England startet den grössten Fischfang

Die britischen Steuerbehörden haben 308 Finanzinstitute auf der Insel angewiesen, sämtliche Offshore-Kontodaten offenzulegen. Das Vorgehen erinnert an den US-Steuer-Feldzug. Handelszeitung, 2. September 2009

Die USA stiessen im Fall UBS die Tür des Bankgeheimnisses auf. Jetzt stossen die Europäer nach. An vorderster Front ist die englische Inland-Steuerbehörde Her Majesty’s Revenue and Customs (HMRC). Sie hat die grösste Suchaktion ihrer Geschichte gestartet. Mit speziellen Befugnissen ausgestattet, erhielt HMRC vor drei Wochen grünes Licht, bei 308 Banken und Finanzinterme-diären Unmengen von Kundendaten einzufordern. In den nächsten Wochen müssen die aufgerufenen Unternehmen sämtliche Informationen über Klienten aushändigen, die in Grossbritannien Wohnsitz haben und somit steuerpflichtig sind, und die gleichzeitig über ein Bankkonto im Ausland verfügen.

Englische Steuerexperten sprechen von einer historischen Sammelaktion. «Praktisch jede Bank mit einem Sitz, einer Niederlassung oder einer Repräsentanz in Grossbritannien ist vom Aufruf betroffen», sagt Simon Airey vom Londoner Ableger der weltweit tätigen Anwaltskanzlei DLA Piper.

Laut Airey könnten aber selbst solche Banken ins Visier der Steuerbehörden geraten, die keine physische Präsenz in Grossbritannien hätten. «Transaktionen von und nach England können einen Link zu einer ausländischen Bank schaffen», sagt der Steuerexperte.

Die Grossjagd nach Steuersündern beschränkt sich somit aus Schweizer Sicht nicht nur auf UBS und Credit Suisse mit ihrer physischen Präsenz in England, sondern auch auf kleinere Privatbanken ohne Direktverbindung zur Insel sind im Visier. Sie haben es mit einer erfahrenen Behörde zu tun. Bereits vor drei Jahren forderte HMRC Offshore-Daten ein.

Obwohl damals erst die fünf grössten UK-Banken betroffen waren, erhielten die Ermittler Daten von über 400000 Steuerpflichtigen. Die Suchaktion war begleitet von einem Programm der Selbstanzeige namens Offshore Disclosure Facility, das zu Steuereinnahmen von 400 Mio Pfund in einem einzigen Jahr führte.Die aktuelle, umfassende Suche nach Offshore-Daten wird wiederum von einem Programm zur freiwilligen Deklaration nicht versteuerter Vermögen begleitet. Die New Disclosure Opportunity startete am 1. September 2009 und lässt den Steuerpflichtigen bis zum 12. März 2010 Zeit, ihre versteckten Gelder offenzulegen.

Die Kunden müssen ihre Absicht, sich selbst anzuzeigen, spätestens am 30. November melden. Als Anreiz offeriert HMRC einen Strafrabatt. Für eine Busse von 10% können die Delinquenten das Problem aus der Welt schaffen. Wer allerdings beim ersten Programm trotz Aufruf nicht reagierte, der muss nun mit 20% Strafsteuer rechnen.

Kunden einschüchtern

«Steuerumgehung ist ein Verbrechen, und die Regierung ist gewillt, damit aufzuräumen», sagt ein HMRC-Sprecher. Die Namen von kriminellen Steuerbetrügern seien bereits bisher publiziert worden. «Neu müssen auch jene Steuerhinterzieher mit einer Offenlegung rechnen, die zivilrechtlich belangt werden.» Für Steuerexperte Airey ist die Absicht hinter dem forschen Zangenangriff der Behörden eindeutig. Dass praktisch alle Banken zur Datenherausgabe aufgerufen werden und gleichzeitig ein zweites Programm zur Selbstanzeige initiiert wird, dürfte vor allem zum Ziel haben, Kunden mit Offshore-Konti «einzuschüchtern», damit sich diese den Behörden stellen.

Grund zur Sorge haben ganz unterschiedliche englische Steuerpflichtige mit Offshore-Konti. Der Ferienhausbesitzer, der «vergass», Mieteinnahmen von 60 000 Pfund zu deklarieren; der Immobilienspekulant, der seine Deals über nicht deklarierte Auslandkonti abwickelte oder der Geschäftsmann, der 1,3 Mio Pfund seines Gewinns auf die Kanalinseln transferierte.

Dass es den Steuerbehörden vor allem um zusätzliche Einnahmen geht, zeigen deren Schätzungen über den Erfolg der New Disclosure Opportunity. Laut dem HMRC-Sprecher sollten im ersten Jahr 150 Mio Pfund in die Staatskasse fliessen, über die ganze Laufzeit von vier Jahren wird ein Zustupf von 0,5 Mrd Pfund erwartet.

Forsche Franzosen

Auch in Frankreich gibt es ein Programm zur Selbstanzeige. Dieses ist bisher allerdings wenig erfolgreich. Der französische Haushaltsminister Eric Woerth will seine Bürger mit einer Liste «einschüchtern», die laut eigenen Angaben 3000 Kundendaten umfasst. «Französische Kunden könnten abwandern, weil sie verunsichert sind», sagt Michel Dérobert, Geschäftsführer der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers.

Die HSBC Private Bank (Suisse) informiert ihre Kunden über den Fall, ergreift sonst aber keine Massnahmen. «Französische Kunden sind bei uns weiterhin willkommen und stellen für die Bank kein Problem dar», sagt CEO Alexandre Zeller.

Viele Fragen rund um die Kundendaten sind noch ungeklärt. Klar ist aber, dass sich eine Schweizer Bank hierzulande strafbar macht, wenn sie Kundendaten von einem Schweizer Bankkonto ohne Amtshilfeverfahren herausgibt.

«Konten der Credit Suisse sind nicht betroffen», sagt CS-Sprecher Marc Dosch. Viele Banken halten sich mit einem Kommentar zurück, so etwa auch die in der Schweiz vertretenen französischen Banken BNP Paribas und Crédit Agricole.

«Die französische Steuerbehörde kann aber alle Konten der auf ihrem Territorium befindlichen Banken einsehen», sagt Michel Dérobert. Dies gelte auch für die französischen Niederlassungen von Schweizer Banken. So kann die Behörde sehen, auf welche Konten Überweisungen aus der Schweiz getätigt wurden. Dass darunter viele Kunden sind, die Steuern hinterzogen haben, muss aber bezweifelt werden.

Weitere Staaten könnten ihren Kampf gegen Steuersünder ebenfalls noch verschärfen. Cedric Tille, Wirtschaftsprofessor am Institut de hautes études internationales et du développement in Genf, wäre nicht überrascht, wenn Regierungen in anderen Ländern die Strategie der Franzosen kopierten.

Am 8. September 2009 beginnen die Verhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland über das neue Doppelbesteuerungsabkommen. Frankreich startete die neue Runde im Steuerkampf erst nach der Unterzeichnung des Abkommens, deshalb könnte auch Deutschland vorerst noch zuwarten. «Sobald das Abkommen unterzeichnet ist, nimmt der Druck auf die Schweiz aber wieder zu», sagt Tille.


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