «Höhe des Gewinns» für die Bank und die Berater gezählt habe.

Die Banker reisten regelmässig in die USA, um ihre Klienten zu beraten und wenn möglich neue vermögende Kunden zu gewinnen. Dafür hätten sie eine Lizenz benötigt, doch die Idee des Offshore-Geschäfts war, dass die Berater ohne Registrierung aus der Schweiz heraus operieren konnten. Ein verdeckter illegaler Stosstrupp von mehr als 50 Bankern, der aus Genf respektive Zürich und Lugano aus operierte.

Die Kultur des Wachstums um jeden Preis habe sich nicht über Nacht ausgebreitet, sondern schlich sich über die Jahre ein. Bis 2004 habe man noch so etwas wie «Teamgeist» verspürt, die Berater und ihre Vorgesetzten hätten mit vereinten Kräften das Beste für ihre Kunden erreichen wollen, sagt der erste Banker, der seine Ausführungen gerne mit Anglizismen schmückt. «Mit der Zeit ging es nur noch ums ‹Verkaufen›. Wir mussten den Kunden teure Produkte und Konstrukte aufschwatzen, aus Beratungsgesprächen wurden ‹Salesmeetings›, alles wurde dem ‹Short term profit› untergeordnet – dem kurzfristigen Gewinn.»

«Mach einfach weiter!»

Die Entwicklung wurde 2005 UBS-intern erstmals in eine Unternehmensstrategie gefasst. Der damalige Konzernchef Peter Wuffli erklärte die UBS zur «Growth company», zur Wachstumsfirma, die steilste Zuwachsraten haben sollte. «Intern sagte ich den Kollegen und meinen Vorgesetzten, dass unsere Kultur in die falsche Richtung laufe. Dann kam jeweils die stereotype Antwort: ‹Don’t worry, go ahead!› – ‹Mach dir keine Sorgen, mach einfach weiter!›», erzählt der kritische Banker.

Systematisch seien nun die verschlüsselten Reisecomputer zum Einsatz gekommen, auf denen die Kundendaten in einem geheimen Bereich gespeichert waren. Selbstverständlich hätten die Kundenberater den sogenannten «Secure Travel Access Service» (STAS) mit Wissen der Spitzenleute der UBS gebraucht. «Der STAS sollte uns die Angst nehmen», sagt der Banker. In einem verschlüsselten Teil der Festplatte sollten die Kundendaten im Fall einer Razzia durch das FBI unsichtbar bleiben. Im Notfall konnten die UBS-Mitarbeiter per Tastendruck den geheimen Speicherbereich innert Sekunden löschen.

In Amerika empfingen die UBS-Berater ihre Kunden praktisch nie in einer der Filialen der Grossbank, sondern in der Lobby oder in ihrem Zimmer in einem der Luxushotels. Beliebt waren in Manhattan das Palace oder zum Essen das Waldorf Astoria, in Miami das Mandarin Oriental, wo die UBS Spezialtarife für ihre Berater erhielt. Im Hotel Delano in Miami fand jeweils im Dezember ein grosses Fest für alle Berater und ihre besten Kunden statt.

Eine wichtige Figur, so sagt der erste Banker, sei Martin Liechti gewesen, der Chef der gesamten UBS-Vermögensverwaltung für die Zone Nord- und Südamerika. Liechti war ein Senkrechtstarter innerhalb der UBS, eine charismatische Persönlichkeit, ein Leadertyp, der seine Mannschaft mitreissen konnte. «Er war eine Lokomotive, verströmte Enthusiasmus, ein richtiger Truppenkommandant für den Einsatz an der Front.» Die Schattenseite sei fehlende Kritik gegenüber dem Geschäftsmodell gewesen. «Liechti und seine Leutnants, aber auch die Generäle über ihm riefen nie Stopp. Warum nicht? Ganz einfach, es gab ein Ziel: Profit für die Firma, Bonus für sich selbst.»

Liechti kreierte eingängige Bilder für den Höhenflug seiner Truppe. «Our journey to the moon» – «unsere Reise zum Mond» – hiess eines, in Anlehnung an John F. Kennedys berühmten Ausspruch «Landing a man on the moon». Als ein ganzes Team zur Konkurrenz absprang, ereiferte sich Liechti in einer E-Mail an seine Berater: «Our ship to the moon has been attacked» – «Unser Raumschiff zum Mond wurde attackiert». In die Geschichte ging auch seine Mail von Neujahr 2007 ein, worin Liechti die Latte für alle seine Kundenberater hochlegte: «Wir haben uns von 4 Millionen Franken pro Kundenberater im 2004 auf 17 Millionen im 2006 gesteigert. Wir müssen mit unseren Ambitionen Schritt halten und gehen auf 60 Millionen pro Kundenberater hoch!»

Erstmals ins Wanken geriet das System, als ausgerechnet jener Mann, der als besonders geldversessen galt, zuerst intern das System kritisierte und dann bei den US-Behörden Anzeige erstattete: Bradley Birkenfeld aus dem Genfer Offshore-Team. «Das war ein Kamikaze», sagt der erste Kundenberater. Der Amerikaner hatte für seinen Topkunden Igor Olenicoff sämtliche Regeln verletzt. «Was Birkenfeld für Olenicoff baute, nämlich verbotene Steuer-Strukturen in Liechtenstein und der Karibik, war für die meisten von uns kein Thema. Derart aktive Beihilfe zur Steuerumgehung war verpönt.»

Die Affäre Birkenfeld habe vielen Kollegen Angst gemacht. «Niemand wusste, was Birkenfeld wirklich vorhatte. Mir war das egal, ich verliess die Bank. Doch die meisten blieben, weil sie nicht auf ihren Lohn und den Bonus verzichten wollten.»

Im Frühling 2006 liess Konzernanwalt Peter Kurer das US-Offshoregeschäft untersuchen. Birkenfelds Vorwürfe versuchte er mit einem Schreiben vom 24. Mai 2006 zu entschärfen, in dem von «angepassten Richtlinien» und «intensivierten Schulungen und Kontrollen» die Rede war. Obwohl er um die Risiken im US-Offshoregeschäft wusste, zeichnete er das Bild einer vorsichtigen Bank: «Einer unserer Kernwerte ist es, eine qualitativ hochstehende Rechtskultur zu pflegen», schrieb er.

Die Angst vor Birkenfeld

«Wir sorgten uns wegen Birkenfeld. Der konnte viel anstellen», erzählt der zweite Kundenberater. Ein unauffälliger, schlanker, etwa 45-jähriger Sportler-Typ, der bis zum Untergang blieb. 2009 verlor er seinen Job, als sich die neue UBS-Führung von den meisten Mitarbeitern und Managern trennte, die einen Bezug zum alten US-Offshoregeschäft hatten. Der Berater zeichnet von sich das Bild eines Befehlsempfängers, der die Vorgaben von oben umsetzte. «Reisen gehörten zum Geschäftsmodell, auch der Reise-Laptop war in weiten Teilen der Bank im Einsatz. Und es gab ja von oben abgesegnete Vorschriften, die hielten wir so weit wie möglich ein.»

Das Resultat von Kurers Untersuchung sei ihm nie kommuniziert worden, sagt er. «Es hiess lediglich, dass keine speziellen Probleme gefunden worden seien.» Er erinnert sich auch an keine wesentlichen Veränderungen im Nachgang zu Kurers Abklärungen: «Wir mussten neu lediglich aufschreiben, wen wir in den USA besuchten und was wir mit den Kunden besprachen.» Daran hätte sich das Team gehalten. Dass der Kern des Problems – die Beihilfe zur Steuerhinterziehung für reiche Amerikaner – dadurch nicht behoben würde, war für ihn damals kein Thema.

Ein Jahr später zog die UBS die Notbremse. Ohne Vorankündigung beschloss die Bank im November 2007, ihr US-Offshoregeschäft einzufrieren und sämtliche Kundenbesuche zu stoppen. Das Kommando übernahmen externe amerikanische Anwälte, die alle Computer der Kundenberater kopierten und auswerteten. In langen Interviews, die viele als Verhöre empfanden, mussten die UBS-Mitarbeiter ihre Aktivitäten beichten. Dass die Anwälte Kundendaten sahen, die vom Bankgeheimnis geschützt waren, war den Zuständigen egal. «Wir mussten den US-Anwälten alles auf den Tisch legen», sagt der Banker, der bis zum Schluss dabei war. «Das war zwar bedenklich, doch wir kooperierten, weil wir uns sagten, das sei jetzt entscheidend für die Zukunft der Bank.» Darüber ärgert er sich heute. «Wir liessen die Hosen runter, ohne dafür etwas zu kriegen. Da fühlt man sich missbraucht.»

Als ihn die UBS nach der Vereinbarung mit der US-Justiz 2009 entliess, kam das aus «heiterem Himmel». Er ist extrem enttäuscht, glaubte, die Bank würde sich für seinen Einsatz erkenntlich zeigen: «Die neue Führung kappte das Seil und entliess fast alle, die mit dem alten US-Geschäft zu tun hatten. Wie heisse Kartoffeln liess sie uns fallen. Die Kleinen hängt man. Das schreckt ab.»

Derweil blickt die neue UBS nach vorn. Ein Sprecher wollte sich nicht zum Thema äussern und verwies auf den Deal mit den US-Behörden. Dort habe man personelle Konsequenzen angekündigt, die in der Folge umgesetzt worden seien.

UBS-Steueraffäre

Die lange Liste der Gestolperten

Fast alle, die im US-Steuerfall eine Rolle gespielt haben, haben die UBS verlassen. Konzernchef Marcel Rohner, lange Chef Vermögensverwaltung, und Präsident und Ex-Konzernanwalt Peter Kurer gingen nach dem Deal mit den USA Anfang 2009 von Bord. Beide arbeiten heute auf Mandatsbasis. Raoul Weil, verantwortlich für die weltweite Vermögensverwaltung, wurde von den USA im November 2008 angeklagt und verliess die Bank offiziell vor Jahresfrist. Nord-und Südamerika-Chef Martin Liechti akzeptierte nach seiner Rückkehr aus den USA einen Trennungsvorschlag. Er berät heute lateinamerikanische Kunden. Seinem damaligen Nordamerika-Chef Michel Guignard wurde im Frühling 2009 gekündigt. Er arbeitet heute für eine liechtensteinische Vermögensverwalterin. Andere Ex-Kaderleute und Ex-Berater fanden neue Anstellungen in der Finanzbranche oder sind auf Jobsuche. Von den wenigen Verbliebenen ist einer der Sohn eines früheren Generaldirektors, zwei weitere betreuen Milliardenkunden.


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