Größte Bank Europas im freien Fall

Die UBS hat fast 40 Milliarden Dollar im US-amerikanischen Hypothekenmarkt verspielt – mehr als jede amerikanische Bank. Das war selbst für die Schweiz zu viel. Nun stürzt der Chef. (Zeit Online, 1. April 2008)

Lange hatte UBS-Präsident Marcel Ospel alle Rücktrittsforderungen vom Tisch gewischt. „Ich bin Teil der Lösung“, sagte er ein ums andere Mal. An diesem Dienstag jedoch ist plötzlich alles anders. Ospel wurde untragbar, nachdem die größte Schweizer Bank und weltweit führende Vermögensverwalterin neue Rekordverluste bekannt geben musste.

Das erste Quartal dieses Jahres schließt die UBS mit einem horrenden Minus von 12 Milliarden Franken (knapp 8 Milliarden Euro) ab. Damit türmen sich die Abschreibungen der Eidgenossen im amerikanischen Hypothekenmarkt auf fast 40 Milliarden Dollar.

Ein einsamer Rekord. Selbst die gebeutelten amerikanischen Finanzhäuser sind – zumindest bis heute – noch nicht in diese Dimensionen vorgestoßen. Und immer noch hält die UBS mehr als 30 Milliarden Dollar gefährdeter Positionen in ihren Büchern.

Aus einem der solidesten Geldhäuser der Welt ist ein Systemrisiko für die Schweiz geworden. Die braucht Milliarden an frischem Kapital und muss ihre internationale Investmentbank in die Hände von Managern legen, die von der Konkurrenz kommen. Trotzdem reagierte die Börse am Dienstag euphorisch. Die UBS-Aktien schossen bis zum Nachmittag um mehr als 10 Prozent in die Höhe.

In den vergangenen Tagen muss es zu einem wilden Gezerre in der Teppichetage des Bankhauses gekommen sein. Denn Ospel ist von seinem Naturell her keiner, der seinen Platz freiwillig räumt. Darauf deuten auch die Wirrungen in den Pressemitteilungen seiner Bank hin. In der am Montag verschickten Einladung für die Aktionärsversammlung vom 23. April war seine Wiederwahl als Präsident des Verwaltungsrats (Aufsichtsrat) noch explizit vorgeschlagen worden. Am Dienstag musste die UBS in aller Eile nachbessern. Neuer Präsident soll jetzt der bisherige Chefjurist der Großbank werden, Peter Kurer.

Kurer gilt als eine Art last man standing in den gelichteten Reihen der Schweizer. Nachdem Konzernchef Peter Wuffli und die Verantwortlichen für Finanzen und Investment Banking schon früher ihren Hut nehmen mussten, ist die personelle Decke an der Spitze dünn geworden.

Auch der neue operative Chef, der 43-jährige Marcel Rohner, war bereits wenige Monate nach seinem Amtsantritt angezählt. Kaum hatte Rohner behauptet, seine Bank würde ihre Positionen im eingebrochenen US-Hypothekenmarkt äußerst konservativ bewerten, folgte die nächste Hiobsbotschaft.

Das große Köpferollen kommt trotz den riesigen Abschreibungen und der finanziellen Schieflage der Bank überraschend. Denn Marcel Ospel gelang es bisher, die Bankenkrise mit einer Naturkatastrophe zu vergleichen, die man unmöglich habe voraussehen können und die alle großen Investmenthäuser mit einem Standbein in den USA empfindlich getroffen hätte.

Kein Wort verlor Ospel jedoch über Banken wie Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Deutsche Bank und die Nummer zwei der Schweiz, die Credit Suisse, die alle ebenfalls stark im amerikanischen Investment Banking engagiert sind, aber deutlich weniger stark im Häusersumpf einsackten. Mit seiner Tsunami-These und den vielen Bauernopfern glaubte Ospel offenbar bis zuletzt, die Krise aussitzen zu können. Er hoffte wohl, noch mindestens ein Jahr im Amt zu bleiben, um sich danach als Retter in Not feiern lassen zu können.

Als Präsident habe er nicht den vollen Überblick über die riskanten Positionen in den USA gehabt, lautete Ospels eigenwillige Begründung für seinen Verbleib. Als er schließlich davor gewarnt habe, hätte ihn seine operative Geschäftsleitung lange hingehalten. Und als die Krise in voller Wucht ausgebrochen sei, sei jegliche Rettung zu spät gekommen.

So weit Ospels Wahrnehmung. Doch die ist verzerrt. Wiederholt betonte er, wie risk-avers er und seine Führungscrew seien. Zwar sei die UBS mit zahlreichen Fusionen und Bankenkäufen strategische Risiken eingegangen. Doch bei der Kreditvergabe und im Eigenhandel zähle man zu den besonders vorsichtigen Instituten.

Das Gegenteil traf zu. Seit einer großen Übernahme in den USA im Jahr 2000 gehörten die Schweizer dort zu den wichtigsten Banken. Die Akquisition von Paine Webber machte die UBS, die zuvor außerhalb des Heimmarkts nur die Vermögensverwaltung für betuchte Klienten pflegte, zu einer mächtigen Mitspielerin im US-Hypothekenmarkt.

Als Risk-Controller der Bank 2002 erstmals vor Verlusten warnten, die bei einem Crash im amerikanischen Häusermarkt dereinst über die UBS hereinbrechen könnten, blieben Ospel und seine Geschäftsleitung gelassen. Zwar wurden sogenannte Stresstests durchgeführt, und die wiesen auch tatsächlich auf ein hohes Ausfallpotenzial hin. Doch erstens basierten diese Szenarien auf viel sanfteren Einbrüchen, als sie in der Zwischenzeit eingetreten waren, und zweitens hielt das Risiko die UBS-Chefs nicht vor weiteren Engagements ab.

Spätestens 2005 wurde auch Außenstehenden klar, dass die UBS ihre vermeintliche Solidität dafür verwendete, immer mehr Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen, um damit im riskanten Investmentbanking eine führende Rolle zu spielen. Man stand in der Verpflichtung bei den Anlegern, denen die UBS ständig neue Rekordgewinne versprochen hatte.

Das Modell schien überzeugend: Weil die UBS als sicherste Bank galt, musste sie für Fremdkapital kaum Zins bezahlen. Die bonusgetriebenen Investmentbanker nutzten die attraktive Refinanzierung und setzten zuletzt fast die ganze Firma aufs Spiel. Die gesamten Wertberichtigungen haben beinahe das Eigenkapital aufgebraucht. Ohne Kapitalspritzen von Staatsfonds aus dem Osten und einer zweiten Kapitalerhöhung wären die Schweizer längst untergegangen.

Jetzt hat Ospel ausgespielt. Vermutlich griffen in den vergangenen Tagen die Aufseher durch. Während deren Jahrespressekonferenz, just am Tag der Bekanntgabe der neuen UBS-Verluste, sagte die Eidgenössische Bankenkommission, sie begrüße den Wechsel an der Bank-Spitze. Auf Nachfragen präzisierten die Spitzenbeamten, dass sie in den vergangenen Tagen zu einer neuen Einsicht gekommen seien. Hatten sie zuvor immer Marcel Ospel den Rücken gestärkt, so betonen sie jetzt, dass sie dem Verwaltungsrat ihre Meinung zur Zukunft ihres Präsidenten klargemacht hätten.

Nun soll es also Peter Kurer richten. Ihm eilt nicht nur der Ruf eines exzellenten Juristen voraus, sondern auch eines bodenständigen, hemdsärmligen Entscheiders und Anpackers. Kurer war Partner bei einer bekannten Zürcher Wirtschaftskanzlei, bevor er im Frühling 2001 als Chefjurist in die Geschäftsleitung der UBS wechselte.

Kaum war er ein halbes Jahr dort, führte er für seinen neuen Chef Marcel Ospel Kapitulationsverhandlungen mit der finanziell ausgebluteten Swissair. Er, der Jahre zuvor als externer Swissair-Anwalt eine Großfusion mit der holländischen KLM durchpauken wollte, aber mit seinen Forderungen nicht durchgedrungen war, diktierte nun den Swissair-Chefs harte Bedingungen. Als die Unterschrift trocken war, soll Kurer gemäß Protokoll gesagt haben: „So, jetzt haben wir euch den Stecker gezogen.“


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