Warum die UBS das Bankgeheimnis opfert

Die Schweizer Bank hat mit ihrem Geschäftsgebaren in den USA den Bankenplatz schwer beschädigt. Die Politik stellt sich vor die Manager – trotz ihres Versagens. Zeit Online, 20. Februar 2009

Die Alarmlampe blinkte im November 2001 leuchtend rot. Damals verlangte das auf die USA spezialisierte Vermögensverwaltungsteam der Schweizer UBS ein Überdenken ihrer Kernstrategie. „Wir sind in den USA besonders exponiert, und unsere internen Regeln schreiben die Einhaltung regulatorischer Bestimmungen vor“, hieß es in einem Brief, den Spezialisten an die Geschäftsleitung der wichtigsten Sparte der UBS schickten. „Beides zwingt uns, ein eher den Gesetzen entsprechendes US-Geschäftsmodell zu erwägen.“

Es war der Moment, als die weltgrößte Vermögensverwalterin eine entscheidende Weiche für die eigene Zukunft und jene ihres Heimatstaats stellte. Die verantwortlichen Köpfe der Großbank hatten zu diesem Zeitpunkt die Chance, das Geschäft mit reichen US-Kunden von Grund auf zu überdenken. Sie taten es nicht. Weiter wie bisher, lautete stattdessen die Order von oben. Die Spezialisten würden mit ihrer Skepsis übertreiben.

Seit gestern weiß die Schweiz und die ganze Finanzwelt, dass die Warnungen gar nicht laut genug hätten sein können. Die bisherige Strategie, das Geschäft mit vermögenden amerikanischen Kunden immer weiter auszupressen, um die Bank mächtiger und reicher zu machen, endet im Desaster – für die UBS und für den helvetischen Bankenplatz insgesamt. In einer Notaktion muss die Landesregierung nun rechtsstaatliche Prinzipien aufgeben und der UBS-Spitze grünes Licht geben für den Verrat am heiligsten aller heiligen Grundsätze des Schweizer Bankenwesens: an der Aufhebung des Bankgeheimnisses.

Mit dem Segen der staatlichen Finanzmarktaufsicht händigt die Großbank die Daten von rund 300 amerikanischen Kunden an die US-Behörden aus, ohne dass diesen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren gegeben wird. Zuvor hatte knapp ein Dutzend der Beschuldigten Einspruch beim obersten Gericht eingelegt. Dieser Weg bleibt ihnen nun verwehrt. Stattdessen droht den Betroffenen in ihrer Heimat nicht nur ein hohes Bußgeld, sondern auch Gefängnis.

Die UBS reagiert damit auch auf den wachsenden Druck aus den USA. Dort hatte man mit Strafanklage gegen die Verantwortlichen des Instituts gedroht, falls man nicht die Daten der betreffenden Kunden herausgebe. Der Vorwurf: Das Institut habe den amerikanischen Kunden bei der Hinterziehung von Steuern geholfen.

Wie unzimperlich die US-Behörden nun mit den Steuersündern umgehen werden, zeigen erste Verlautbarungen. „Wir haben den Schleier des Bankgeheimnisses zur Seite gezogen und werden weiterhin aggressiv gegen jene vorgehen, die Bundessteuern ausweichen oder bei diesem Vergehen mithelfen“, ließ sich der Chefbeamte John DiCicco vom amerikanischen Justizdepartement zitieren.

Die amerikanischen Steuerbehörden deuten das Verhalten der UBS offenbar als Kapitulation: Die Bank bestätigte, dass das US-Justizministerium und die Steuerfahnder nun die Herausgabe weiterer Daten verlangen. Medienberichten zufolge soll es sich bei den Konten um 32 000 Bargeld- und 20 000 Aktien-Konten im Umfang von fast 15 Milliarden Dollar handeln.

Derweil macht die Schweiz das, was ihr bleibt: Schadensbegrenzung. Es handele sich um einen einmaligen Fall, sagte der eidgenössische Finanzminister Hans-Rudolf Merz von der freisinnigen Partei auf einer gestrigen Pressekonferenz, keinesfalls um einen Dammbruch. Die UBS-Führung habe eigenes Verschulden eingestanden, bei allen betroffenen US-Kunden handele es sich um Steuerbetrüger und nicht Steuerhinterzieher.

Auf der feinen Unterscheidung zwischen Betrug und Hinterziehung basiert das berühmte Bankgeheimnis. Nur wer Formulare fälscht oder Scheinkonstrukte aufbaut, um Steuerzahlungen zu umgehen, macht sich eines schweren Verbrechens strafbar. Einfaches Schummeln hingegen gilt als eine Art Formfehler, der mit Bußgeld geahndet wird.

„Das Bankgeheimnis bleibt intakt“, versuchte Finanzminister Merz die aufgebrachten Schweizer Gemüter zu beruhigen. Gleichzeitig versuchte er die verunsicherte Investorenschaft im Ausland, die große Vermögen auf Schweizer Bankkonten deponiert hat, vom Fortbestand des Bankgeheimnisses zu überzeugen.

Gelungen ist ihm dies nur bedingt. Die Entscheidung, Kundendaten an die US-Behörden auszuhändigen, ohne den Rechtsweg bis zum Ende zu gehen, öffne „nicht nur die Türen für mehr Forderungen aus Amerika, sondern auch von anderen Regierungen“, schreibt der Herald Tribune. Laut tritt der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück auf. Im vergangenen Herbst vertrat er in einer Fernsehsendung die Ansicht, dass statt Zuckerbrot auch „zur Peitsche“ gegriffen werden müsse. Wenig später schienen die Drohungen Wirkung zu zeigen. Die Schweiz trat mit der EU in neue Verhandlungen über die Zinssteuer auf nicht deklarierte Vermögen ein.

Wer der Alpenrepublik die Suppe eingebrockt hat, steht für die traditionell den Schweizer Banken wohlgesinnte Neue Zürcher Zeitung außer Frage. Die UBS-Spitze habe in ihrem Versuch, einzelne Kundenberater als Mittäter beim Steuerbetrug zu belasten, die falsche Strategie gewählt. „Bei 300 solchen Fällen ist das anfängliche Bild des schwarzen Schafs nicht mehr stimmig – eher ließe sich von einer Herde schwarzer Schafe sprechen“, kommentiert die Zeitung. Gleichzeitig wirft sie die Frage auf, ob die Spitze eine „Mitverantwortung am Reputations- und Vertrauensschaden der Bank“ trage.

Was für aufgebrachte Schweizer Privatbankiers, die langfristig den Schaden des gelöcherten Bankgeheimnisses tragen, längst klar ist, wird von der Bankenaufsicht dementiert. Man habe „keine Anzeigen für ein Mitwissen der obersten Organe der Bank“ bei den Fehlern gefunden, die gegen das „Gewährs- und Organisationserfordernis des Bankengesetzes“ verstießen. Folgerichtig könnten UBS-Präsident Peter Kurer und dessen Konzernchef Marcel Rohner ihre Funktionen behalten.

Kein Wort findet sich zur Tatsache, dass Rohner an jener denkwürdigen Sitzung im November 2001 teilgenommen hatte, als die Spezialisten vor den Gefahren der Strategie warnten. Schweigen auch dazu, dass Präsident Kurer als langjähriger Konzernanwalt die heikle Rechtslage im Amerikageschäft auswendig kannte. Aus dem Innern der UBS ist zu vernehmen, dass  die Mitverantwortung der zwei obersten Manager zur Opferung des Bankgeheimnisses geführt habe. Ihnen hätte nämlich eine Anklage in den USA gedroht.

Von Lukas Hässig ist am vergangenen Montag auch das Buch „Der UBS-Crash“ – Wie eine Grossbank Milliarden verspielte“ im Verlag Hoffmann und Campe erschienen.


Einen Kommentar schreiben