Der Minusmann

Marcel Ospel wird sich nicht mehr lange an der Spitze der UBS halten können. Chronik einer Karriere mit ungutem Ende. (Das Magazin, 2. Februar 2008)

Graue Wolken über Zürich, durchs Fenster dringt Tramlärm von der Bahnhofstrasse. Im Besprechungszimmer hängen schmucklose Gemälde an den Wänden. Die grosse UBS, vor deren Toren die Reichen dieser Welt Schlange stehen, gibt sich bescheiden. Geräuschlos geht eine Seitentür auf, und ein hochgewachsener Mann in dunkelblauem Anzug tritt ein. Marcel Ospel , Präsident dieses helvetischen Finanzimperiums, Schirmherr über Abermilliarden an Vermögen aus allen Kontinenten, strahlt an diesem kühlen Morgen wenig Majestätisches aus. Nach einer flüchtigen Begrüssung setzt er sich, fixiert aus schmalen Augen das Gegenüber und wartet auf die Fragen.

Das Treffen fand im Juli 2005 statt, und Marcel Ospel machte Aussagen, die vor dem Hintergrund der heutigen UBS-Verluste anders klingen als damals. Beobachter hatten die explosionsartig gewachsene Bilanz der Grossbank längst thematisiert. Hatten sich die Schweizer früher dreissigmal verschuldet, so war dieser Faktor auf fünfzig hochgeschossen. Man stelle sich einen Kleinsparer vor, der mit 20 000 Franken Erspartem ein Millionenhaus erwirbt.

Auf die Frage, ob die UBS zu einer Spekulationsmaschine geworden sei, hob Ospel in warmem Baslerdeutsch an: «Wir würden doch nicht von Aufsichtsbehörden und Rating-Agenturen für unsere Vorsicht ausgezeichnet, wenn wir eine übermässig risikobelastete Bilanz hätten. Die prüfen das regelmässig im Detail. Wir wollen keine hohen finanziellen Risiken nehmen.» Und: «Unsere Führungsmannschaft, die das Unternehmen die letzten Jahre geleitet hat, ist unisono hoch risiko-avers. Dafür sind wir bekannt im Markt. Wer immer etwas anderes kolportiert, schaut die Dinge nicht im richtigen Licht an.»

Doch die wenigen Kritiker hatten den Finger früh auf den wunden Punkt gelegt. Während sich Ospel selbst als vorsichtigen Bankier bezeichnete, riskierte die UBS unter seiner Führung fast 50 Milliarden Franken in Hypotheken-Wertpapiere für minderbemittelte US-Hausbesitzer. Das ist beinahe gleich viel wie das gesamte UBS-Eigenkapital. Was die Bank der Superreichen in diesem Massenmarkt zu suchen hatte, bleibt rätselhaft. Ein paar Milliarden Wetteinsatz zu verlieren, mag zum Spiel der Branche gehören; sonst würden in guten Jahren keine hohen Gewinne und Hyperboni anfallen, und die Bank würde im Konkurrenzvergleich an Terrain verlieren. Doch in Ospels Dimension wird es ernst. 16 Milliarden Franken hat seine Bank bisher verspielt, und sie sitzt immer noch auf über 30 Milliarden Franken Subprime-Sondermüll.

Derzeit werfen die Anleger die UBS-Aktien günstig auf den Markt. Von einem Höchststand von 80 Franken vor wenigen Monaten ist der Kurs kurzzeitig auf 40 eingebrochen, der Wert des Unternehmens wurde von über 150 Milliarden Franken auf 80 Milliarden fast halbiert. Scheinbar aus heiterem Himmel ist die UBS zum Sanierungsfall geworden. Banken mit dem Wert einer UBS sind nicht mehr vor Übernahmen gefeit, wie das Beispiel der niederländischen ABN Amro zeigte, die heute einem ausländischen Bankenkonsortium gehört. Nun muss Marcel Ospel um sein Überleben kämpfen. In einer Umfrage des englischen Finanzdienstes Breakingviews.com votierten Mitte Januar zwei Drittel für einen raschen Abgang Ospels .

Die Kritik am Wirtschaftslenker, der am 8. Februar 58 Jahre alt wird und noch vor wenigen Monaten gegen alle Vorwürfe immun war, gehört heute fast schon zum guten Ton auf dem Finanzplatz Schweiz. «Wenn man nichts von diesen Papieren versteht, lässt man am besten die Finger davon», polterte Nicolas Pictet vom gleichnamigen Genfer Institut vor den Medien. Ulrich Grete, bis vor Kurzem für den AHV-Fonds zuständig und ein ehemaliger UBS-Spitzenmanager, sagte dem «Tages-Anzeiger»: «Aus schweizerischer Sicht ist es hochpeinlich, dass eine bisher hervorragend wirtschaftende Grossbank in eine derartige Krise hineinmarschiert ist.»

Anekdoten aus hitzigen UBS-Verwaltungsrats-Sitzungen machen in Zürcher Finanzkreisen die Runde. Multimilliardär und Spitzensegler Ernesto Bertarelli soll mit dem Grossbank-Präsidenten hart ins Gericht gegangen sein. Wann er seinen Risk-Officer zum letzten Mal getroffen habe, wollte Bertarelli von Ospel offenbar wissen. Fiat-Chef Sergio Marchionne, ebenfalls UBS-Verwaltungsrat, soll nach einem Schlagabtausch anerkennend zu Bertarelli gesagt haben: «You’re a pain in the ass!» Dass Bertarelli Ospel zusetzt, scheint nicht abwegig. Nach dem Verkauf seines Familienunternehmens Serono im Herbst 2006 dürfte der Genfer einen Teil des Milliardenerlöses in UBS-Anlagevehikel investiert haben, umgekehrt sponsert die Grossbank das Alinghi-Segelteam mit Millionenbeträgen.

Wie viel wusste Ospel?

Am meisten aber überrascht, dass Marcel Ospel überhaupt noch im Amt ist. Wer kann an der Spitze eines Multis mit 80 000 Mitarbeitern und vitaler Bedeutung für eine ganze Volkswirtschaft verbleiben, wenn er Milliardenverluste zu verantworten hat? In der Regel rollen in der Wirtschaft ab einer bestimmten Verlustgrösse die Köpfe, damit Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre wieder Vertrauen fassen.

Während die globale Kreditkrise zum GAU der UBS wird, versuchen Notenbanken und Staaten, mit Steuermilliarden die Rest-Wirtschaft auf Touren zu halten. Konrad Hummler von der St. Galler Privatbank Wegelin, der sich mit Verstand und Eloquenz einen Namen in der Branche gemacht hat, ruft gar nach neuen Vorschriften. Nötig sei eine Art Glass-Steagall Act, ein Gesetz, das die US-Banken nach dem grossen Börsencrash von 1929 in Geschäftsbanken und Investmentbanken aufteilte und 1999 aufgehoben wurde. Von dieser Forderung weiche er nicht mehr ab, gibt sich Hummler auf Anfrage kämpferisch. «Sonst bezahlt zuletzt immer die Allgemeinheit die Rechnung für die unstillbare Gier der Investmentbanken.» Die UBS-Händler kämen viel zu leicht an die Milliarden der Privatkunden heran, was sie zu ihren hochriskanten Wetten animieren würde. Das Dilemma von Vermögensverwaltung und Investmentbank unter einem Dach sei inzwischen allen bewusst. «Nur Marcel Ospel und der UBS-Verwaltungsrat sehen das offenbar immer noch nicht», ist Hummler überzeugt.

Der Ruf eines Vorzeige-Liberalen wie Hummler nach dem Gesetzgeber ist ein Zeichen für die Gezeitenwende. Die Shareholder-Value-Anhänger, die den Staat am liebsten als reinen Nachtwächter sehen, sind in die Defensive geraten. Kapitalistische Grosssysteme wie die UBS und andere Spitzenbanken überleben die Krise nur dank massiven Liquiditätsspritzen östlicher Staatsfonds. Gleichzeitig müssen die Notenbanken das globale Finanzsystem im Monatsrhythmus mit Bargeld fluten, um es vor dem Kollaps zu retten.

Gemeinsam in den Abgrund

Hummler schreibt in seinem Anlagekommentar von einem ruinösen Tango. Grosse Banken predigten den freien Markt, um in Not nach dem staatlichen Rettungsanker zu greifen. Der Staat seinerseits schone die Finanzriesen, weil diese «too big to (let) fail» seien: zu gross, um sie scheitern zu lassen – ein Crash würde die ganze Wirtschaft gefährden. Hummler prophezeit dem Treiben ein böses Ende. «Mit der Bankenkrise von 2007/2008 sind wir nahe an den Punkt gekommen, bei dem sich dieser gefährliche Umzug selber in den Abgrund stürzt.»

Die Chefs der Grossbanken haben sich diese Suppe selbst eingebrockt. Es war nicht einfach Pech, dass die wichtigste helvetische Firma, die einen grossen Teil der inländischen Wirtschaft finanziert und von deren Überleben das Funktionieren des inländischen Geldflusses abhängt, vom Kurs abgekommen ist.

Dabei ist Banking nicht Hirnchirurgie. Man braucht vor allem gesunden Menschenverstand: nicht alle Eier in den gleichen Korb legen und eine maximale Risikogrenze fixieren. Daniel Sigrist, Leiter der Grossbankengruppe bei der Eidgenössischen Bankenkommission EBK, die die Schweizer Banken zu überwachen hat, kommt zum Schluss: «‹Size Matters›, die absolute Grösse spielt eine Rolle. Die Realität hält sich nicht an Modelle. Deshalb gibt es nicht das allein selig machende Risikomanagement-Instrument. Verschiedene Ansätze ergänzen sich. Unter anderem können auch scheinbar althergebrachte nominelle Limiten sinnvoll sein, das heisst, das gesamte Risiko einer bestimmten Position soll in Form eines Frankenbetrags beschränkt bleiben.»

Wie aber war es dann möglich, dass ausgerechnet Marcel Ospels vermeintlich risikoscheue UBS in diese Lage gekommen ist?

Das zentrale Problem sei die Führung, schrieb Markus Granziol, der bis 2001 die Investmentbank der Grossbank leitete, im Wirtschaftsblatt «Bilanz». «Ab einer bestimmten Grössenordnung deutet jeder Verlust auf ein fundamentales Problem betreffend Kultur und Kompetenz hin.» Anders gesagt: Die UBS hat ein Führungsproblem, und das beginnt ganz oben. Zwar hatte Ospel das Prinzip der Meritokratie in der UBS eingeführt. Nur wer sich mit Leistung verdient gemacht hat, sollte die Hierarchieleiter aufsteigen, während Filz und Karriere-Seilschaften abgeschafft werden sollten. Und tatsächlich rollten auch massenhaft Köpfe unter ihm. Die Folge war aber, dass Ospel nach jeder Entlassungswelle als mächtiger und unersetzbarer galt als zuvor. Irgendwann war niemand mehr da, der den Bank-Präsidenten infrage stellen konnte.

Hinzu kam Ospels ausgeprägter Siegeswille, sagt ein ehemaliger UBS-Manager. Zwar wirkt Marcel Ospel bei seinen öffentlichen Auftritten oft unsicher. Intern ist er jedoch bekannt für seine harten Vorgaben, für Budgets, die für die Unterstellten nur schwer zu erreichen sind, behauptet der Ex-UBS-Mann. Als 2006 das Handelsgeschäft stotterte, soll Ospel laut «SonntagsBlick» seinen Managern gesagt haben: «Ich hasse es, wenn Wettbewerber an uns vorbeiziehen, die wir längst hinter uns glaubten.» Die Folgen von zu viel Druck von oben in diesem Geschäft können allerdings fatal sein: Sie könnten Händler dazu motivieren, immer grössere Risiken einzugehen, um erstens mehr zu verdienen und zweitens innerhalb der Bank aufzusteigen.

Die Bank widerspricht dieser Darstellung. Laut UBS-Pressesprecher Michael Willi hat der Verwaltungsrat unter Marcel Ospels Führung schon vor einem Jahr die grosse Bilanz gegenüber der Konzernleitung thematisiert und das weitere Wachstum infrage gestellt. «Die Massnahmen zur Verbesserung des Bilanzmanagements und zur Reduzierung der Bilanzgrösse wurden schliesslich im April verabschiedet und die Umsetzung im Sommer gestartet – dann kam aber die Krise an den Kreditmärkten dazwischen.»

Bleibt die Frage: Haben ein überdurchschnittlich ehrgeiziger Marcel Ospel an der Spitze und unkritische Händler die Bank dorthin geführt, wo sie jetzt steht? Ospel hat zwar mehr als die meisten seiner Berufskollegen gewagt, hat Gefahren getrotzt und Risiken genommen und so eine während langer Zeit äusserst erfolgreiche Bank geführt. Doch dass er irgendwann stolpern würde, hat nicht nur mit Pech zu tun. Ein Blick zurück:

Ende der Achtzigerjahre lag Ospels Bankverein deutlich hinter den zwei führenden Schweizer Grossbanken, der Bankgesellschaft und der Credit Suisse. Bei einer nächsten Konsolidierungsrunde, so war zu vermuten, könnten die Basler ihre Eigenständigkeit verlieren. Auch weil die Bankverein-Chefs nicht mehr viel zu verlieren hatten, liessen sie dem damals 40-jährigen Ospel freie Hand für wagemutige Deals, die weltweit für Aufsehen sorgten. Der erste Coup stammte allerdings nicht aus Ospels eigener Feder. Ein Mitarbeiter nahm im Auftrag eines Generaldirektors des Bankvereins eine kleine Finanzboutique in Chicago unter die Lupe. O’Connor hiess sie, sie war spezialisiert auf neuartige Finanzprodukte, sogenannte Derivate, und sie suchte eine Partnerin mit breiter Kundenpalette. Die Bankgesellschaft als Nummer eins des Schweizer Finanzplatzes hatte O’Connor ebenfalls geprüft, winkte aber ab. Ospel , der den Plan des Bankverein-Mitarbeiters prüfte, fing Feuer, überzeugte die Geschäftsleitung, das Mini-Unternehmen zu kaufen und legte damit die Basis für den folgenden Sturm seines Instituts an die Spitze des internationalen Handelsgeschäfts. Der O’Connor-Kauf, definitiv abgeschlossen 1992, gilt als Grundstein für Ospels steile Karriere.

Cowboy in der Sackgasse

Zwei Jahre später folgte der Kauf der US-Vermögensverwaltung Brinson Partners, und im Jahr darauf jener der englischen Traditionsbank S.G. Warburg, beide für stolze Milliardensummen. Ospel strich über tausend Händlerstellen in der Londoner City, die englische Wirtschaftspresse schimpfte ihn «Swiss Cowboy», zollte dem vermeintlichen Bankengnom aber gleichzeitig Respekt für seinen Mut. Die Heimat klatschte Applaus, und seine Vorgesetzten machten ihn zum operativen Chef.

Nach Ospels ausländischem Feldzug herrschte Ebbe in der Kasse, hinzu kam Mitte der Neunzigerjahre ein miserables Handelsergebnis, das Ospel zu verantworten hatte, die Boni für die Starbanker wurden gestrichen. 1997 schien der Bankverein nach 141 Jahren in einer Sackgasse gelandet zu sein. Ospel hatte die kleine Grossbank in ein modernes Tradinghaus umgebaut, doch die Einnahmen aus den riskanten Investments im Ausland waren immer noch zu gering, um die grosse Bilanzlast noch lange allein zu schultern.

«Für den Moment hatten wir noch genug Kapital, doch die Finanzierung des weiteren Wachstums war infrage gestellt», sagt ein ehemaliger Spitzenmanager des Bankvereins.

Im Moment der Not kam die Rettung ausgerechnet von der kapitalstarken Konkurrenz. Mathis Cabiallavetta, Chef der Bankgesellschaft, war ob dem Erfolg des Konkurrenten im internationalen Handelsgeschäft nervös geworden. Er nahm Ospels früheres Angebot zum Zusammenschluss an und überliess fast alle operativen Schlüsselstellen den Ospel -Getreuen.

Als ein Jahr später der US Hedge Fund LTCM unterging, musste nur die frühere Bankgesellschafts-Führung die Verantwortung übernehmen, obwohl anzunehmen ist, dass auch Konzernchef Ospel die Zahlen gekannt hat.

«Jedes Mal, wenn er mit Cabiallavetta vom Lunch zurückkam, schwärmte Ospel von dessen LTCM-Engagement», sagt ein früherer Bankverein-Händler. Ospel selbst bestritt beim Auffliegen des Milliardenverlusts im Herbst 1998, die Position frühzeitig gekannt zu haben. Der Verwaltungsrat glaubte ihm, und den Hut nehmen mussten die zuständigen Bankgesellschafts-Manager. UBS-Präsident Mathis Cabiallavetta und seinen Vertrauten wurde nicht nur der Schaden von einer Milliarde Franken angekreidet, sondern auch weitere Geschäfte mit gefährlichen neuartigen Finanzinstrumenten.

Ospel aber ging gestärkt aus der Krise hervor. Dennoch passierte Einiges. Der Bereich Private Equity erlitt weitgehend unbemerkt einen Verlust von weit über einer Milliarde Franken, der ab 2001 über mehrere Jahre abgeschrieben werden musste, sagen ehemalige UBS-Manager. Die Datenverarbeitung lagerten die Schweizer zuerst an Perrot Systems des einstigen US-Präsidentschaftskandidaten Ross Perrot aus, um sie Jahre später mit hohen Kosten ins Stammhaus zurückzuholen. Ospel stellte den Handel mit Rohstoffen ein, den die Bankgesellschaft aufgebaut hatte, und 2002 wurde dieses Geschäft vom kollabierenden US-Energieriesen Enron erneut übernommen. Seinen ehemaligen Bankverein hatte Ospel in vier Geschäftsbereiche aufgeteilt, um die fusionierte UBS wieder zur integrierten Bank zu machen.

Im Jahr 2000 kaufte UBS-Chef Ospel für über 12 Milliarden Dollar den US-Finanzbroker Paine Webber, der viel zu teuer war und mit seiner Allerweltskundschaft nicht zur reichen Klientel des UBS-Privatbankengeschäfts passte.

Die Fehler und das strategische Hüst und Hott kosteten Geld. Die UBS blieb jahrelang unter ihrem Gewinnziel von 10 Milliarden Franken, das sie bei der Jahrhundert-Fusion selbst deklariert hatte. Ob Ospel deshalb die Risiken im Handelsgeschäft erhöhte, bleibt Spekulation. Jedenfalls liess er sich trotz seinem eigenen grossen Handelsverlust Mitte der Neunzigerjahre beim Bankverein und dem LTCM-Debakel von 1998 erneut auf eine grosse Wette ein, diesmal im amerikanischen Hypothekengeschäft.

Früh gewarnt, nicht reagiert

Im Frühling 2002 hatten interne Controller erstmals Mitglieder der erweiterten Geschäftsleitung vor einem grossen Investment in Amerika gewarnt. «Die Handelsabteilung hat eine riesige Immobilienposition aufgebaut und sitzt inzwischen vermutlich auf einem der grössten Bestände aller Wall-Street-Banken», schrieben die Spezialisten an die damals obersten Risikoverantwortlichen der Bank in einem internen Memo. Die Spezialisten befürchteten eine Art Blackbox, mit der die amerikanischen Händler ihre Wetten auf ständig steigende US-Häuserpreise zu verstecken versuchten.

Bereits damals warnten die Controller vor den Folgen eines einbrechenden Marktes. «Für einen Ausstieg aus den Positionen sind realistischerweise sechs Monate bis ein Jahr nötig», schätzten sie. Der heutige CEO Marcel Rohner, der 2002 für die Vermögensverwaltung zuständig war, liess darauf das Szenario durchrechnen. Ausgegangen wurde von einem Preissturz im US-Häusermarkt, und der ergab schon damals einen hohen Verlust von einer halben Milliarde Dollar, obwohl sich die US-Hypotheken-Position der UBS erst auf einen Bruchteil der heutigen belief.

«Davon ist uns nichts bekannt», entgegnet UBS-Sprecher Michael Willi. «Die heute verlustbringenden Positio-nen stammen nicht aus dem Jahr 2002. Auch generell, aus Marktsicht, ist die Aussage nicht nachvollziehbar: Der Boom in den Kreditmärkten begann erst im Jahr 2003, nach dem Default von Worldcom 2002, und bis Mitte 2007 gab es keine grösseren Schocks in den Kreditmärkten, welche Anlass zur Beunruhigung gegeben hätten.»

Marcel Ospel hätte um die drohende Krise im US-Immobilienmarkt wissen können. Als Active Chairman mischte sich der Präsident ins Tagesgeschäft ein, er besuchte Kunden und nahm an Sitzungen der Konzernleitung teil. Und er bildete mit seinen Vertrauten den Risikoausschuss, der alle potenziell gefährlichen Positionen überwachte. In diesem Gremium sass mit Marco Suter auch einer jener zwei Manager, die im Frühling vor sechs Jahren von den Risk-Controllern gewarnt worden waren.

Doch trotz seiner aktiven Rolle zieht der UBS-Präsident eine klare Linie zwischen seiner Kontrollpflicht und der operativen Arbeit der Konzernleitung. Der «SonntagsZeitung» antwortete Ospel vergangenen Herbst, als diese ihm vorhielt, die letzte Risiko-Verantwortung liege bei ihm: «Schon, doch das Risiko wird in den einzelnen Geschäftsfeldern bewirtschaftet. Das Präsidium überwacht zwar diese Risiken permanent. Doch die betroffenen Zinspapiere gelangten aufgrund ihrer Bewertung gar nicht auf den Radarschirm der Risikokontrolle.»

Nicht ins Bild passt, dass es Ospel selbst war, der seinen US-Chefs im Sommer 2005 die Gründung eines Hedge Fund unter dem Namen Dillon Read ermöglichte. «Wir sind sehr zufrieden, wie wir das Problem lösen konnten», sagte Ospel damals. «Zum einen, weil wir damit das alternative Anlageangebot für unsere Kunden noch attraktiver machen. Zum anderen, weil wir die Nachfolge (in der Investmentbank) gut gelöst haben.»

Der oberste UBS-Verantwortliche erklärte gar, dass der Chef des neuen Funds, der US-Investmentbanker John Costas, ein sehr vorsichtiger Banker sei. «Ich bin bekannt für hohe Risikoaversität», sagte Ospel damals, «und John Costas ist von seinem Naturell her noch viel risiko-averser als ich.»

Doch das war er nicht.

Spieltrieb

John Costas und seine Mitarbeiter wussten ihre Freiheiten zu nutzen und begannen mit dem Aufbau einer Spekulationsmaschine. Was folgte, ist bekannt: Im Glauben, auf eine Goldader gestossen zu sein, mischten sie Schuldpapiere minderwertiger US-Schuldner mit erstklassigen Hypotheken und bauten damit neuartige Konstrukte. Und die waren dann vermeintlich derart risikolos, dass selbst Vorsorgegelder in sie investiert werden konnten. Spezialisierte Agenturen hatten den Produkten gegen Entgelt der Banken ihren Segen erteilt. Das ist so, als ob sich der TÜV von Audi oder Toyota bezahlen lassen würde, Abgaswerte einfach vom Hersteller zu übernehmen, um dann den Fahrzeugen den Segen erteilen.

Nun geraten die Chefs der RatingFirmen selbst unter Druck. Ende August wählte die Rating-Agentur Standard & Poor’s einen neuen CEO, nachdem im US-Senat moniert wurde, dass die Unternehmen keine plausible Erklärung dafür hätten, weshalb sie bei der Bewertung von Subprime-Papieren versagt hätten. Dass die toxischen Wertpapiere eines Tages das Kartenhaus einstürzen liessen, wollte sich kaum jemand vorstellen. Zeigten denn die US-Häuserpreise nicht ständig nach oben?

Doch wie jedes Perpetuum mobile erwies sich auch dieses als Illusion. Glaubwürdig schien es, weil es auf harter Wissenschaft basierte. Der Finanztüftler David Li hatte ein Modell entwickelt, das den Preis berechnete, mit dem Investoren für die Übernahme riskanter Kredite zu entschädigen waren. Li von der englischen Grossbank Barclays hatte gefunden, wonach sich die Industrie jahrzehntelang gesehnt hatte. Kredite, die früher niemand wollte, konnten dank der neuen Methode verpackt und auf unzählige Investoren verteilt werden. Innert weniger Jahre entstand eine Multi-Trillionen-Blase, vor der selbst der Erfinder der Geheimformel warnte. «Gefährlich wird es, wenn die Leute jedes Resultat, das aus dem Modell herauskommt, blind glauben», sagte Li. Vertrauen in die hohen Erträge, ohne die Feinheiten des Modells zu begreifen, führe zum Fehlschluss, keine Risiken mehr zu haben.

Paul Embrechts, Professor für Finanzmathematik an der ETH Zürich und regelmässiger Teilnehmer an Hearings der US-Notenbank, sieht Gier als grösstes Problem. «‹Understand your gains!›, die Gewinne verstehen, ist ebenso wichtig wie Ursachenforschung nach Verlusten. Welche Annahme hat zu einem bestimmten Gewinn geführt? Was passiert, wenn die Annahme eines Tages falsch ist? Diese Fragen muss man sich stellen.» Für den Holländer, dessen Vorlesungen viele der heutigen Risk-Spezialisten des Schweizer Bankensystems besucht hatten, taugten David Lis Berechnungen nur für die Lehre. «Das Problem war, dass der Boom in diesen synthetischen Produkten die reale Welt veränderte. Es kam zu einem Rückkoppelungseffekt, und der war in Lis Modell nicht genügend berücksichtigt. Seine Theorie war quasi statisch, geeignet für eine Momentaufnahme, nicht aber für die dynamischen Kräfte, die dadurch entfesselt wurden.»

Vor zweieinhalb Jahren begannen Hedge-Funds-Manager, auf ein Platzen der US-Immobilienblase zu setzen. John Paulson vom gleichnamigen Fund berichtete dem «Wall Street Journal» von einem Gespräch mit einem Branchenkollegen von Mitte 2005. «Wir müssen das Maximum aus dieser Überbewertung herausholen», habe er schon damals gesagt. Anfang 2007, als die Subprime-Kurse erstmals abstürzten, schoss der Paulson Fund um sechzig Prozent hoch. Die Chefs von UBS, Merrill Lynch und Citibank starrten ungläubig auf ihre Bildschirme. Statt sofort aus den riskanten Papieren zu flüchten, wie das die Credit Suisse und die Investmentbank Goldman Sachs offenbar taten, riskierten sie weitere Unsummen mit Subprime-Konstrukten.

«Es gibt bei jeder Marktentwicklung Leute, die gewarnt haben», verteidigt UBS-Sprecher Willi seine Bank. «Die Ausweitung der Probleme im Subprime-Segment auf den gesamten Verbriefungsmarkt und später auf andere Bereiche der Finanzmärkte begann im Juli 2007 – für alle Marktteilnehmer gleichzeitig.»

Macht und Eigenmacht

Auf der Kommandobrücke der UBS hatte Kapitän Marcel Ospel inzwischen seinen ersten Steuermann ausgewechselt. Solche überraschenden Chefwechsel war man sich von Ospel bereits gewohnt. Besonders in Erinnerung bleibt der Winter 2001, als Ospel den Engländer Luqman Arnold absetzte, ein renommierter Banker, den Ospel kurz zuvor selbst auf den Schild gehoben hatte. Kurz darauf wurden auch der Leiter des US-Privatbankengeschäfts Joe Grano und Investmentbank-Chef Granziol entlassen. Arnold, Grano und Granziol hatten eine Palastrevolution geplant. Als Ospel im Herbst 2001 an der operativen Konzernleitung vorbei der Swissair-Nachfolgegesellschaft mehrere 100 Millionen Franken Kredite gewährte, forderte der Engländer Arnold im Verwaltungsrat Ospels Kopf, behauptet ein früherer UBS-Spitzenmann. Doch der gewiefte Präsident habe darauf seine Verwaltungsratskollegen mit einem Argument um den Finger gewickelt, das heute wie ein schlechter Witz klingen würde. Er soll vor einer Machtübernahme durch bonusgetriebene Engländer und Amerikaner gewarnt haben. Heute ist klar, dass erst die später von Marcel Ospel beförderten Angelsachsen wie Costas das UBS-Schiff leck schlugen.

Nachdem er die Aufständischen los war, setzte Ospel seinen loyalen Leutnant Peter Wuffli ans Steuer, ein Zahlengenie, das ihm bei seinen riskanten Übernahmen in den Neunzigerjahren zur Seite gestanden hatte. Doch Wuffli konnte das Vakuum, das durch das Ausscheiden vieler Handels- und Risikospezialisten immer grösser wurde, nicht füllen. Er war ein McKinsey-Abgänger, der Organigramme zeichnete und Strukturen aufsetzte, aber nie im Handelsgeschäft grosse Positionen zu verantworten hatte. Trotzdem hätte er gemäss Ospels Nachfolgeplan seinen Mentor als Präsident ablösen sollen. Doch der UBS-Verwaltungsrat entschied sich gegen einen zukünftigen Präsidenten Wuffli und machte stattdessen den 42-jährigen Marcel Rohner zum neuen Konzernleiter. Wie stark die sich abzeichnende Hypothekenkrise dafür ausschlaggebend war, ist bis heute offen. Sicher ist, dass mit Rohner ein Mann an die Macht kam, dem es für diese Topposition ebenfalls an entscheidendem Knowhow fehlt: Wie Wuffli kennt auch er die Märkte und die Risken im weltweiten Handelsgeschäft vor allem vom Hörensagen.

Trotzdem setzt Präsident Ospel auf Rohner, den er nicht nur zum CEO machte, sondern interimistisch auch zum Investmentbank-Chef. Die Managerdecke ist gefährlich dünn geworden. Gegenüber der NZZ betont Ospel hingegen die Vorteile. «Marcel Rohners Doppelfunktion erlaubt uns, die Entscheidungswege wesentlich zu verkürzen.»

Marcel Rohners Amtszeit begann mit einem Gang nach Canossa. Bei seinem Antrittsbesuch in Bern musste er von einem riesigen Klumpenrisiko im US-Hypothekenmarkt berichten und zugeben, dass es keine Lösungen gebe und man nur warten und hoffen könne. Die Überwacher trauten ihren Ohren nicht. Als wenig später die Briten ihre Hypothekenbank Northern Rock stürmten, mussten die Regulatoren erkennen, wie chancenlos der Staat gegen die Krise war. Im September lud der Chef des New Yorker Fed zur Krisensitzung. Die Behörden der USA, Englands, Deutschlands und der Schweiz, welche die wichtigsten Grossbanken kontrollieren, sollten die Karten auf den Tisch legen. Als einziges Grossinstitut sass die UBS tief im Schlamassel. Würden die Sparer wie in Panik ihr Geld von den UBS-Konti abziehen? Die Schweizer Regulatoren warteten gebannt auf den Moment der Wahrheit.

«Bisweilen hatten wir täglich Konferenzgespräche mit der Konzernleitung», sagt Daniel Siegrist von der EBK. «Von Beginn weg machten wir klar, dass die Bank ihr Eigenkapital stärken muss. Am 1. Oktober gab dann die UBS ihren 4-Milliarden-Taucher bekannt. Wir hatten ein mulmiges Gefühl, schauten den ganzen Morgen auf den Aktienkurs. Der stieg. Da waren wir das erste Mal seit Wochen erleichtert.» Der Sturm auf die Grossbank war ausgeblieben, und mit jedem Milliarden-Abschreiber aus den USA sank die Gefahr. Wenn alle Grossen einen Schuh voll herauszögen, was nützt dann schon ein Wechsel, sagten sich die Kunden. Und blieben.

So wie Marcel Ospel . Der stellte weitere Spitzenleute vor die Tür und wies Rücktrittsforderungen von sich. Selbst als die UBS zehn Wochen später weitere 10 Milliarden Dollar Subprime-Ballast abwarf, wollte Ospel nichts von Abgang wissen. Er wolle «Teil der Lösung» sein, sagte er auf Radio DRS. «Jetzt über die Hintertür feige wegschleichen? Nein, ich will meinen Beitrag leisten.»

Er verwandelte seine Betteltour zu den Staatsfonds in Singapur und Arabien in einen Triumphzug. Dabei war es kaum schwer, dieses Geld zu beschaffen, ist die UBS in ihrer Not doch bereit, vorübergehend einen hohen Zins von neun Prozent respektive über eine Milliarde Franken pro Jahr zu bezahlen und später der Konkurrenz ein Zehntel der Bank zu überlassen. In Zukunft dürfte es keine strategische Weichenstellungen mehr geben, ohne dass diese zuvor von den neuen Herren im Osten abgesegnet wurden.

Für UBS-Medienchef Michael Willi macht Ospels Verharren an der Spitze Sinn. Präsident und Verwaltungsrat müssten eingreifen, wenn «die von ihnen vorgegebenen Grundsätze in der operativen Führung des Unternehmens» nicht eingehalten würden. «Dies haben sie getan, sobald sie vollen Einblick in die bestehenden Probleme hatten – unter der Führung von Marcel Ospel hat die UBS schneller und konsequenter gehandelt sowie rascher kommuniziert als jede andere Bank, die von denselben Problemen betroffen ist.» Dann stellt sich Willi wie eine Eins vor seinen Präsidenten. «Verantwortung tragen bedeutet nun, die UBS aus den heutigen Schwierigkeiten zu führen.» Daniel Sigrist von der Bankenüberwachung EBK zeichnet hingegen bereits eine UBS-Zukunft ohne Ospel : «Zurück zur Tagesordnung, nachdem 16 Milliarden Franken in den Sand gesetzt worden sind, das wird es nicht geben. Es stellen sich zwei Hauptfragen: Wie konnte es zum Absturz kommen, und wie wird eine Wiederholung verhindert? Gut möglich, dass wir in einem zweiten Schritt eine Untersuchung gegen die UBS einleiten werden.»

Vielleicht kriegt Marcel Ospel schon am 27. Februar den nächsten Schlag versetzt. Dann richten die UBS-Aktionäre über seinen Rettungsversuch. UBS-Aktionärin Ethos, eine Anlagestiftung, verlangt eine Sonderprüfung. «Diese könnte aufzeigen, was die wahren Gründe für die Krise sind», sagt Ethos-Chef Dominique Biedermann. «Daraus könnten wir die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen und gleichzeitig herausfinden, ob Verantwortlichkeitsklagen gegen bestimmte Personen angezeigt sind.»

Vor sieben Jahren mussten die Swissair-Chefs ebenfalls eine Sonderprüfung akzeptieren und wurden von Helden zu Verlierern. Diese hatten den kleinen Trost, dass sie gemeinsam am Pranger standen. Wenn Marcel Ospel abtritt, wird er hingegen allein sein.


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